Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts
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Kronrecht
In seinem Ursprung schwankend zwischen den Gefühlen des Privatrechts oder vielmehr der Privatanmaßungen in dem Besitz der unverhältnismäßigen gesellschaftlichen Kräfte und den Ansprüchen des öffentlichen Rechts und des öffentlichen Bedürfnisses. Einzig durch seine Übereinstimmung mit dem gesellschaftlichen Zweck und dem gesellschaftlichen Recht gesellschaftlich und nur insoweit rechtmäßig.
In der Hand der Individuen als solcher bloße tierische Kraft und insoweit in seinen Wirkungen nicht bloß – wie das Eigentum, die Macht und die Ehre – allgemeine Nahrung unseres tierischen Sinns und aller Verirrungen, zu welchen dieser Sinn uns alle hinführt, sondern die bestimmte höchste Stufe, das bestimmte Nonplusultra aller möglichen Attentate gegen alle Fundamente der gesellschaftlichen Wahrheit und des gesellschaftlichen Rechts.
Könige können Anbetung verdienen, aber es ist gleich wahr: Der Begriff des Kronrechts als ein allgemeiner Begriff erregt beim sinnlichen, selbstsüchtigen Menschen eben die Gefühle, welche die Wörter Freiheit und Gleichheit beim französischen Sansculotten erregt haben.
Freiheit
Unser Geschlecht hat eine allgemeine und starke Neigung, in dem Genuß seiner Lebensansprüche unabhängig und selbständig zu sein. Naturfreiheit ist Genuß dieser Selbständigkeit in vollem Leben meiner tierischen Kraft. Bürgerliche Freiheit ist Ersatz der Naturfreiheit, Besitz gesellschaftlicher Selbständigkeit. Das Recht der Naturfreiheit ruht auf dem allgemeinen unwillkürlichen und unwandelbaren Gefühl des Bedürfnisses meiner Selbständigkeit im Naturstand. Das Recht der bürgerlichen Freiheit ruht auf dem ebenso allgemeinen Gefühl des Bedürfnisses eines Ersatzes dieser Naturfreiheit im gesellschaftlichen Zustand.
Der tierische Reiz dieses Gefühls ist eine einfache Folge der Eigenheiten der Tierart meines Geschlechts. Ich bin vermöge desselben kein trauliches kraftloses Haustier, das unter den Füßen eines stärkeren ruhig gaukelt und frißt; im Gegenteil ich gehöre vielmehr zu den gewaltsamen, unruhigen, den Genuß selbst der Sicherheit vorziehenden Raub- und Waldtieren. Es ist freilich auch wahr, meine Neigung zur Selbständigkeit wird durch meine Trägheit und mein Hang zur Sicherstellung meines Rechts durch denjenigen zum Genuß in mir selbst geschwächt, und es ist unstreitig: man kann mich durch sicheren Sinnengenuß unter allen Umständen zum schwächlicheren Haustier umbilden, aber von Natur bin ich kein solches, ich will da immer lieber herrschen als dienen.
Das Mittel zwischen Herrschen und Dienen, Selbständigkeit, ist Bedürfnis meiner Natur. Das Herrschen ist Bedürfnis überwiegender tierischer Kräfte oder wenigstens der Einbildung davon. Das Dienen ist Bedürfnis verlorener oder geschwächter tierischer Kräfte oder wenigstens der Einbildung davon. Auch gemäßigte tierische Kraft spricht in ihrem gesunden Zustand Selbständigkeit an. Dieser Anspruch ist in meinem Geschlecht eine unwillkürliche Folge der Unverdorbenheit meines Blutes und des freien Spieles meiner Säfte in Hirn und Herz. Ich verlange sie, weil dieses Herz in mir wie in einem Mann schlägt, weil dieses Hirn nicht vom Schlag getroffen in einem ohnmächtigen bettlägrigen Kopf stockt, ich verlange sie, weil mein Blut in Jünglingsfarbe meinen Geist in jeder Ader frei und froh ohne Gift nährt. Also beschaffen, muß ich sie verlangen, weil ich bin, was ich bin, und ich höre auf zu sein, was ich im gesunden tierischen Zustand notwendig bin, wenn ich aufhöre, tierische Selbständigkeit zu verlangen.
Im bürgerlichen Leben ist alles Tun und Lassen des gesellschaftlichen Menschen ein ewiges Haschen nach Selbständigkeit, freilich ein ohnmächtiges und fast immer mit der Kränkung des Fehlgreifens gebrandmarktes Haschen. Es läßt sich gar nicht leugnen: es gelingt ihm in diesem Zustand selten, von Gesetzen abzuhängen, die auf dem Recht ruhen, das in seiner Brust schlägt und das er sich selber gegeben.
Bald hängt er allgemein von der Willkür der Gewalt ab, die immer nur danach trachtet, unser Geschlecht auf den Ruinen seiner zertrümmerten Selbständigkeit als ein neugeschaffenes, menschheitsloses und menschheitsleeres Wesen bloß zu regieren, demselben alle Kraft und alles Recht seiner Natur zu rauben und dann, wenn dieses geschehen, in ihm die also erniedrigte Menschheit zu beglücken und zu begnaden. Armes Geschlecht, das höchste Ziel deiner Gesetzgebung geht dahin, dich entwürdigt zu füttern, und der alternde Weltteil lobt seine Weisheit, wenn du von diesem Futter nur fett wirst.
Tyrannei
Tyrannei ist Kränkung meiner Selbständigkeit ohne und wider den gesellschaftlichen Zweck. Es gibt eine barbarische und eine zivilisierte Tyrannei. Unter der barbarischen blute, unter der zivilisierten schmachte ich; ihr Wesen ist in beiden Fällen das nämliche: Gebrauch der Macht ohne Respekt für ihre Bestandteile und ohne Rücksicht auf ihren Zweck. Sie ruht allgemein auf dem Tiersinn meiner Natur, der im Vollgefühl unverhältnismäßiger Kräfte nicht anders kann, als die Schwäche meines Geschlechts zu erniedrigen und zu mißbrauchen. Sie ist nichts anderes als die Unterdrückung des bürgerlichen Rechts durch die Naturfreiheit der Macht.
Wer diese Unterdrückung leiden muß, ist Sklav'. Wer sie nicht leiden muß, ist frei. Wer sie leiden macht, ist Tyrann. Wer sie leiden machen kann, kann Tyrann sein. Wer das nicht kann, kann nicht Tyrann sein. Völker, deren Fürsten nicht Tyrannen sein können, haben ein Recht. Völker, deren Fürsten Tyrannen sein können, haben kein Recht. Fürsten, die Tyrannen sein können und nicht sind, sind Engel oder Schatten. Der Anspruch an Tyrannei ist nicht Bosheit, er ist Menschennatur. Nur der Schafskopf spricht sie nicht an, wenn er kann. Der wahrhaft Reine, Tugendhafte freilich auch nicht, aber es ist von reiner Tugend nicht die Rede, wenn man vom gesellschaftlichen Recht und von der öffentlichen Einrichtung des bürgerlichen Verhältnisses als solchen spricht.
Aufruhr
Das Wimmern des Menschengeschlechts unter dem Druck des gesellschaftlichen Unrechts und der gesetzlosen Gewalt ist nicht Aufruhr. Auch lauter Tadel der öffentlichen Unordnung ist an sich nicht Aufruhr. Das Streben des Menschengeschlechts, die Maßregeln der öffentlichen Ordnung und des gesellschaftlichen Rechts, wo sie mangeln, einzuführen, und wo sie geschwächt sind, zu stärken, dieses Streben liegt im Innersten meiner unentwürdigten Natur; jedes Volk, dem es mangelt, ist in tiefe, niedere Schlechtheit versenkt worden.
Hin bist du Name Vaterland! wenn dieses Streben in der Brust deiner Bürger tot ist! Deine entwürdigten Menschen sind Staatsbürger geworden.
Und auch du, meine Menschlichkeit, bist hin, wenn ich ohne Interesse für das öffentliche Recht und ohne Abneigung gegen das öffentliche Unrecht und gegen seine Quelle, die willkürliche Gewalt, in der bürgerlichen Gesellschaft lebe. Aber wie kann man das Interesse für die Angelegenheiten des Vaterlands bei den Individuen im Land also lebhaft werden lassen und dabei den Staat auf jeden Fall vor Aufruhr sicherstellen?
Also fragt ein Zeitalter, das nie einfach und geradehin recht tun, aber sich bei allem Nichtrechttun selber bestens gesichert wissen will.
Ich weiß auf diese Frage, wie sie gestellt ist, keine Antwort. Ich weiß gegen die Ausartung keiner einzigen menschlichen Kraft und keiner einzigen menschlichen Tugend auf jeden Fall Mittel. Aber das weiß ich doch, daß keine Kraft und keine Tugend in meiner Seele deswegen ausgelöscht werden soll, damit sie nicht ausarten könne, und daß die lebendige Anhänglichkeit des Bürgers an das Recht seines Landes ebensowenig zu einer Kraftlosigkeit, in der sie gar kein gesellschaftliches Übel mehr veranlassen könne, versenkt werden darf. Gewiß ist wenigstens, um dem Aufruhr vorzubeugen, muß ich doch nicht die menschliche Seele ändern, daß sie zu allen Phantasien der Willkür und zu allem Unflat der Rechtlosigkeit passe. Wenn aber eine Regierung aus Gründen, die sie nicht protokolliert, die Grundfrage des bürgerlichen Rechts und der bürgerlichen Selbständigkeit nicht mehr will oder nicht mehr darf an sich kommen lassen, dann bleibt gegen den Aufruhr, das ist, gegen die beim Volk unter diesen Umständen notwendig erwachenden lebhaften Gefühle von der Unsicherheit und Unrechtmäßigkeit ihrer Lage, freilich kein Mittel übrig, als der Gebrauch physischer Kraft, ratio ultima regum [der letzte Ausweg der Könige], und dieses wirkt dann auch so viel sicherer, wenn man im Fall ist, mit ganz verstockter Stille zu Werke zu gehen; das aber weiß ich freilich dann auch nicht, wie dieses auf jeden Fall möglich ist, ohne das Volk noch schlechter zu machen, als es durch den Aufruhr selber kaum hätte werden können.
Wenn ich indessen schon zweifle, ob die Lagen und Umstände, unter denen der Mensch zum Giftmischen geneigt werden kann, denen vorzuziehen seien, durch die wir gereizt werden, mit Kains Keule zu morden, so billige ich das Totschlagen mit der Keule so wenig als das Giftmischen. Und wenn ich schon zweifle, ob das Volk durch den Aufruhr schlechter werde als durch politische Täuschung, so billige ich den Aufruhr so wenig als die falsche Gewalttätigkeit der Staatskunst. Das Verderben des gesellschaftlichen Zustands führt uns offenbar zu zwei Extremen, die unser Geschlecht auf ungleichen Wegen, aber beiderseits gleich zugrunde richten, und diese sind Ruchlosigkeit und Erschlaffung. Wir dürfen aber, um der Gefahren willen, welche die Ruchlosigkeit und ihr äußerstes Verderben, der Aufruhr, über unser Geschlecht verhängt, diejenigen nicht verkennen, welche die bürgerliche Erschlaffung im gesellschaftlichen Zustand veranlaßt. Und wenn auch mein Zeitalter, durch Umstände verführt, der letzten allgemein das Wort redet oder wenigstens über sie hinschlüpft wie über glühendes Eisen, ich werde es nie tun. Sie ist gänzlicher Mangel des Glaubens an bürgerliche Tugend, gänzliche Gleichgültigkeit für das Wesen des gesellschaftlichen Rechts. Wer durch sie entwürdigt ist, verachtet sich selber, und haßt den, der es nicht tut.
Wenn vom Recht die Rede ist, so spricht er, wir haben ja zu essen und zu trinken und schöne Häuser; wenn vom Volk die Rede ist, so fragt er: was ist das? Das Menschengeschlecht, meint er, sei die Geldkiste, Freiheit, alles was einträgt und alles was wohl tut, Sklaverei, alles was kostet und alles was weh tut.
Mein Geschlecht verbindet in diesem Zustand die ekelhafteste Großsprecherei mit der tiefsten Niederträchtigkeit. Belastet mit Fluch des bürgerlichen Jochs, ohne bürgerliche Kraft, entblößt von irgendeinem stärkenden Gefühl einer befriedigenden Selbständigkeit, tanzt er dann, den Ring an der Nase, um Brot, bückt sich, kniet und purzelt vor dem Mann, der ihn diesen Diensttanz mit Prügel in der Hand gelehrt hat. Der Mensch trägt in diesem Zustand nicht einmal die Kraft und die Ruhe des stärkeren Viehs in seiner Brust, das Herzklopfen des Schwächsten wird dann sein Teil. Von jedem Reiz gelockt und von jeder Drohung geschreckt, meint er dann, alles, was er tut, sei Sünde, und tut doch alles, was er meint, das Sünde sei. Er ist ohne Wohlwollen gegen sein eigen Geschlecht; wenn von der Not seiner Kinder die Rede ist, so sagt er „sorgen sie auch, ich habe auch müssen sorgen!“, und ebensowenig rührt ihn die Nachwelt, sein Geschlecht und sein Volk.
Die Frage, ob der Mensch durch eine solche Erschlaffung nicht schlechter werden könne als durch den Aufruhr, ist also, so Gott will, keine verfängliche Frage.
Staatsrecht
Es ahndete mir jetzt, alle Wonne des Lebens scheitere an den öffentlichen Einrichtungen des gesellschaftlichen Zustands; ich mußte mich fragen: Was ist das Staatsrecht? Aber unwillkürlich stand mir Goethes Lied vor der Seele:
Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut,
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Vor allen Wesen
Die wir kennen.
Heil den Unbekannten
Höhern Wesen
Die wir ahnden,
Ihr Beispiel lehr uns jene glauben.
Denn unfühlend
Ist die Natur.
Es leuchtet die Sonne
Über Böse und Gute;
Und dem Verbrecher
Glänzet wie dem Besten
Der Mond und die Sterne.
Wind und Sturm.
Donner und Hagel
Rauschen ihren Weg
Vorübereilend
Und ergreifend
Einen um den andern.
Auch das Glück
Tappt unter die Menge,
Faßt bald des Knaben
Lockige Unschuld,
Bald auch des kahlen
Alten schuldigen Scheitel.
Nach ewigen ehernen
Großen Gesetzen
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.
Nur allein der Mensch
Vermag das Unmögliche,
Er unterscheidet,
Wählet und richtet.
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.
Er allein darf
Den Guten lohnen,
Den Bösen strafen,
Heilen und retten.
Alles Irrende, Schweifende
Nützlich verbinden.
Und wir verehren
Die Unsterblichen
Als wären sie Menschen,
Täten im Großen,
Was der Beste im Kleinen
Tut oder möchte.
Der edle Mensch
Sei hilfreich und gut,
Unverändert schaffe er
Das nützliche Rechte,
Sei nur ein Beispiel
Jener geahndeten Wesen.
Warum steht dieses Bild meiner Natur vor meiner Seele, wenn ich mich frage, was ist das Staatsrecht? Ist es, weil wir alle nach ewig ehernen, großen Gesetzen unseres Daseins Kreise vollenden, also kein Recht, folglich auch kein Staatsrecht statthat. Oder ist es, weil jedes Recht meines Geschlechts, folglich auch das Staatsrecht, wesentlich dahin wirken soll, das, was den Menschen von allen Wesen, die wir kennen, unterscheidet, in ihm seiner möglichsten Entwicklung näher zu bringen. Unstreitig würde die Staatskunst, wenn sie sich die Entwicklung der menschlichen Kräfte als ihre Bestimmung vorsetzte, mehr leisten, als die Welt bis jetzt von ihr empfangen zu haben scheint. Aber kann sie sich diesen Zweck vorsetzen, würde sie durch Anerkennung derselben in der Hand der Gewalt, in der sie immer sein muß, dadurch das Menschengeschlecht nicht mehr verhunzen, als selbiges durch alle Not und den unsäglichen Drang, zu welchen es ihre Fundament- und Rechtlosigkeit seit einem Jahrhundert hingeführt hat, wirklich verhunzt worden ist?
Aber ich wollte mit dieser Frage: Was ist das Staatsrecht? eigentlich nicht so viel wissen; sie war eine bloße Folge der Ahndung, alle Wonne des Lebens scheitere an den öffentlichen Einrichtungen des gesellschaftlichen Zustands, und wollte in Verbindung mit den Gefühlen, welche die Gegenstände, die ich bis jetzt ins Auge faßte, in mir rege gemacht, eigentlich so viel sagen: Ist die Staatskunst gesellschaftlich rechtmäßig, wenn der Mensch in und zu ihrem Dienst, durch sein Wissen und seine Kenntnisse zum Träumer, zum Schurken und zum Bettler gemacht wird? Wenn das Eigentum in seiner Hand vorzüglich durch ihre Einmischung in und zu ihrem Dienst zu Pandoras Büchse wird, aus der alle Übel sich über die Erde verbreiten? Hat sie ein Recht gegen das allgemeine unwillkürliche Naturwollen des Volkes und gegen den Geist des gesellschaftlichen Vertrags, der auf diesem Naturwollen ruht? Hat sie ein Recht, den gesellschaftlichen Zustand auf die List, die Gewalt und den Betrug der Macht zu gründen? Ist sie gesellschaftlich rechtmäßig, wenn sie selber die Auswahl der Bürger durch die Verirrungen der Ehre bis dahin entmenschlicht, daß diese ihr eigen Geschlecht auf den Wink eines jeden totschlagen, der so weit gekommen, über Glaskorallen, Branntwein, Liqueurs, Edelsteine und Ordensbänder disponieren zu können? Darf sie meinem Geschlecht durch Unterwerfung den Ersatz seiner Naturansprüche entreißen, und für den herrschenden Stand diesen Ersatz in Genüsse verwandeln, die ihn zu aller Sinnlichkeit und zu aller Gewalttätigkeit des Naturlebens herabwürdigen müssen? Darf sie die Unverdorbenheit meines Blutes und das freie Spiel meiner Säfte in Hirn und Herz mir zugrunde richten und wider meinen Willen und wider mein Recht mich dahin bringen, daß dieses Herz in mir nicht mehr wie in einem Mann schlägt; daß dieses Hirn, wie vom Schlag getroffen, in meinem ohnmächtigen Kopf stockt und mein Blut in Todesfarbe umwandle, meinen Geist in jeder Ader vergifte? Ist sie gesellschaftlich rechtmäßig, wenn sie mein Geschlecht dahin erniedrigt, dasselbe als ein bloßes Mittel, den Tiersinn der Macht zu befriedigen und allmählich zu verfeinern, anzusehen?
Ist sie gesellschaftlich rechtmäßig, wenn sie mein Geschlecht durch Rechtlosigkeit und Ehrlosigkeit zum Gesindel macht und zur Erhaltung der Staatsruhe die Leiber und Seelen der Menschen dahin entnervt, daß sie zu allen Phantasien der willkürlichen Gewalt und zu allem Unflat der Rechtlosigkeit passen? Hat sie ein Recht, das Ebenmaß der bürgerlichen Stände aufzuheben, welches bestehen muß, wenn die Menschen nicht in einem ewigen Krieg miteinander sich selber auffressen oder zu einer solchen bürgerlichen Erschlaffung versinken sollen, daß es denn selber einem Duc d'Alba keine Freude machen könnte, dasselbe noch ferner zu drücken? Ist sie gesellschaftlich rechtmäßig, wenn sie die Privatangelegenheiten ihrer Günstlinge, die Ausschweifungen der Staatsehre, die Staatshoffart, die Staatseitelkeit und die Staatsgemächlichkeit eine Richtung nehmen läßt, die, indem sie bei dem Personale der Menschen, die auf die Sitten des Landes den größten Einfluß haben, Anmaßungen, Bedürfnisse und Gelüste erzeugt, die, da sie mit dem wirklichen Fundament des Staates kein Verhältnis haben, dahin wirken müssen, der arbeitenden und erwerbenden Klasse der Bürger die Gewohnheiten, Sitten und Lebensart und selber den bürgerlichen Spielraum zu rauben, der wesentlich ist, sie im Stand zu erhalten, die gesellschaftlichen Rechte und Vorzüge, die sie von ihren Vätern geerbt, ihren Kindern nicht als ein bloßes Schattenwerk, sondern wirklich zu hinterlassen? Ich gehe weiter.
Wohlwollen
Harmlose Behaglichkeit ist die Mutter meines bloß tierischen Wohlwollens.
Du findest dasselbe beim unmündigen Kind und beim behaglichen Wilden, wie beim Hirten, der seine Weiden nicht verzinst und mit seinen Nachbarn nicht marktet, du findest es allenthalben, wo der Sinnengenuß des Menschen erquickend und leicht ist.
Aber so wie es Anstrengung erfordert, sowie er durch Sorgen und Angst unterbrochen, sowie er mit Gefahr und Kränkung begleitet ist, sowie meine tierische Natur keine harmlose Befriedigung mehr findet, also mindert sich dieses Wohlwollen in derselben. So wiedas Kind das Übel empfindet, sowie es weint, sowie es leidet und mangelt, also mindert sich bei ihm diese tierische Quelle seines Wohlwollens, seine Harmlosigkeit.
Also auch beim Wilden, sowie ihm Behaglichkeit mangelt, sowie seine Sonne nicht mild ist, sowie er sich des vergangenen Übels erinnert, das zukünftige fürchtet und vom gegenwärtigen leidet, also mindert sich sein Wohlwollen. Da wo seine Haut vom Frost erstarrt und er beschneites Moos mit seinem mageren Rentier teilt, da wird er falsch und hart wie der Bauer, der den unbezahlten Pflug auf rohem Land treibt, und der mühselig lebende Bürger. Auch der Hirt, wenn er hinter magerem Vieh auf dürren Heiden flucht und jeden Zuber Milch hinter Schloß und Riegel verwahrt, ist ohne dieses Wohlwollen. Es verliert sich allenthalben da, wo der Sinnengenuß meiner Natur für mein Geschlecht mühsam ist und Anstrengung fordert: und dieses ist bald auf der ganzen weiten Erde der Fall, nur selten gönnt ein ewiger Frühling den flötenden Hirten einen immerwährenden Scherz mit seinen Herden und mit seinem Geschlecht.
Aber es ist für den gesellschaftlichen Menschen wirklich gut, daß es so ist, das Menschengeschlecht bildet sich durch eben die Hemmungen, durch welche sein tierisches Wohlwollen verloren geht, und es ist für diese Ausbildung wesentlich wichtig, daß der Boden, den er baut, Geld kostet. Er soll sich freuen, wenn er für Weib und Kind Milch bekommt von der Kuh, die nicht sein ist, und Brot von dem Acker, den er für einen fremden Mann bauet. Demnach ist behagliche Wonne das allgemeine Ziel meines tierischen und meines gesellschaftlichen Daseins auf Erden.
Alle Kunst des Eigentums ist nichts anderes, als das Streben meines Geschlechts, die Behaglichkeit der ganzen Erde auf den Fleck zusammenzubringen, auf dem ein jeder lebt.
Alle Kunst des Staates ist nichts anderes, als das Streben meines Geschlechts, die Behaglichkeit auf den Fleck zusammenzubringen, auf welchem die Menschen leben, für die er sorgt. Der Mensch setzt, so wie ihm dies gelingt, sich selbst in eben die Lage, in welcher der harmlose Südländer die Gutmütigkeit mit sich ins Grab trägt, die die belasteten Völker nur mit sich auf die Welt bringen, und der Staat tut, insoweit er seine Bürger in eine harmlose Lage setzt, in Rücksicht auf diejenigen, die er also setzt, die nämliche Sache. Das Wohlwollen der Paläste ist daher im allgemeinen nichts anderes als die Wirkung einer solchen Südseeluft und einer solchen Südseefülle.
Zürnt nicht, gute Töchter von Menschen, deren Amtleute hart sind, wenn ich die Liebe zu eurem Papagei und zu eurer Tante für nichts anderes erkläre. Wenn ihr mitten in Genüssen, die auf dem Unrecht vollendeter Staatsverhärtung ruhen, wie die schuldlosen Südländerinnen empfindet, so ist euer Wohlwollen nichts anderes als der Selbstbetrug der tierischen Neigung zur harmlosen Behaglichkeit, die auch den rohesten Mann dahin bringt, daß es ihm lieb ist, wenn ohne seinen Abbruch andere Leute essen, trinken und schlafen können.
Diese Neigung zur Behaglichkeit ist die allgemeine Triebfeder unseres tierischen Daseins. Du dankst ihr deine Betriebsamkeit, aber wenn du aus Unbetriebsamkeit verfaulst, so geschieht es aus gleicher Neigung. Um ihretwillen bist du barmherzig, aber auch um ihretwillen zerfleischst du unser Geschlecht. Um ihretwillen fronest du der Meinung des Volkes, aber auch um ihretwillen höhnst du das Urteil deines Geschlechts. Um ihretwillen baust du der Ehre Altäre, und um ihretwillen gründest du den Sitz der Throne auf die Ehrlosigkeit des Menschengeschlechts. Um ihretwillen erscheinst du unter deinem Geschlecht gern als gepriesene Mutter der Gnaden; aber auch um ihretwillen zertrittst du das Recht deines Geschlechts. Sie ist es, die zum Heldensinn der Freiheit erhebt, aber sie ist es auch, was dich jedes Joch der Knechtschaft zu ertragen gewöhnt.
Liebe
Wenn der Mensch in aller Gedankenlosigkeit seiner sinnlichen Natur sein Dasein an der Sonne verträumt und in allem Nebel seines Tiersinns mit seinem schweifenden irrenden Wissen weit von sich weg fliegt, die Not der Seinen bricht ihm doch das Herz, er wirft die Afterkrone seines Wissens zu ihren Füßen und liegt seiner Wirtschaft ob, ihr Leben zu retten. Wenn vom ewigen Reiben des Eigentums seine Hand hart wird wie der Fuß des schwerfälligsten Tieres: das Sinnengefühl seiner tierischen Teilnehmung erhält ihm dennoch sein Herz noch weich. Der Mann, der an seinem Pult für die Ordnung eines Kreuzers unerbittlich ist, gibt dem Elenden unter seiner Türe ungezähltes Geld.
Wenn du, im Besitz der Macht, mit unermeßlichem Tiersinn den Nacken der Völker unter deinem Fuß fühlst, dieser Sinnengenuß hält dich zurück, daß du mit deiner Ferse weniger hart auftrittst auf den Nacken der liegenden Völker. Und wenn dir der Atem fast stillsteht vor dem Gefühl der Ehre und du das Blut und den Hohn der Unschuld nicht achtest, damit ein Weichling dir lächle und tausend Narren deinen Namen nennen, dieses Sinnengefühl bringt dich zu dir selber: daß das Lächeln des Schwächlings dir den Mord der Unschuld und den Hohn des Elends weniger vergütet und die tausende, die deinen Namen kennen, dir nicht mehr wert sind, um ihretwillen mit dir selber im Streit und ein Schurke zu sein vor deinem eigenen inneren Richter.
Das tut die Liebe in der Hülle des tierischen Wohlwollens, aus dem sie entkeimt. Noch ist sie nicht Liebe! Sie ist es nur, wenn sie sich zum Göttersinn einer zuverlässigen Treue zu erheben vermag. Aber wo findest du diesen Göttersinn der zuverlässigen Treue? Ich habe sie auf Erden gesucht und nirgends anders gefunden, als gepfropft auf Gehorsam und Furcht. Zeitalter! ich danke es dir nicht, auch ich warf in deinen Fluten Zwang und Furcht als ein lästiges Gewand weg wie deine Jünglinge alle. Die Nachwelt wird sie wieder suchen, die heilige Furcht und den frommen Gehorsam, auf dem so menschliche Früchte gedeihen.
Sie weilen nicht ewig auf dem Stamm, dem sie entkeimten. Wenn dem Menschen auf Weisheit gegründete Furcht und auf Liebe ruhender Gehorsam zur zweiten Natur geworden, so finden die gereiften Früchte an dem Stamm, dem sie entkeimt, keine Nahrung mehr, und das große Werk, das der Mensch in sich selbst erschafft, seine zuverlässige Treue, wird dann frei. So allgemein das tierische Wohlwollen, so selten ist die Liebe. Wo du sie suchst, da findest du Untreue, und wo du einen Menschen treu glaubst, da findest du ihn kraftlos.
Aber der Trug des Wohlwollens und die Lügen seiner Schwächen sind noch verachtenswürdiger als die Kraft des lieblosen Mannes.
Die Armseligkeit des tierischen Wohlwollens untergräbt alle Fundamente des gesellschaftlichen Lebens, seine Schwäche ist gedankenlos und fahrlässig, jeder Erwerb entschlüpft der ohnmächtigen Hand, die es mit der ganzen Welt wohl meint.
Undank überlebt den armseligen Mann, dieser hat von jeher das gedankenlose Wohlwollen mit Verachtung bezahlt; auch endet der Mensch diese Laufbahn so oft damit, daß er entweder ein Narr wird oder ein Menschenfeind.
Selber die Macht geht durch den Trug dieses Wohlwollens zugrunde, sie kann nicht anders, ihr Wesen ruht auf kraftvoller Erhaltung ihrer tierischen Stellung. Auf die Liebe macht sie zwar selten Anspruch, aber ihre Neigung zur Behaglichkeit reizt sie zuweilen, nach dem Sinnengenuß des harmlosen Wohlwollens zu gelüsten, dann verdirbt sie sich selber; ebenso die Ehre. Schande ist die ewige Gefährtin aller bloß tierischen Harmlosigkeit.
Religion
Das kühnste Wagstück deiner Natur, o unbegreiflicher Mensch, die Erhebung deines Ahndungsvermögens über die Grenzen alles hier möglichen Forschens und Wissens – auch dieses ist in seinem Ursprung ein Kind deiner tierischen Neigung zur Behaglichkeit.
Kronen und Zepter, den Göttern gleich werden, sitzen auf Thronen, weder hungern noch dürsten, weder Frost noch Hitze dulden, mit erwünschten Leuten schmausen, alle diese Bilder zeigen, daß sie aus dem Hirn deiner nach Harmlosigkeit schmachtenden Natur entsprungen sind.
Aber sei mir auch in aller Schwäche deines Ursprungs, sei mir auch im Lallen deiner kindlichen Selbstsucht ehrwürdig, göttliche, weit angebetete Mutter meines Geschlechts.
Wenn ich dich in der Hülle deines Entstehens für tierisch erkläre, so setze ich das Ziel deiner Vollendung gar nicht in die Grenzen der Hülle deines Entstehens.
Ich achte das Innere deines Wesens für göttlich wie das innere Wesen meiner Natur; aber wie dieses in meinem tierischen Leib ruht und aus dem Moder seines Todes entkeimt, so entkeimst und wallest auch du in meinem tierischen Leib und in dem Moder seines Todes.
Wenn der Mensch einen Baum oder eine Blume pflanzt, so gräbt er die Erde um, er legt Mist an die Wurzeln und deckt sie wieder mit Erde. Was tut er mit allem diesem für das innere Wesen des Baums und der Blume?
Der Stoff durch den sich jeder Keim entwickelt, ist in der ganzen Natur unendlich geringer an Wert, als der Keim selber.
Darum seid meine Richter, ihr freundlich Guten, die ihr in der Weihe des himmlischen Funkens göttlicher lebt als unser Geschlecht. Seid meine Richter: Verdunkle ich damit der Sonne Licht, wenn ich sage, alle Wärme der Erde entkeimt aus dem Boden dieser Erde; oder wenn ich sage, der Säugling müsse nach tierischen Gesetzen entwöhnt werden, behaupte ich damit, es gebe gar kein sittliches Gesetz in meiner Natur? Nenne es Abtötung, nenne es Wiedergeburt, dieses kühne Wagstück deiner Natur, diesen Salto mortale außer dich selbst, insofern du nur sinnliche Natur bist.
Es ist die höchste Anstrengung deines ganzen Wesens, den Geist herrschen zu machen über das Fleisch, eine in meiner Natur lebende bessere Kraft, die selbst mein tierisches Wesen entflammt gegen mich selbst und meine Hand aufhebt zu einem unbegreiflichen Kampf.
Der Mensch findet in seiner Natur keine Beruhigung, bis er das Recht seiner tierischen Sinnlichkeit in sich selbst verdammt hat gegen sich selbst und gegen sein ganzes Geschlecht. Aber er scheint die Kraft nicht zu besitzen, diesem Bedürfnis seines Wesens ein Genüge zu leisten. Die ganze Macht seiner ganzen tierischen Natur sträubt sich gegen diesen ihr so schrecklichen Schritt. Aber er setzt die Kraft seines Willens der Macht seiner Natur entgegen.
Er will einen Gott fürchten, damit er Recht tun könne; er will einen Gott fürchten, damit der Tiersinn seiner Natur, den er an sich selber verachtet, ihn nicht länger in seinem Innersten entwürdige. Er fühlt, was er in dieser Rücksicht kann, und macht sich nun das, was er kann, zum Gesetz dessen, was er soll. Diesem Gesetz, das er sich selber gibt, unterworfen, unterscheidet er sich von allen Wesen die wir kennen.
Ihm allein mangelt die Schuldlosigkeit des Instinkts, durch dessen Genuß das Vieh beruhigt auf dem Punkt bleibt, den dieser ihm anweist.
Er allein vermag es nicht, auf diesem Punkt stehen zu bleiben, er muß sich entweder über denselben erheben oder unter denselben versinken. Er hat eine Kraft, getrennt vom Instinkt, Überlegung und Gedanken in sich selbst wollen zu lassen, auch gegen den Instinkt.
Er hat eine Kraft, in sich selbst den Gedanken herrschen zu lassen über den Instinkt. Er kann aber im Gebrauch dieser Kraft von dem gedoppelten Gesichtspunkt, entweder dessen, was er soll, oder dessen, was er gelüstet, ausgehen.
Wenn er im Gebrauch derselben von dem letzten ausgeht, so führt sie ihn dahin, ohne alle Aufmerksamkeit auf den Trug und das Unrecht seiner tierischen Natur zu handeln, sie führt ihn auf die Höhe des Tempels, zeigt ihm alle Reiche der Welt und lispelt ihm zu, das alles ist dein, wenn du nur willst.
Dann lebt der Mensch im Glauben an das Wort seiner tierischen Selbstsucht, unter seinem Geschlecht ein Verderber. Sein Auge glüht gegen den Mann, der sein will, was er ist, auf seiner Lippe ist Hohn gegen die Wahrheit und gegen das Recht seines Geschlechts, er liebt die Trägheit, die Gewalttätigkeit, die Galeeren, die Monopole, die Schikane, den Eigensinn und die gesellschaftliche Kraft des Eigensinns, die willkürliche Gewalt.
Wenn er aber im Gebrauch dieser Kraft von dem ausgeht, was er soll, so führt sie ihn zu einer Gemütsstimmung, in der der Trug und das Unrecht, die Trägheit, die Gewalttätigkeit, die Galeeren, die Schikanen, die Monopole, der Eigensinn und die willkürliche Gewalt von ihm verachtet werden, in der er tief fühlend, mit der ganzen Fülle seines Wesens strebend nach dem Besten, Edelsten, das er zu erkennen vermag, nur innere Vollkommenheit sucht und nichts anderes. Und es ist in der Weihe dieses Strebens, daß er seine Traumkraft über die Grenzen der sinnlichen Wahrnehmung erhebe, damit er finde das Bild eines Gottes, das ihm Kraft gebe gegen den Tiersinn seiner Natur. Sollte der Mensch dieses nicht tun, sollte er die Handbietung seiner sinnlichen Natur, sollte er sein Ahndungsvermögen über die Grenzen alles hier möglichen Wissens nicht benutzen? Sollte er der Wahrheit um der Wahrheit und dem Recht um des Rechts willen getreu sein? Fordere das nicht von ihm, bis er's kann, und denke nicht, daß er's könne, solange er ein Tier ist, und ebensowenig, daß er anders als tierisch dahin gebracht werden könne, ein Mensch sein zu wollen.
Störe also das Werk deiner Natur, die tierische Einlenkung in das Gebiet der Sittlichkeit nicht durch die Anmaßungen deines Tiersinns selber. Hätte der Mensch die sinnliche tierische Ahndung einer Hoffnung über das Grab nicht, so wäre Recht und Wahrheit von der Erde verbannt, es würde sich dem tierischen Menschen um der Seifenblase einer nichtigen Meinung willen nicht lohnen, sich aus Wahrheit und Recht, wie er solche in diesem Zustand zu erkennen vermöchte, vieles zu machen.
Also sei mir heilig, kühnstes Wagstück meiner Natur, Erhebung meiner Traumkraft über ihre tierischen Grenzen, du erhältst die Schamröte im Leib meines Todes, du erzeugst die Tränen des reuenden Sünders, des kämpfenden Beters mächtige Kraft, des hohen Dulders sich opfernden Sinn, der Demut nie ermüdete Weisheit und der Selbstverleugnung menschenändernde Tugend.
Holde Mutter meines Geschlechts, wenn der Schwindelgeist meiner Natur sich in seinem Wissen und Nichtwissen bläht, ich knie vor deinem Altar, und der Dunst meines Kopfes weicht vor meiner Ahndung, wenn die bleierne Last meines nichtigen Daseins mich Himmel und Erde und mich selber vergessen macht; ich knie vor deinem Altar und vergesse Himmel und Erde und mich selber nicht mehr. Wenn das Joch des Eigentums meinen Nacken beugt und ich im Wühlen seines Kots gegen die Wahrheit kalt und gegen das Recht hart werde, wenn auch die Liebe durch mein Lechzen nach eigener Behaglichkeit dahingeht und mir jetzt sogar auch die armselige Kraft des tierischen Wohlwollens in meinem Innersten mangelt, wenn nun mein Auge zum Schutz meiner Höhle glüht wie das Auge des Tigers; wenn im Sinnengenuß der Eitelkeit mir der Atem fast stillsteht vor dem tiefen Gefühl der Ehre und ich im Besitz der Macht die Menschen, die mich umschwärmen, wie das Licht trauliche Mücken, verbrenne; kurz: wenn ich in den Verirrungen des Wissens, der Macht, der Ehre und selber der Liebe auch den letzten Funken der Menschlichkeit in meinem Innersten verloren, wenn Nacht und Tod mich umgibt und selber das Leben keinen Wert für mich hat, weil ich seiner nicht wert bin: was ist Wahrheit und was ist Recht für mich in diesem Zustand?
Es sind Worte, die noch im Trugsinn meines Tiersinns glänzen wie die Sterne am Himmel. Aber sie leiten weder mein Gehen noch mein Stehen, weder mein Liegen noch mein Aufstehen. Ohne der Gottesfurcht sinnliche Handbietung ist Wahrheit und Recht meinem Geschlecht nur Täuschung und Schein.
Entwürdige ich damit das Heiligtum meiner Natur? Ich meine nein! Wie bei der Treue und dem frommen Gehorsam die Früchte der Gottesfurcht nicht mehr an dem Stamm, dem sie entkeimen, angeheftet bleiben; Engel tragen sie dann in heiligen Händen.
Alles Äußere der Religion ist innigst mit meiner tierischen Natur verwoben.
Ihr Wesen allein ist göttlich. Ihr Äußeres ist nur gottesdienstlich. Ihr Wesen aber ist nichts anderes, als das innere Urteil meiner selbst von der Wahrheit und dem Wesen meiner selbst. Es ist nichts anderes als der göttliche Funken meiner Natur und meiner Kraft, mich selbst in mir selbst zu richten, zu verdammen und loszusprechen.
Das Äußere der Religion ist jede in die Sinne fallende Wartung und Pflege dieses Funkens.
Die Wahrheit der Religion ist die Übereinstimmung dieser Wartung mit ihrem Wesen.
Offenbarung: Jede Führung zu irgendeiner Wartung dieses Funkens, die sich meiner Vorstellungskraft, als von höheren Wesen herrührend, dargetan hat.
Glaube: Eine auf reiner Neigung zu innerer Vervollkommnung ruhende Vorliebe für die Wahrheit von Geschichten, Meinungen und Lebensregeln, die sich meiner Vorstellungskraft als von höheren Wesen herrührend dargetan haben.
Andacht: Jede an solche Geschichten, Meinungen, Lebensregeln angekettete Erhebung meiner Seele, die zum Zweck hat, den Reiz meiner tierischen Sinnlichkeit durch die Kraft dieser Vorstellungen zu schwächen.
Alle äußeren Folgen der Erhebung meiner Traumkraft über ihre tierischen Grenzen, Gebet, Andacht, Glauben usw. sind an sich nicht göttlich, sondern nur gottesdienstlich und vermöge ihres Ursprungs mit sinnlichen Vorstellungen und tierischen Begierden innigst verwoben, also in ihrem Wesen allgemeine Nahrung meines tierischen Sinns und aller Verirrungen, zu welchen dieser Sinn uns alle hinführt. Deswegen auch die Erfahrungen aller Zeiten und aller Weltteile laut sagen, die Religionen geben dem Menschengeschlecht allgemein die verschobene Richtung, daß ihre Wirkungen, wie die Wirkungen des Eigentums, der Macht und der Ehre, in den Jahrbüchern der Welt fast immer nur als schaudernde Denkmäler unseres kalten, selbstsüchtigen, und blutdürstigen Tiersinns und aller List, alles Betrugs, und aller Windbeutelei derselben zum Vorschein kommen.
Es ist nichts anderes möglich: Wo immer dein Geist, ehe er vom inneren Wesen der Religion geheiligt ist, an irgendeinem Bild deiner Traumkraft verweilt, da findest du im Bild deines Gottes das Bild deiner selbst.
Bist du dann dumm, dein Gott lohnt die Dummheit mit dem ewigen Leben und den Menschenverstand mit der ewigen Verdammnis.
Bist du ein Tyrann, dein Gott kennt keine Tugend als Untertänigkeit, und seine Engel bücken sich vor seinem Thron wie deine Sklaven vor dir.
Bist du gefräßig, du legst die Fette der Stiere auf den Altar deines Gottes, und deine Knechte machen das Recht deines Bratens zur *** des Menschengeschlechts.
Verschobener Menschenverstand macht sich dann zum Lehrer des Volkes.
Es ist diesem dann nicht genug, daß man bloß unwissend sei: Bloße Unwissenheit läßt dem Menschensinn noch Spielraum. Es erfordert dann Hörsäle, Akademien, Edikte, Seminare und militärische Gewalt, den verworfenen Menschenverstand gehörig, sicher und allgemein zu verschieben.
Die Guillotine des Wahns wird dann notwendig, Menschenfresser braten dir dann dein Herz, und skalpieren dir deinen inneren Schädel.
Beklage dich nicht, ohne das könnte die Macht die Welt nicht mit den Priestern teilen, und dein König könnte nicht an einen Gott glauben, der die Wahrheit so schwachköpfig fürchtet und das Recht so starrköpfig haßt wie er.
Ohne das würde die Menschheit ihr größtes Verderben nicht auf den Thronen vergöttern und den vergötterten Elenden noch edler und reiner finden als seinen obersten Priester, dessen Vestalin dem Schönsten aller Schönen an einem schmutzigen Kreuz liebäugelt und dessen Mönche die ersten Grundsätze des gesellschaftlichen Rechts für Verbrechen der beleidigten Majestät erklären.