An die Unschuld, den Ernst und den Edelmut meines Zeitalters und meines Vaterlandes

Ein Wort der Zeit von Heinrich Pestalozzi

Ritter des St. Wladimirordens und Mitglied mehrerer menschenfreundlichen und wissenschaftlichen Gesellschaften

Iferten, beim Verfasser, 1815. PSW 24A, S. 1-224 

Rechtschreibung und Interpunktion entsprechen nicht der Kritischen Ausgabe von Pestalozzis Schriften, sondern der regularisierten Fassung auf der CD-ROM.

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Vorrede

Die Ansichten dieser Bogen sind die Ansichten meines Lebens, aber es brauchte die ganze Größe unserer Zeitbegegnisse, um sie mir selber in dem Kolorit vorzustellen, in dem ich sie heute dem Publiko darlege. Im letzten Drittel meiner Lebensjahre drängten sich die dieses Kolorit begründenden Weltbegegnisse aufeinander, wie sie sonst, durch Jahrhunderte getrennt, kaum aufeinander folgen. Der Weltteil ist vom Wunder ihrer Größe und ihres schnellen Wechsels ergriffen; aber man geht, besonders in meinem Vaterlande im Rückblick auf denselben nur bis zur Revolution, und beachtet die diesem Weltbegegnis vorhergegangene Welt- und Staatenschwäche so wenig, als wenn sie nicht dazu gehörte.

Das ist unrecht; es ist sehr unrecht. Die Revolution ist in ihrem Wesen nur eine Fortsetzung, aber freilich eine in Verwilderung ausgeartete Fortsetzung dieser Schwäche, und der jetzige Zustand unserer selbst, insofern wir ihn als eine Folge dieses Begegnisses und seines Einflusses auf uns ins Auge fassen müssen, ist ein redender Beweis, daß wir die Weltschwäche, die der Revolution vorhergegangen, noch nicht hinter uns haben. Das ist so gewiß, daß wir auch jetzt noch hier und da die wesentlichsten Angelegenheiten der Menschennatur revolutionär, d.i. auf eine Weise ins Auge fassen, wie wenn unser Geschlecht kein edles menschliches, sondern ein tierisches unmenschliches Geschlecht und die Eigentumslosigkeit eben wie das Eigentum keine heilige, keine göttliche Sache wäre. Es ist so gewiß, daß wir infolge dieser Zeitverirrung und ihrer leidenschaftlichen Mißstimmung noch jetzo Unsinn über Unsinn aussprechen, z.E. die liberalen Ideen seien die Quelle aller Weltübel, und die illiberalen die Hilfsmittel dagegen. Ferner die Solidität des Volksunterrichts und die Kraftentfaltung der Menschennatur sei gefährlich, die Oberflächlichkeit desselben hingegen und das sinnliche, tierische Abrichten des Volkes sei das tunlichste und beste. Offenbar äußern wir am Ende der Revolution in unserem schweizerischen Vaterlande hier und da noch Grundsätze und Meinungen, wie wenn wir nur die rohe Wildheit ihrer äußeren Erscheinung stillstellen, hingegen die tiefe innere Schwäche des Geistes und des Herzens, aus dem sie hervorging, in unserer Mitte perennieren machen und sie sogar mit den unsinnigsten Äußerungen zur Schau stellen wollten.

Indessen ist zu unseres Vaterlandes Ehre doch auch wahr, daß diese Äußerungen unserem Volk im allgemeinen als bloßes Zeit- und Augenblicksgeschwätz zum Mund hinausgehen, ohne daß ihr Sinn und Wesen eigentlich in seinen Geist und in sein Herz eingedrungen wäre.

Sie brachten uns desnahen zwar in Widerspruch mit uns selber, aber sie erniedrigten uns nicht, wie dieses geschehen wäre, wenn sie uns wirklich beherrscht und als aus unserer Überzeugung hervorgegangen und von entschlossener Kraft unseres Willens unterstützt angesehen werden mußten. Das diesfällige Schwanken unserer Schwäche ist vielmehr ein Zeugnis, daß wir durch das Zivilisationsverderben mehr noch nur äußerlich manipuliert als wirklich verdorben sind.

Es ist gewiß, wenn wir schon einige dieser illiberalen Sprüchlein mit nachbeteten, so glaubten wir doch eigentlich nie, daß es zu Nacht heiterer sei als am Tage, und daß man bei einem recht dichten Nebel im Gebirge den Weg leichter finde als beim Sonnenschein. Und wenn wir auch gleich in einem Augenblick des Eifers einem Menschen den Kopf dafür abgeschlagen hätten, daß er wider uns behauptet, eine krumme Linie sei ihrer Natur nach kürzer als eine gerade, so glaubten wir doch, er habe recht und nur nicht auf alles Rücksicht genommen, worauf er hätte Rücksicht nehmen sollen, wenn ihm gar viel daran gelegen gewesen wäre, den Kopf noch lange frisch und gesund zwischen beiden Schultern zu tragen.

Nein! Der Gang der Zeiten duldet den grellsten Unsinn in der Täuschung des Volkes nicht mehr. Man ist nicht mehr bloß in den niederen Hütten, man ist selber auf den Thronen aufmerksamer auf die Folgen der Volkstäuschung geworden und sucht von allen Seiten mit Ernst und mit Liebe Mittel, den Quellen ihrer Unrechtlichkeit Einhalt zu tun. Der böse Traum von dem Recht durch Gewalt, als dem obersten Grundsatz des Rechts, liegt nicht mehr wie der schreckliche Alp in der Mitternachtstunde allgemein auf dem Herzen der Unschuld. Der ernste Sinn des Rechts und sein heiliges Recht steht nicht mehr wie das heilige Feuer einer entweihten Kirche, das der weinende Priester auf dem Hochaltar mit erloschener Asche bedeckt, ausgelöscht in unserer Mitte. Es brennt wieder wie vorher in seinem stillen, aber unauslöschlichen Glanz. Die Welt hat große Erfahrungen gemacht, vieles ist zur Sprache gekommen, und man läßt nicht mehr allen leidenschaftlichen Ansichten um der bösen Zeit willen ohne Widerspruch freien Lauf. Man fordert jetzt wieder fast allgemein von denen, die von den bösen Folgen der Liberalität und den guten der Liberalität sprechen, freundliche Erläuterungen über ihre Ansichten und Meinungen.

Das Zwischenspiel der Gewalttätigkeit, das den Weltteil wieder zu verfinstern drohte, konnte nicht lange dauern; es ist vorüber - es mußte vorübergehen. Es ist nicht bloß die Kraft und die Würde der bestehenden Zeitkultur, was den Weltteil unwiderstehlich vorwärts treibt, auch selber die Verirrungen der Unkultur und die Leiden der Inhumanität bewirken das nämliche. Es ist auch die Perfektibilität, auch wo er am unkultiviertesten ist, zu künstlich verdorben, um die Rohheit eines völlig barbarischen Widerspruchs gegen Wahrheit und Recht, gegen Volksbildung und Volkskultur zu ertragen.

Er kann nicht mehr hinter den Kulturpunkt, auf dem er steht, zurückgedrängt werden. Und dieser Punkt, der wie ein Fels zum Schutz der Humanität dasteht, ist heute wie noch nie auf das erste heilige Fundament der Kultur - die Erziehung gerichtet. Daß dieses wirklich also sei, hat sich als Tatsache in den Schicksalen meines Lebens und meiner Versuche bewährt. Diese standen bei der Unverhältnismäßigkeit meines Strebens mit meinen Kräften in der Welt wie Seifenblasen in der Luft. Die Welt sah sie als einen Traum an, aber der Traum schien ihr lieblich, und mit dem, was sie wünschte, übereinstimmend. Sie warf eine ernste und allgemeine Aufmerksamkeit auf mein Streben, und hat dadurch, was unter meinen Umständen unmöglich schien, - die Fortsetzung und Erhaltung meiner Versuche möglich gemacht.

Preußens König war der erste Fürst, der Zöglinge in mein Haus schickte, und zwar bestimmt, um die Kultur seines Reiches in den niederen Volksklassen zu befördern, und zum Zeugnis seines Glaubens an die Menschennatur, an ihre Perfektibilität und an das Weltbedürfnis der Menschenbildung und Volkskultur. Bayerns kraftvolle Regierung, obgleich mit meinen Ansichten nicht einverstanden, begünstigte den kraftvollsten meiner Zöglinge, Schmid, in seinen Anstrengungen für Volksbildung mit achtungsvollem Vertrauen.

Württemberg und Baden erzeigten Männern, die in ihren Staaten Versuche nach meinen Grundsätzen machten, eben diese Aufmerksamkeit.

Österreich, das durch seine reine Gemütlichkeit, durch seine geradsinnige Naturkraft und durch seine edle, unverschrobene Einfachheit dem inneren Geist der Volksbildung und dem tiefern Wesen ihrer vorzüglichen Mittel so nahesteht, und nur im Übermaß seines Wohlstands, ich möchte sagen, des Behaglichkeitszustands seiner Kraft ein Hindernis ihrer ganzen Entfaltung findet, hat den Mann, auf den ich volksbildungshalber meine ersten Hoffnungen baute, meinen Schmid in seinem Unternehmen im Vorarlberg mit hohem Wohlwollen geleitet, und mit den kraftvollsten Äußerungen bescheinigt, daß es das Wesen meines Bestrebens achtet, und in seiner Lage mit Weisheit und Kraft zu benutzen entschlossen ist. Auch ich selbst habe darüber die entschiedensten Proben. Fürst Metternich äußerte mir persönlich den Wunsch, die Grundsätze und die Mittel meiner Anstalt näher zu kennen, und hat vereinigt mit Fürst Schwarzenberg in einem für mich mißlichen Augenblick meine Anstalt auf eine Weise beschützt und durch Schritte gerettet, die sonst nur in Angelegenheiten von der höchsten Wichtigkeit stattfinden. - Ich weiß, was Österreich für sein glückliches Volk tun kann, ich weiß, was Franzens hohes Vaterherz hierin wünscht, und was die edleren Männer - ich setze hinzu, die edleren Frauen seines Reiches hierin zu leisten im Stand und zu leisten geneigt sind. Meine Hoffnungen hierin gehen freilich über mein Grab hinaus, aber sie sind groß, sie sind sehr groß.

Rußlands hoher Menschenfreund wird vom Innersten seines Herzens getrieben, die Volksbildung seines Reiches höher zu achten als die Ausdehnung seiner Grenzen, und strebt nach der ersten mit einer inneren Erhabenheit, die der äußeren Kraft gleich ist, die für die zweite in seiner Hand liegt. Die Größe der neueren Weltbegegnisse ist dem Kulturfortschritt der Welt sehr vorteilhaft gewesen. Der Donner unserer Tage hat die schlafende Schwachheit der Welt aufgeweckt. Die verlorene Achtung für das Heilige der Menschennatur hat die Edleren unseres Geschlechts wieder ergriffen. Die Ansichten der Welt über die wesentlichen Bedürfnisse der Rechte der gesellschaftlichen Menschheit haben sich mitten unter den schrecklichen Fußtritten, unter denen sie zu vergehen schienen, wahrlich veredelt. - Wie wenn das harte Eisen des Pflugs die unkrautsvolle Oberfläche des Ackers umstößt, und nun auf frischer, gereinigter Erde allgemein guter Same aufgeht, grünt und wächst, also entkeimen jetzt auf dem durch hartes, tiefes Unglück zerrissenen und überstoßenen Weltteil bessere und edlere Ansichten des menschlichen Rechts und der bürgerlichen Verhältnisse.

Es ist heute nicht die verächtliche Willkür des Volkes, es ist heute nicht die gefährliche Willkür der Fürsten des Weltteils, es ist heute die innige Vereinigung der Macht unverletzlicher Staatsgesetze mit der höchsten Freiheit des fürstlichen Vaterherzens, worin die Basis eines rechtlich beruhigten Zustands des Volkes gesucht wird.

Heil dem Weltteil, Heil den Tagen, in denen sein Geist diese mit seinem Herzen übereinstimmende Richtung nimmt! Es bedurfte einer Erneuerung, einer Heiligung seiner bürgerlichen Ansichten; ohne eine reine, die Sittlichkeit auf dem Thron und in den Hütten begründende Basis der Völker-Beruhigung sind alle Staatsgesetzgebungen ewig unzulänglich, das Innere, Heilige der Individualansprüche der Bürger an ein die Menschennatur wahrhaft und wesentlich bildendes, segnendes und erhebendes bürgerliches Recht zu befriedigen. Und es ist nur die heilige Macht der Souveränität und die von ihr, von ihrem inneren Heiligtum ausgehende Gewalt des allumfassenden fürstlichen Vaterherzens, die es vermag, den Personaleinfluß der Rechtslosigkeit und Selbstsucht der sinnlichen Menschennatur, die sich in den Staatsbehörden wie im Privatleben der Bürger allgemein ausspricht, in den Schranken des inneren Wesens der Rechtlichkeit zu behalten, und damit das Übergewicht der Willkür und der Gewalt über das Recht nicht bloß dem Wort, dem Buchstaben, sondern auch dem Geist der Gesetze und dem reinen Willen des fürstlichen Vaterherzens (zu) unterwerfen.

Es ist nur sie, die heilige Macht der Souveränität, die geeignet ist, dem Individuo im Staat unter allen Umständen, mitten in aller Strenge der Staatsgesetze und der Staatsvorkehrungen Schutz gegen das Unrecht in der Anwendung dieser Gesetze und in der Ausübung dieser Vorkehrungen dahin zu verschaffen, daß der rechtliche Mann im Land von dem Mißbrauch der Staatsgesetze und der Rechtslosigkeit der Staatsbeamten nicht ungestraft mißhandelt und der friedliche Bürger mit Sicherheit ungehudelt unter seinem Weinstock und Feigenbaum ruhen kann.

Der Fürst ist in dieser Rücksicht als Mensch, als Person, als Individuum in jeder Kollision des Stärkeren gegen den Schwächeren im Reich die heilige, das Recht gegen den Mißbrauch und gegen die Selbstsucht der Gewalt schützende Macht, er ist in dieser Rücksicht ein mit der ganzen Unbefangenheit der freien Menschennatur und über alle Ansprüche der kollektiven Existenz, alle Selbstsucht ihrer Behörden und alle Einseitigkeit und Verhärtung ihres Esprit du corps erhabenes Individuum. Und es ist bestimmt in dieser, den Fürsten als Individuum ins Auge fassenden Stellung, wodurch das eigentliche Wesen seiner Souveränität und ihrer, von allen Staatsgewalten unabhängenden und über sie alle erhabenen heiligen Macht besteht, und es scheint in dieser Hinsicht beim ersten Anblick, dieses reinmenschliche Fundament der inneren Heiligkeit der souveränen Macht mangle in den Republiken ganz.

Aber wenn wir das Wesen der republikanischen Verfassungen in ihrem Ursprung und in ihrer, sich von den monarchischen unterscheidenden Eigenheit ins Auge fassen, so erhellet klar, daß dieses nicht also ist, daß im Gegenteil eine Heiligkeit der souveränen Macht in den Republiken in ihrer ganzen Reinheit eben wie in Monarchien statt finden kann. Nur, daß sie in denselben nicht von einem Individuo, aber auch nicht von einem Stand, noch viel weniger von einer Behörde, sondern vom Volk selbst ausgehen muß. Freilich nicht vom Volk, das von der personifizierten Selbstsucht angeführt, der sehenden Niederträchtigkeit blind folgt. Auch nicht von einem, dessen Regierungsglieder die vorzüglichsten psychologisch, rein und veredelnd wirkenden Fundamente des Gemeingeists, der Gemeinkraft und der Gemeinwürde als den Ehr- und Geldvorteilen ihrer Stellen nachteilig ansehen, und [das Volk] darum ungefähr also behandeln wie ein Bauer einen jungen Baum, der, weil er ihm am unrechten Ort steht, zu seinem Aufkommen eben nicht mehr Sorge trägt. Nein, auch von einem Volk nicht, dessen Regierung persönlich sich nur bei einer mehr oder minder gutmütigen Willkür wohl und behaglich findet und bei jeder Störung dieser Behaglichkeit sogleich aufhört, gutmütig zu sein. Und am wenigsten [kann sie] von einem Volk ausgehen, dessen große Mehrheit zum Gesindel versunken, weil sie von allem erhebenden, bildenden und segnenden Zusammenhang der besseren und edleren Bürger einer Freistadt durch den unbürgerlichen Umschwung der Zeit faktisch ausgeschlossen worden.

Nein, nein, das innere Heiligtum der Souveränität kann nur von einem Volk ausgehen, bei dem der Segensgenuß dieses bürgerlichen Zusammenhangs noch in seiner lieblichen, traulichen Reinheit statthat; nur von einem, in dessen Mitte sich die ersten Männer des Staates noch zum Volk zählen, und dem Irrtum und der Selbstsucht gesetzloser Gewaltsmenschen, auch wenn sie ihren Unfug als Regierungsbehörden trieben, besonders aber [sich der] Elendigkeit des Vornehmtuns von Leuten widersetzen, die nichts, gar nichts sind, und nicht einmal unter dem gemeinen Volk, zu dem sie ohne alle Gnade alle hingehören, als achtungswürdige, will geschweigen als verdienstvolle Männer dastehen, - nur von einem Volke, das eine Verfassung hat, welche den Einsichten, dem Verdienst und der Tugend der Bürger allgemein ein gesetzliches Übergewicht über die Anmaßung der Selbstsucht, über die Unbill der niederträchtigen Zudringlichkeit und der gewalttätigen Ungerechtigkeit gibt.

Vorzüglich, aber ursprünglich geht die heilige Macht der Souveränität in ihrer höchsten Reinheit von einem Volk aus, das durch Not, Leiden und Unrecht gedrängt, sich wie unsere Väter für Gott und Vaterland zum Schutz ihrer gefährdeten Rechte mit Mut und Demut vereinigt, Gut und Blut der Sicherstellung seiner Rechte zum Opfer darbietet. Auch bei einem Volk kann sie stattfinden, das von solchen Männern herstammend, das heilige Recht ihrer Väter als ihr teuerstes Erbgut erkennend, dafür eifernd dasteht von Geschlecht zu Geschlecht, Mann für Mann, Mann mit Weib, Weib mit Kindern, Herr mit Knechten.

Hinwieder auch bei einem Volk, das durch höhere Kultur sich in sich selbst innerlich veredelt und dadurch zu allgemein reinen, der Menschennatur würdigen Ansichten des gesellschaftlichen Zustandes erhoben - bei solchen, aber auch nur bei solchen und nur bei kleinen Völkern ist es möglich, daß die Souveränität des Landes als eine heilige Macht so rein vom Volk ausgehe, wie sie von der Person eines edlen Fürsten als in solche ausgeht.

Ich sage noch mehr - ich bin ein Republikaner, aber nicht ein Republikaner für große Nationen. Ich bin ein Republikaner für kleine, aber edelmütig republikanisch organisierte Stadt- und Landgemeinden; und von diesen sage ich: Das Heiligtum der souveränen Macht kann sich in denselben zu einer Höhe erheben, deren psychologisch auf die Veredelung der Individuen einwirkender Segenseinfluß in der ausgedehnten Größe einer Monarchie nicht erreichbar ist. Ich habe S. 176 in diesen Bogen eine Szene berührt, die die mir in Monarchien unerreichbar scheinende Höhe des Heiligtums der Souveränität darstellt. Doch muß ich gestehen, die Szene, in der Maria Theresia in großer Staatsbedrängnis, ihren Sohn auf dem Arm, die ungarische Nation begeistert, daß sie aus einem Munde Gut und Blut für ihre Mutter, [für] den König der Ungarn, aufzuopfern schwuren, ist eine Szene, die der erhabensten Erscheinung der Heiligkeit der Souveränitätsmacht in den schönsten Tagen der Republiken gleichkommt, wo Regenten und Regierte gleichsam als eine und eben dieselbe Familie, gleichsam als eine und eben dieselbe Person im höchsten Enthusiasmus für das Wohl aller, für das Wohl des Ganzen im Glück und Unglück erhoben, mit Gut und Blut auf Tod und Leben miteinander vereinigt dastehen.

Daß mein Vaterland sich in allen seinen Abteilungen, in allen seinen Kantonen wieder zu dieser inneren Heiligkeit der souveränen Macht erhebe, daß es sich selbst wieder fühle und wieder werde, was es in den schönen Tagen seiner Würde und seiner Kraft war, das und nichts anderes ist der Zweck dieser Bogen. Vaterstadt! Nur dafür berührte ich einige deiner Verirrungen und nur darum schilderte ich einige deiner Schwächen.

Vaterstadt! Du warst Jahrhunderte durch ausgezeichnet die erste unter den Städten des Vaterlands. Du kannst wieder werden was du warst. Es ist nicht dein Geist, der dir mangelt, es ist nicht dein Herz, das du verloren, es ist nicht deine Kunst- und Erwerbskraft, die dich verlassen, es sind nur deine Mauern, deren harte, vierschrötige Türme du jetzt selber abbrichst, und die alte Irrführung deiner Bürger über das Wesen deiner Mauern-Rechte, die dich seit Jahrhunderten in dir selber verwirrt und einige der Deinen glauben machten, deine Vaterrechte seien inner deinen Toren in dem Grad größer, als deine Kinder außer denselben klein bleiben.

Der Irrtum war groß. Aber so groß er war, so lag ihm doch eine würdige Ansicht zugrunde. Vaterstadt! Du hast dich als reichsstädtisch freie und selbständig organisierte Stadtgemeinde zu einem sittlich-geistigen und wirtschaftlichen Selbstwert erhoben, - dadurch bist du bei der Konstituierung der Eidgenossenschaft der Mittelpunkt der Rechte der Genießungen der Tätigkeit und der Bildung aller mit dir verbundenen kleineren Stadt- und Landgemeinden, und hast dich Jahrhunderte lang im lieblichen Freiheitsverein dieses rechtlichen, segensvollen Verhältnisses erhalten.

Vaterstadt! Du warst ursprünglich von deinen Angehörigen außer deinen Toren nicht getrennt, wie dies später geschehen; deine Tore waren ihnen allen offen. Wer sich durch Verdienst, Einsicht, Gewerbsamkeit und Gelehrsamkeit auszeichnete, den riefest du gerne in deine Mauern, und wer sich vom Pflug weg zum in der damaligen Zeit geachteten und von dir konstitutionell erhobenen und veredelten Handwerks- und Gewerbsstand erhob, den nahmen seine Gewerbsgenossen und Mitmeister gern, sehr gern zum Zunftbruder und damit zum regierungsfähigen Bürger an.

Vaterstadt! Sei nicht undankbar gegen das Angedenken deiner alten Verfassung. Mißkenne das Bildende, das Erhebende, das Vereinigende, das allgemein nach einer rechtlichen Teilsame aller Stadtgenießungen, aller Stadtehre und aller Stadtvorteile Hinlenkende des inneren Wesens derselben nicht! Das Erniedrigende, das Hemmende, das Beschränkende, das Parteiische, das Trennende, das Hintansetzende, und selber das Empörende, das aus dem Mißbrauch ihrer Unschuld und ihrer Unbestimmtheit hervorging, mache dich nie vergessen, daß ihr Geist gut war! Ihr Kleid, das Äußere ihrer mißbrauchten Form, war dir endlich freilich zu eng - es mußte dir, wie es mißbraucht worden, endlich zu enge werden. Du mußtest es erweitern, aber du tatest doch wohl, daß du es nicht wegwarfest, und nur erweitertest; du tatest wohl, sehr wohl, daß du es in wahrer Treue und Liebe wirklich erweitertest, und das Kind nicht mit dem Bade, sondern nur das Wasser ausschüttetest, das, weil einiger Unrat darein gefallen, etwas trübe geworden. Du tatest wohl, daß du das alte, heilige Gefäß für dein Kind wieder mit frischem, mit sehr reinem Wasser anfülltest, auch daß du ihm kraftvolle Kräuter zu seiner Stärkung beimischtest und allen guten Rat und alle weise Mitwirkung benutztest, die zu benutzen vermöge deiner republikanischen Verfassung in deiner Hand lag. Vaterstadt! Ich habe mit Freimütigkeit einige deiner Verirrungen berührt, und dir hier und da in guter Laune einige Winke gegeben, die freilich auch in unserem Vaterlande nicht ein jeder alle Tage allenthalben einem jeden seiner Mitbürger geben darf. Aber, Vaterland, Vaterstadt! du mißkennst mich nicht, du verwechselst mich nicht mit den verächtlichen Zeitmenschen, die alle Tage um nichts und aber nichts politisieren, ich bin nicht ihrer einer - der Anfang und das Ende meiner Politik ist Erziehung. Was diese nicht berührt, darüber eifere ich nie. Auch lasse ich gern und ohne alle Zudringlichkeit einem jeden seine Meinung, auch wenn sie der meinigen e diametro entgegen steht. Nur mit denen komme ich nicht zurecht, die gar keine Meinung, sondern nur Gelüste haben, aber diese Gelüste zu ihrem Dienst in Meinungen umwandeln, und dann diese uns anderen so zudringlich und auf eine Weise auftischen, als ob wir sie schuldigerweise annehmen müßten. Auch mit denen komme ich nicht zurecht, die, wenn man ihnen das, was für Wahrheit und Recht, für Witwen und Waisen, für Leidende und Elende nottut, wie zweimal zwei sind vier, klar macht, darauf antwortet: Das ist alles schön und gut, aber es geht in unserer Welt nicht.- Ich vermag es nicht, diesen Zeitschild der Unmenschlichkeit zu ertragen. Es stößt allen Menschensinn, es stößt die Menschlichkeit selber zurück. Es weiß doch jedermann, und es ist im öffentlichen eben wie im Privatleben gleich wahr: Wie sich einer bettet, so liegt er, und was ein wirklich kluger und kraftvoller Mann angreift, von dem kann nur ein Tor, oder wenigstens ein Mann, der gar nichts angreift, zum voraus sagen, es geht nicht. Auch das ist gewiß, was immer die Menschennatur recht anspricht, dem hilft sie mit aller ihrer Kraft selbst vorwärts. Ich weiß freilich auch wohl, daß nicht alles gelingt, was der Klügste, was der Edelste sich vorsetzt. Und auch, daß nichts in der Welt so schwer ist als einem Menschen, der seinen Kopf sein ganzes Leben durch krumm getragen, dahin zu bringen, daß er ihn jetzt einmal gerade trage. Ich will ihn auch niemand also gerade stellen. Aber wenn ein Haus brennt, wenn ein Waldstrom einbricht, so darf kein Mann, der Mann ist, die Hand in Schoß legen und auf dem Turm zusehen, wie die Flammen auflodern, und die Flüsse Mühlen und Brücken mit sich fortreißen.

Nein, wenn die Übel der Staaten am Inneren, Heiligen der Menschennatur wie ein Krebsschaden nagen, dann ist es Pflicht eines jeden, die Natur und das Wesen dieser Übel unbemäntelt in ihrem wahren Lichte darzustellen, und selber die Individua, die sich als vorzüglich tätige Lohnknechte dieses Übels auszeichnen, - auch auszeichnen, daß sie jedermann kennt; selber auch wenn man zum voraus weiß, daß sie sich nicht daran kehren, sondern aus Erbitterung noch schlechter handeln werden als vorher. Ihre Söhne werden ihr Unrecht erkennen, und die Nachwelt wird sie verachten. Diese Erkenntnis, diese Verachtung vorzubereiten ist Vaterlandsdienst für die Gegenwart und für die Zukunft. Vaterland, Vaterstadt! Höre mich heute, höre mich morgen, das ist gleichviel. Meine Laufbahn ist vollendet, ich mußte reden, ich konnte nicht schweigen. Wie es einen Sterbenden drängt, sich noch vor seinem Scheiden vor den Seinigen offen und frei über alles auszusprechen, was ihm ihrethalben auf dem Herzen liegt, also drängte es mich in diesem letzten Jahre, mich vor dir über alles auszusprechen, was mir deinethalben zur Stunde auf dem Herzen lag.

Höre mich heute, höre mich morgen, das ist gleichviel. Einst, ich bin es gewiß, einst nimmst du das Wort meiner Unschuld, meines Ernstes und meiner Liebe, so unschriftstellerisch oder so schlecht schriftstellerisch ich dir es gegeben, doch mit dem Edelmut auf, der dem schweizerischen Nationalcharakter nie mangelt, wenn er sich in einem leidenschaftslosen Augenblick ausspricht. - Dieser Augenblick wird kommen, ich hoffe mit Vertrauen auf ihn, freilich mit Zuverlässigkeit nur - hinter meinem Grabe.