Johann Heinrich Pestalozzi - Vater der Waisenkinder
Marika Mörschner
In: Mörschner, Marika: Sozialpädagogik und Schule. - München : E. Reinhardt, 1988. - S. 108 - 115
SW: Sozialpädagogik ; Schule
In diesem Kapitel werden Vertreter einer Sozialpädagogik im engeren Sinne vorgestellt. Er ergaben sich früh Berührungspunkte zwischen den an sich getrennt gesehenen Bereichen Sozialpädagogik und Schule. Trotzdem halten E. Raab und H. Rademacker es für ein Indiz falscher Geschichtsschreibung, "wenn Pestalozzi als einer der Begründer der Sozialpädagogik unkritisch in die Geschichte der Schule integriert wird."(S.108). Pestalozzi wird als einer der ersten Vertreter einer sich entwickelnden Sozialpädagogik genannt. Es dürfe aber nicht übersehen werden, daß gerade auch in dem Waisenhaus in Stans die Unterrichtung der Kinder ein wesentliches Element war. Es beständen Verbindungen zwischen Pestalozzis „Sozialpädagogik" und seiner „Theorie der Schule". Es erscheine notwendig, ihn nicht nur als Begründer der Sozialpädagogik, sondern auch als Pate einer sozialpädagogischen Schule zu berücksichtigen. Seine sozialpädagogischen Bemühungen hatten eine "emanzipatorische" Tendenz. Die Autorin berichtet, daß Pestalozzi Erziehung als Hilfe und Angebot verstand. Sie beschreibt die sozialpädagogischen Perspektiven. Pestalozzi hatte auch den Anspruch, die Kinder zur Selbständigkeit zu erziehen. Seine Absicht der Erziehung der Armen zur Armut wird erklärt. Es wird seine Parteinahme für die jungen Menschen gewürdigt. Die Erziehung zur Arbeit gehörte für ihn zur sittlichen Erziehung. Die Kinder sollten in einer Hausgemeinschaft erzogen werden. "In der gemeinsamen Arbeit innerhalb der Hausgemeinschaft glaubte Pestalozzi umfassende Mitmenschlichkeit bewirken zu können." (S. 111). Unter der Überschrift "Aspekte der Schule" beschreibt die Autorin: Die Idee der Gemeinschaft war auch in den Schulstuben Pestalozzis lebendig. Das "Schulleben" war ihm wichtig. (Der Lehrer "Glüphi" in "Lienhard und Gertrud" verwirklicht das "Schulleben".) Pestalozzi versuchte die Grundzüge seiner Wohnstubenerziehung auf den Schulunterricht zu übertragen. "Obwohl seine Arbeit in Stans primär nicht der Unterrichtung der Kinder galt, hatte er bereits dort Übertragungsmöglichkeiten entwickelt."(S. 113). Pestalozzi habe die Spannung zwischen Psychostrukturen und Sachstrukturen in der Schule nicht gesehen. Er plante die Hinführung zur Arbeit in der Schule. Seine Pädagogik habe eine sozialerzieherische Komponente. Der Gegensatz zwischen Lernschule und Erziehungsschule wird abgeschwächt. "Ein Zusammenhang von Schule und Sozialpädagogik ergab sich in besonders spezifischer Weise in den Waisenhäusern Pestalozzis" (S. 114). Seine Vorschläge über das Zusammenleben von Lehrern und Schülern wirkten heute geradezu utopisch. Er formulierte "Mitmenschlichkeit" auch als Lernziel. Der leitende Gedanke des "geschwisterlichen Zusammenlebens" wird erwähnt, dabei auch die intensive Beschäftigung des Lehrers mit den Kindern auch außerhalb der regulären Unterrichtsstunden. Die Strenge mancher Erziehungsmaßnahmen (z.B. Ausschlüsse aus der Schulgemeinschaft) wird kritisiert. Als wesentliches Merkmal der Pestalozzischen Pädagogik wird das von der Erziehungswirklichkeit ausgehende methodische Vorgehen und der ständige Wechsel von theoretischer Reflexion und praktischer Arbeit. Es lassen sich eine Reihe von Verbindungslinien zu unserer heutigen Situation finden, welche die Diskussion von Pestalozzis Werk rechtfertigen.
(FR)