Morf, Heinrich:

Zur Biographie Pestalozzi’s. Ein Beitrag zur Geschichte der Volkserziehung. 4 Theile in 2 Bdn., 2. vermehrte Aufl. Winterthur 1868-1889, 1654 S.

  1. Theil: Pestalozzi’s Wirksamkeit bis in die Mitte des Burgdorfer Aufenthaltes. Winterthur 1868, XII, 344 S., 3 Beilagen.
  2. Theil: Pestalozzi und seine Anstalt in der zweiten Hälfte der Burgdorfer Zeit. Winterthur 1885, X, 276 S.
  3. Theil: Von Burgdorf über Münchenbuchsee nach Yverdon. Winterthur 1885, 385 S.
  4. Theil: Blüthe und Verfall des Instituts zu Yverdon. Pestalozzi’s letzte Lebenstage. Winterthur 1889, VIII, 619 S.

Heinrich Morf (1818-1899) war von 1861-1893 Leiter der Waisenanstalt in Winterthur, zuvor war er acht Jahre Seminardirektor des Lehrerseminars in Münchenbuchsee. Die lange Zwischenzeit zwischen dem Erscheinen des ersten und den folgenden zweiten, dritten und vierten Teilen erklärt der Autor mit seiner beruflichen Beanspruchung in Winterthur. Er sammelte auch in diesen Jahren umfangreiches Material für seine Darstellung, welches er aber erst nach seiner Pensionierung verarbeiten konnte (2. Teil, S. V).

I.

Im Vorwort des ersten Teils beschreibt Morf ausführlich seine Bemühungen zur Sammlung und Sichtung von Materialien zu Pestalozzi sowohl in Archiven der Schweiz als auch bei Privatleuten, die noch solche Materialien besassen (S. III-XII). Bevor Morf seine Darstellung von Pestalozzis Biographie beginnt, schildert er in einem einleitenden Kapitel „Die schweizerische Volksschule am Ende des 18. Jahrhunderts“ (S. 13-59) und bezieht seine Ausführungen auf die von Philipp Albert Stapfer , dem Minister der Künste und Wissenschaften der Helvetischen Republik, veranlasste Umfrage zum Zustand der schweizerischen Volksschulen  : Die Unterrichtsräume waren unzureichend, oft fand der Unterricht in der Wohnstube des Lehrers statt, die Lehrerbesoldung bestand häufig aus Naturalien und einem geringen Schulgeld der Schüler. Der Schulbesuch dauerte in der Regel allenfalls fünf Jahre und war lückenhaft, weil die Kinder im Sommer in der Landwirtschaft mitarbeiten mussten. Morf will damit zeigen, dass erst durch diese Kenntnisse die Bedeutung Pestalozzis als Reformator der Erziehung und des Unterrichts gewürdigt werden kann. Zwar scheitert die von Stapfer angestrebte allgemeine Verbesserung der Schulsituation, aber immerhin fasst das Direktorium   den Beschluss, im Schloss Burgdorf eine Normalschule einzurichten. Stapfer bemüht sich weiter um die Verbesserung des Bildungswesens durch die Gründung des „Helvetischen Volksblatts“, das im September 1798 erscheint und zu dessen Redakteur Pestalozzi ernannt wird. Mit seiner Übersiedlung nach Stans tritt dieser schon Ende 1798 von der Redaktion zurück und bereits 1799 wird das Helvetische Volksblatt eingestellt. Stapfer sieht seine Bemühungen zur Verbesserung des öffentlichen Schulwesens als gescheitert und zieht sich im Juli 1800 von seinem Amt zurück.

Mit detailreicher Langatmigkeit  schildert Morf Pestalozzis Herkunft und Familienverhältnisse, die Schulverhältnisse in Zürich und den Einfluss von Breitinger (Prof. für griechische und hebräische Sprache) und Bodmer (Prof. für Geschichte und Politik) auf die Studenten.  Der Unterricht für die „bessere Jugend“ war zwar in wissenschaftlicher Hinsicht ausgezeichnet, allerdings fehlte ihm jegliche praktische Ausrichtung. Gleichzeitig sieht Pestalozzi bei den Aufenthalten in Höngg bei seinem Grossvater die geistige Verkümmerung des Volkes auf dem Land und die dortigen unerträglichen Schulverhältnisse. Pestalozzi bricht sein Jurastudium ab, beginnt eine landwirtschaftliche Lehre bei Tschiffeli, kauft Land im Birrfeld und bezieht 1771 seinen Neuhof.

Im Kapitel „Pestalozzi im Neuhof“ (S. 125-154) werden die finanziellen Sorgen und die landwirtschaftlichen Bemühungen beschrieben. In Pestalozzis Tagebuch über die Erziehung seines Sohns sieht Morf bereits viele Elemente seiner späterer Unterrichtstheorie angedeutet. Nach den Misserfolgen in der Landwirtschaft eröffnet Pestalozzi eine Armenanstalt für bis zu 50 Kinder, die neben dem Unterricht im Sommer in der Landwirtschaft helfen und im Winter Baumwolle zu Garn und Tuch verarbeiten sollten. Kurz nach der Auflösung der Armenanstalt schreibt Pestalozzi 1780 „Die Abendstunde eines Einsiedlers“, 1781 „Lienhard und Gertrud“ und zuletzt 1797 „Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts“.

Im Kapitel „Pestalozzi in Stanz“ (S. 155-208) geht Morf auf die Vorgeschichte von Pestalozzis Aufenthalt in Stans ein und zitiert Stapfers Befürwortung des Projekts an das Direktorium. Am 5. Dezember 1798 übergibt das Direktorium die Leitung des Armenhauses in Stans an Pestalozzi. Dort gibt es von Anfang an Gegenwind: Pestalozzi ist der erste Reformierte in Nidwalden, er gilt als Vertreter der nach wie vor verhassten Zentralregierung und soll als solcher die Erziehung von Kindern übernehmen. Nach dem Ende des Stanser Projekts nimmt Stapfer in einem französisch abgefassten Brief vom 18. November 1799 (S. 200-203) erneut für Pestalozzi Stellung und verschafft ihm in Burgdorf die Möglichkeit, dort sein Werk fortzusetzen.

Im Kapitel „Pestalozzi in Burgdorf“ (S. 208-319) zeigt Morf, dass Pestalozzis Arbeit in Burgdorf auf den Resultaten seiner Versuche in Stans aufbaut, es sind in erster Linie die Anschauung und die Vereinfachung der Unterrichtsmittel. In Burgdorf beginnt Pestalozzi in der „Hintersässenschule“ und erhält nach einer Prüfung durch den Distriktstatthalter von Burgdorf die Möglichkeit, in der Knabenschule zu unterrichten. Auch Mohr , Stapfers Nachfolger als helvetischer Minister der Künste und Wissenschaften, war ein Förderer Pestalozzis. Nach einem weiteren Bericht über Pestalozzis Tätigkeit, ermöglicht der Vollziehungsrat, der neue Name des Direktoriums, auf Vorschlag Mohrs die Eröffnung einer Erziehungsanstalt und eines Schulmeisterseminars und Pestalozzi erhält auf Vermittlung von Mohr weitere staatliche Unterstützung.

Recht ausführlich geht Morf auf das Buch „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ ein und die darin entwickelten Unterrichtsgesetze: Das Fundament der Anschauung, der Unterricht soll mit den einfachsten Elementen beginnen, er soll stufenweise der Entwicklung des Kindes folgen und seiner Individualität gerecht werden, wobei Kenntnisse und Fertigkeiten nicht das Ziel des Elementarunterrichts sind, sondern die Stärkung der geistigen Kräfte. Dabei soll der Unterricht immer der Erziehung untergeordnet sein und für die sittlich-religiöse Entwicklung des Kindes sieht Pestalozzi das Fundament im Verhältnis der Mutter zum Kind. Dieses Werk führt in der Folge eine grosse Besucherzahl aus der Schweiz, Deutschland und Frankreich nach Burgdorf. Als Gegner Pestalozzis beschreibt Morf die Philanthropen und nennt vor allem Basedow, die Pestalozzi absprechen, etwas Neues hervorgebracht zu haben.

II.

Der zweite Teil von Morfs Veröffentlichung handelt von der zweiten Hälfte der Burgdorfer Jahre. Anfangs war das Institut in Burgdorf eher eine Einrichtung für die Mittelschicht, aber Pestalozzi wollte in erster Linie der verwahrlosten Masse des Volkes, besonders den Armen helfen und erkennt, dass dabei allein ein Seminar für Primarschullehrer helfen kann, Einfluss auf die Volksbildung zu gewinnen (S. 3). Am Anfang steht die Untersuchung des Instituts durch Ith, den Präsidenten des bernischen Erziehungsrats  und in der Folge dieses Berichts erhält Pestalozzi finanzielle Zusagen für den Druck seiner Elementarbücher und zur Aufnahme von Schullehrern in Burgdorf. Als am 19. Februar 1803 in Paris die neue Verfassung für die Schweiz (Acte de médiation) von Napoleon vorgelegt wird, kann Pestalozzi keine Förderung einer Zentralregierung mehr erwarten, entscheidende Kompetenzen gehen an die Kantone zurück. Als erste Mitarbeiter gewinnt Pestalozzi neben Krüsi und Buss, Gustav Tobler (S. 59-76), Johannes Niederer (S. 76-105), Johannes von Muralt (S. 105-111), Samuel Hopf (S. 111-113) und Konrad Nänny (S. 113-116).

Im Kapitel „Pestalozzis Theilnahme an der politischen Neugestaltung der Schweiz. Reise nach Paris“ (S. 120-171) schildert Morf Pestalozzis aktive Teilnahme an der politischen Neugestaltung der Schweiz und seine Reise nach Paris. Pestalozzi tritt in seinen politischen Äusserungen für gleiches Recht für alle und zugunsten der unterdrückten Menschen ein, was ihm den Hass der Bevorrechteten und Privilegierten einträgt. Pestalozzi schreibt die „Ansichten über die Gegenstände, auf welche die Gesetzgebung Helvetiens ihr Augenmerk vorzüglich zu richten hat“ (S. 122), er erwartet von der neuen Verfassung die gesetzliche Organisation einer zweckmässigen Volks- und Elementarbildung und eines gerechten Finanzsystems. Am 30. Oktober 1802 reist Pestalozzi nach Paris ab, aber seine politischen Vorstellungen erzielen dort keine Wirkung. Auf dem Gebiet der Erziehung scheint es anfangs besser zu gehen und auf Veranlassung Stapfers schreibt er eine ausführliche Darstellung seiner Methode (S. 147-165). Anfang Februar 1803 kehrt Pestalozzi enttäuscht nach Burgdorf zurück. Seine politischen Ansichten und Vorschläge werden nicht beachtet, ebensowenig seine Vorstellungen zur Erziehung. Die Vermittlungsakte vom 19. Februar 1803 schafft zwar Rechtsgleichheit, die Möglichkeit zum Loskauf vom Zehnten, aber die Ausführungsgesetze benachteiligen wiederum die einfachen Menschen und binden die Wählbarkeit an Grund- und Kapitalvermögen.

Als Folge seines Buchs „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ und der Berichte in Zeitungen und pädagogischen Zeitschriften wird Burgdorf in den folgenden Jahren zu einem Wallfahrtsort für Menschenfreunde und Pädagogen (S. 171-244). Als erstes schickt die dänische Regierung auf Anregung der Gräfin Schimmelmann zwei Pädagogen zum Studium der Methode nach Burgdorf, Ström und Torlitz . Torlitz berichtet über seinen Aufenthalt in Burgdorf und die von ihm errichtete Probeschule in Kopenhagen (S. 197-206), dazu zitiert Morf seitenlang aus dem Bericht von Torlitz, ebenso aus dem Briefwechsel mit der Gräfin Schimmelmann (S. 206-228). Auf die dänische Regierung folgt die südpreussische und schickt Jeziorowski nach Burgdorf, danach kommt Gruner nach Burgdorf, der später als Direktor eines Schullehrerseminars in Idstein im Taunus wirkt und seine Anregungen in Burgdorf erhalten hat (S. 234-243). Im 6. Kapitel geht Morf auf den Einfluss der Gegner Pestalozzis in der Schweiz ein, besonders  auf Steinmüller  und dessen Vorwurf, die Anstalt in Burgdorf lasse es an der richtigen Religionsausrichtung fehlen (S. 245-275).

III.

Im dritten Teil seiner Schrift „Von Burgdorf über Münchenbuchsee nach Yverdon“ überschreibt Morf diese Zeit mit „Die Wanderzeit der pestalozzischen Anstalt“ und fasst diese in 21 Kapiteln zusammen, beginnend mit „Das Schloss in Burgdorf fällt an Bern zurück und soll wieder Amtssitz werden“ (S. 1-20) und endend mit „Pestalozzi und die Armenanstalt“ (S. 355-384). In den Kapiteln dazwischen behandelt Morf die Zeit des Instituts in Münchenbuchsee, das Verhältnis Pestalozzis zu Fellenberg und den Beginn in Yverdon. Dieser Weg wird anhand langer Briefzitate aufgezeigt, wobei sich die zitierten Briefe Pestalozzis oder die Briefe an Pestalozzi leicht in den wissenschaftlichen Briefausgaben PSB oder SBaP  überprüfen lassen. Es ergeben sich darin in der Regel nur kleinere orthographische Abweichungen wie „Rücksicht“ statt „Rüksicht“ oder „Zweck“ statt „Zwek“ (S. 13, PSB 4, S. 154). Vereinzelt hat Morf einzelne Bezeichnungen verändert und kommentiert, statt „Bündten“ (PSB 4, S. 154) steht bei Morf „Pünten (Gärten und Pflanzplätze)“ (S. 13).

In diesem Teil wird das Ende des Instituts in Burgdorf geschildert, nachdem es am 26. Februar 1804 zum Beschluss der Berner Regierung kommt, dass Pestalozzi zum 1. Juli 1804 das Schloss in Burgdorf zu räumen hat und ihm stattdessen das Schloss in Münchenbuchsee für vorerst ein Jahr kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Gleichzeitig werden die Bemühungen des Stadtrats von Yverdon geschildert, Pestalozzi das dortige Schloss zur Unterbringung seines Instituts anzubieten. In dieser Zeit kommt es zum Vorschlag zur Übertragung der Leitung des Instituts auf Fellenberg, um damit einen geordneten Betrieb des Instituts sicherzustellen, gleichzeitig Pestalozzi zu entlasten und ihm Freiheit für seine schriftstellerische Arbeit zu ermöglichen. Bei der Schilderung der Verhältnisse in Münchenbuchsee steht das Thema Fellenberg  im Mittelpunkt (Kap. 13-17) und wird anhand der Korrespondenz zwischen Pestalozzi, Fellenberg und Niederer dargestellt. Fellenberg teilt mit Pestalozzi durchaus das Ziel einer allgemeinen Menschenbildung, aber er strebt eher ein Institut für die „Standesbildung“ an, nicht aber ein Institut für „Bauernbuben“ (S. 185).

Sodann schildert Morf die Auseinandersetzung mit Witte, der Pestalozzi unterstellt, seine Methode sei allein auf die Armen und Verlassenen der Gesellschaft gerichtet (S. 135-144). Auf die Lenzburger Rede von 1810 „Über die Idee der Elementarbildung“ geht Morf nur kurz ein und vermerkt den hohen Anteil Niederers an dieser Schrift, wobei der Originaltext Pestalozzis nicht mehr vorhanden sei.  In einem eigenen Kapitel befasst sich Morf nochmals mit der Stellungnahme der Philanthropen zu Pestalozzi (S. 150-185). Er nennt besonders Basedow, Salzmann, Trapp, Campe und Wolke und wirft dem Philanthropismus pauschal vor, „dass er die alleinige Richtschnur für die erzieherische und unterrichtliche Thätigkeit nicht aus den ewig gültigen Entwicklungsgesetzen der Menschennatur und aus den den Lernobjekten innewohnenden Bestimmungen hernahm“ (S. 184).

IV.

Der vierte Teil von Morfs Biographie Pestalozzis ist überschrieben mit „Blüthe und Verfall des Instituts zu Yverdon. Pestalozzis letzte Lebenstage“. Dieser mit 627 Seiten umfangreichste Teil der Biographie ist in zehn Kapitel unterteilt. Morf beginnt mit der positiven Begutachtung des Instituts durch die waadtländische Regierung 1806, worauf 1807 ein „Bericht an die Eltern und an das Publikum über den gegenwärtigen Zustand und die Einrichtungen der pestalozzischen Anstalt in Iferten im Jahr 1807“ (S. 7-20) folgt, der in weiten Teilen von Niederer abgefasst ist. Zudem wird in den ersten Yverdoner Jahren das Erscheinen der Wochenschrift für Menschenbildung angekündigt, in welcher erstmals Pestalozzis Stanser Brief („Briefe Pestalozzi’s an Gessner über seinen Aufenthalt in Stanz“) und Pestalozzis Lenzburger Rede „Über die Idee der Elementarbildung. Eine Rede gehalten vor der Gesellschaft der schweizerischen Erziehungsfreunde im Jahre 1809“ veröffentlicht sind (PSW 22, S.130-324).

Das besonders umfangreiche 10. Kapitel beschreibt die Entwicklung des Instituts von 1807 bis zum Ausscheiden von Schmid 1810 (S. 134-274). Nachdem das Schloss in Yverdon zu dieser Zeit, ohne die Externen aus der Stadt, über 200 Personen, ca. 140 Zöglinge und ca. 40 Lehrer und sonstiges Personal umfasste, beschreibt Morf zuerst die Rolle von Mieg  und dann die von Nabholz . In diesen Jahren entstehen von Pestalozzi ebenfalls die bekannten Portraits Schöners  von Pestalozzi und seiner Familie. Pestalozzis Neujahrsrede 1808 markiert einen Wendepunkt: Nach den sich konsolidierenden Jahren zuvor schildert er seine Schwäche und Unfähigkeit, sein Haus zu organisieren und zu leiten. Die kommenden Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, es kommt vor allem mit Niederer zu Verstimmungen über das parallel eingerichtete Mädcheninstitut. Danach zieht Niederer aus dem Schloss aus und kommt nur noch für seine Unterrichtsstunden in das Institut. In der Folgezeit gewinnt Schmid zunehmend an Einfluss, zumal er mit seinem Werk über „Die Elemente der Form und Grösse“ viel Anerkennung findet. Trotz allem findet die pestalozzische Methode in Preussen grosse Beachtung, auf Kosten der preussischen Regierung kommen ca. 20 junge Lehrer aus Preussen nach Yverdon. Im Juni 1809 bittet Pestalozzi d’Affry, den Landammann der Schweizer Eidgenossenschaft im Namen der Tagsatzung , das Institut untersuchen zu lassen. Der Tagsatzungsbericht über die Prüfung des Instituts fällt nicht günstig aus, dennoch blickt Pestalozzi in der Neujahrsrede 1810 hoffnungsfroh in das neue Jahr, doch es sollte anders kommen. Schmid wird zum Organisator des Instituts, gerät damit aber in Streitigkeiten mit Pestalozzi und Niederer und verlässt deshalb am 6. Juli 1810 das Institut.

Anschliessend beginnt eine Zeit der Regellosigkeit, es findet keine Organisation des Instituts oder der Unterrichtsabläufe mehr statt, hinzu kommen die Angriffe von aussen, so von Ludwig von Haller und von Bremi . Niederer erschöpft sich in der Verteidigung des Instituts u.a. mit einem zweibändigen Werk von über 900 Seiten: „Pestalozzi’s Erziehungsunternehmung im Verhältnis zur Zeitkultur“, die Sprache darin ist in Morfs Sicht zum Teil masslos heftig, polternd und geschmacklos (S. 290) und diese Schrift befeuert die Angriffe der Gegner zusätzlich. Pestalozzi selbst hält sich monatelang in Lausanne auf, um dort seine eitrige Ohrentzündung behandeln zu lassen. Als mit dem Kampf gegen Napoleon die preussischen Lehrer zusammen mit Zöglingen Yverdon verlassen, wird die ökonomische Situation katastrophal und die Schulden des Instituts immer höher. Pestalozzi bittet wiederum Mieg nach Yverdon zu kommen, um die Leitung des Instituts zu übernehmen, aber Mieg traut sich das Geschick zur Leitung der Anstalt nicht zu (Mieg an Pestalozzi, 22. Februar und 13. Juni 1813, S. 343-345). Auf Anraten Miegs übergibt Pestalozzi das Mädcheninstitut an Rosette Kasthofer.

Die nach der Niederlage Napoleons folgende Friedenszeit bringt dem Institut neuen Aufschwung: Zöglinge, Lehrer und Besucher kommen aus Deutschland, Frankreich und England nach Yverdon. Die Buchhandlung und die Buchdruckerei verursachen weiterhin erhebliche Kosten und die Versorgung der Zöglinge und Mitarbeiter wird zunehmend schwierig. Jetzt soll Nabholz die Leitung des Instituts übernehmen, aber die Kirchenbehörde gibt ihn nicht frei. Im November 1814 beginnt auf Anregung von Jullien  eine ökonomische Kommission, die Situation zu stabilisieren, aber als diese Anfang 1815 infolge von Unregelmässigkeiten der Verwalter zerbricht, kommt es zur Idee, Josef Schmid zur Organisation des Instituts zurückzurufen. Die auch von Niederer befürwortete Einladung zur Rückkehr datiert auf den 10. Februar 1815 und Schmid tritt Anfang April 1815 wieder in das Institut ein. Er reorganisiert das Institut: Entlässt entbehrliche Lehrer, reduziert die Gehälter, erhöht die Unterrichtsstundenzahl, achtet auf deren regelmässige Erfüllung, treibt alte Schulden und die Pensionskosten der Zöglinge ein und verzichtet auf die verlustreiche Buchhandlung und Buchdruckerei. Anfangs finden die ökonomischen Massregeln Schmids allgemeine Billigung: Schmid sei zwar ein gut rechnender Geschäftsmann, ihm fehle aber das Verständnis für die ethische Seite der Erziehungsaufgabe. So kommt es in der Lehrerversammlung am 3. Januar 1816 zu schweren Vorwürfen gegen Schmid, die dieser schroff zurückweist, „Der offene Krieg war nun da“ (S. 438).

Das Kapitel „Vom Ausbruch des Streites unter den Lehrern der Anstalt bis zur Trennung Krüsi’s und Niederer’s von Pestalozzi“ (S. 442-539) beginnt Morf mit Schmids Erklärung, in der er sich die Leitung des Instituts zuwies. Danach kommt es zu heftiger Verstimmung zwischen Pestalozzi und Niederer, wobei Pestalozzi eindringlich auf Ausgleich und Versöhnung drängt (S. 448-450). Die nächste Auseinandersetzung geht im Februar 1816 von dem Lehrer Boniface aus, der in anmassender Weise Blochmann und zahlreiche weitere Lehrer beleidigt und den Blochmann daraufhin einen „méprisable polisson“ (verächtlicher Bube) nennt. Daraufhin fordert Pestalozzi Blochmann auf, Abbitte zu leisten und als Blochmann ablehnt, fordert ihn Pestalozzi auf, das Institut sofort zu verlassen. Blochmann gibt am 4. Februar 1816 eine Erklärung an Pestalozzi, die von 16 weiteren Lehrern unterschrieben ist, in der er sich rechtfertigt und danach zusammen mit anderen Lehrern im Sommer 1816 das Institut verlässt. Auch die langjährigen Mitarbeiter Ramsauer und Krüsi, der dortigen Streitereien überdrüssig, verlassen 1816 das Institut. In der Folgezeit kommt es zu einer tiefen Zerstrittenheit, ja Feindschaft zwischen Schmid und Niederer, wobei Pestalozzi sich fest an Schmid anschliesst. An Pfingsten 1817 kommt es mitten in der Predigt von Niederer zu Ausfällen gegen Pestalozzi, er sagt sich mitten im Gottesdienst vor aller Öffentlichkeit von Pestalozzi los und betritt von diesem Tag an das Institut nicht mehr.

Doch es gibt auch Erfreuliches in dieser Zeit: Schmid handelt mit Cotta den Vertrag zur Herausgabe von Pestalozzis Sämtlichen Schriften aus und 1818 gehen Honorare und Subskriptionsgelder für die Cotta-Ausgabe von Pestalozzis Sämtlichen Schriften ein, stabilisieren die ökonomische Situation des Instituts und in seiner Rede vom 12. Januar 1818 will Pestalozzi mit einer Stiftung eine neue Armenanstalt errichten, die dann am 13. September 1818 in Clindy bei Yverdon eröffnet wird. Mit einem langen Dokument von Jakob Heussi  will Morf zeigen, dass Schmids Wirken keinesfalls so verderblich war wie es Niederer schildert (S. 595-601).

Das Kapitel „Der Streit um Mein und Dein“ (S. 539-587) belegt die Versuche von Mieg, Nabholz und anderen, eine Aussöhnung zwischen Pestalozzi und Niederer herzustellen. Aber schliesslich führt der öffentlich geführte Rechnungsstreit wegen der Mädchenanstalt die Parteien vor Gericht. Der geradezu verbissen und öffentlich geführte Streit zwischen Niederer, Pestalozzi und Schmid führt dazu, dass letzterer mit frei erfundenen Anschuldigungen seiner Gegner aus dem Kanton Waadt ausgewiesen wird. So verlässt Pestalozzi Anfang März 1825 zusammen mit Schmid und vier Zöglingen Yverdon und zieht sich auf seinen Neuhof zurück.

Im Verhältnis zu den anderen Kapiteln wird das Kapitel „Aus den letzten Jahren der Anstalt und Pestalozzi’s“ (S. 587-617) nur kurz abgehandelt. Den Zerfall des Instituts in Yverdon erklärt Morf zum einen mit dem in aller Öffentlichkeit geführten Streit zwischen Niederer und Schmid und zum andern mit der Vereinigung der Armenanstalt in Clindy mit dem Institut im Schloss mit seinen zahlenden Schülern. Letztere wurden besser verköstigt und während deren Erholungszeiten mussten die Kinder aus der Armenanstalt Dienstbotenarbeiten verrichten.

1825 wird Pestalozzi von der Helvetischen Gesellschaft für das kommende Jahr zum Präsidenten gewählt und hält am 26. April 1826 in Langenthal als Präsident der Helvetischen Gesellschaft seine „Langenthaler Rede“.

Morf geht ausführlich auf Pestalozzis Schrift „Meine Lebensschicksale als Vorsteher meiner Erziehungsinstitute in Burgdorf und Iferten“ und auf den von Niederer inspiriertem Text von Eduard Biber: „Beitrag zu Biographie Pestalozzi’s“ (St. Gallen 1827, 342 S.) ein. Morf nimmt eindeutig für Pestalozzi Stellung und zeigt Unverständnis für Niederers Angriffe und Schmähungen, während Pestalozzi immer noch eindringlich den Wunsch nach Versöhnung artikuliert. Pestalozzi erhielt Bibers Schrift im Februar 1827, er wollte sie noch widerlegen, aber er stirbt am 17. Februar 1827. Ohne die Teilnahme seiner früheren Mitarbeiter und Mitstreiter wird Pestalozzi in Birr begraben und Morf schliesst: „All die Fehden haben Pestalozzi’s Namen weder zu schädigen, noch die Folgen seiner aufopferungs- und leidensvollen Hingebung an die ihm providentiell zugewiesene Lebensthätigkeit zu schwächen vermocht“ (S. 616).

V.

Die Veröffentlichung von Morf ist im heutigen Verständnis keine wissenschaftliche Veröffentlichung, sondern eine umfangreiche Biographie von Pestalozzis Leben, die anhand von Briefdokumenten dokumentiert wird. Morf bittet bei Zitaten aus seinem Werk darum, immer auch die Fundstelle anzugeben (4. Teil, S. VIII). Er selbst hält sich nicht an diese Vorgabe, denn bei seinen wiedergegebenen Dokumenten wird nicht die jeweilige Quelle benannt. Es genügt nicht, dass er im Vorwort des ersten Teils Archive und Privatleute benennt, die Material für seine Darstellung geliefert haben (S. I-XII). Die Briefe von und an Pestalozzi sind heute zwar in der wissenschaftlichen Ausgabe von Pestalozzis Briefen (PSB 1-14) und den Briefen an ihn (SBaP 1-6) verifizierbar, aber die zitierten Briefe von Mitarbeitern untereinander und andere Dokumente sind ohne Quellenangabe nur schwer zu verifizieren.

Ein gravierender Mangel dieser Veröffentlichung ist das Fehlen jeglicher Register, die wenig differenzierten Inhaltsverzeichnisse dieser vier Teile können diese keinesfalls ersetzen. Die über weite Teile des Werks strikt durchgehaltene Chronologie wird in den beiden letzten Kapiteln aufgeweicht, zudem werden hier nur wenige Dokumente eingebracht. Offensichtlich war der Autor bemüht, seine umfangreiche Veröffentlichung endlich zum Abschluss zu bringen. In allen vier Teilen werden zahlreiche Namen von Personen aus Pestalozzis Umfeld angeführt, die in aller Regel nicht weiter durch eine Anmerkung näher identifiziert werden. So wird beispielsweise der Lehrer Boniface wie viele andere nur genannt, aber man erfährt nichts Näheres über diesen. Bei fast allen angeführten Personen fehlen biographische Angaben, um diese Personen in ihrem Umfeld einordnen zu können.

Zum Schluss stellt sich die Frage, welchen Stellenwert diese Veröffentlichung für die heutige Pestalozzi-Rezeption hat. Das Werk von Morf beschreibt detailliert Pestalozzis Biographie und führt dazu eine Vielzahl von Dokumenten, überwiegend Briefdokumente an, aber inhaltliche Aussagen zu Pestalozzis Werken finden sich nur zum Stanser Brief (1. Teil, S. 214-216) und ausführlicher zu Pestalozzis Werk „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ (1. Teil, S. 252-293), während viele weitere Werke Pestalozzis ausser Betracht bleiben.

(Gerhard Kuhlemann)