Die Katzengerechtigkeit
Nr. 200 (PSW 11, S.253-256)
"Wo wir uns nur zeigen, da heißt es: "Hier sind die untreuen, diebischen Katzen!" Könnten wir nicht auch zu Futter und Mahl kommen, ohne diesen bösen Namen?"Also sprach neulich eine Katzenschar, da ein paar von ihnen über der Tat ertappt, mit wundem Felle ihrer Strafe entronnen. Eine fette Schoßkatze antwortete ihnen: "Kinder, schmeichelt den Menschen, und sie werden euch füttern, wie mich die Tante, die mir alle Sorge des Stehlens und alle Mühe des Mausens mit ihrem eignen Brot und mit ihrem eignen Braten erspart."
"Das hilft nur", sagte eine arme, magere, "wenn man ein Fell hat, das dem lüsternen Manntier gefällt oder sonst so glücklich ist, eine Katzentante zu finden, wie du eine hast."
"Ja, ja, die Schoßkatzen haben gut reden", schrien jetzt alle magern Katzen, "wir anderen mögen lange miauen; es bringt uns dafür niemand weder Braten noch Brot."
Das verdroß die alte Schoßkatze; sie sagte zu ihrer Nachbarin: "Das Bettelvolk ist allenthalben gleich; es läßt sich nie raten; wenn sie Verstand hätten, so würden sie doch an meinem Sessel und an meinem Tische merken, daß ich es wohl verstanden habe, mich durch die Welt zu ziehen." Mit dem schlich sie sich fort.
Darauf sagte die alte, arme, magere, die aber auch nur auf eine andere Art als die Schoßkatze einen verdrehten Kopf voll der dünnsten, träumerischen Einbildungen hatte, zu ihren magern Gespielen: "Ärgert euch nicht, sie meint es nicht böse; aber das Sesselsitzen macht alle Katzen zu Narren. Mich hat es nicht verderbt; mein mageres Fell zeugt, daß ich alles Katzenelend selbst erfahren und selbst getragen habe. Ich weiß also aus sicheren, eigenen Erfahrungen nicht bloß, wo es uns fehlt, sondern auch noch, wo es uns in Zukunft fehlen wird. Auf diese Erfahrungen gestützt, glaube ich, es sei ein einziges Mittel zu unserer Errettung übrig. Wir müssen uns nämlich mit den Mäusen vergleichen, daß sie uns Futter und Mahl selbst zusammentragen, und wir hingegen sie dann nicht mehr fressen."
Erstaunt stand die Katzenschar da. Der Vorschlag schien ihr eine wesentliche Neuerung gegen die uralte Verfassung der Welt und gegen die ursprünglichen Naturansprüche und Gewaltsrechte ihres Standes.
Doch allmählich wurden sie mit dem Gedanken an eine solche Vereinigung vertrauter und fingen an, ihn allerdings mit dem Geist der Zeit und der Umstände übereinstimmend zu finden. Er gefiel vorzüglich den Armen und Mageren. Von den Jungen und Starken hingegen sagten einige: "Die so allenthalben zusammengetragene Mäusespeise kann uns nicht dienen, und es ist uns ewige Schande, also an der Mäuse Kost zu kommen und von ihnen das Gnadenbrot zu essen."
Andere hingegen behaupteten: "Diese Ehrenbedenklichkeit gegen Mäuse sind weit unter uns und jetzt gar zur Unzeit. Was uns Tiere bringen, die wir fressen könnten, kann uns in Ewigkeit keine Schande sein."
Eine arme, magere, die diese Ehrenbedenklichkeiten auch zur Unzeit angebracht fand, sagte noch: "Glaubt mir, ich habe es erfahren, Mäusespeisen sind Leckerbissen, und wenn sie es auch nicht wären, so bedenkt: wenn wir uns forthin ohne eine Nachhülfe bloß mit Mäusefleisch erhalten wollen, so müssen diese Tiere, sie könnten nicht anders, nach und nach aussterben, und dann wird das hartherzige Manntier, das uns nicht ferner brauchen kann, uns zu Tausenden zu Tode schlagen."
Vor diesem Gedanken entsetzten sich alle Katzen, und hoch schwoll jetzt in ihrem Herzen der Wunsch, mit Mäusebrot versorgt, ein ehrliches und gerechtes Auskommen zu haben und die Mäuse dann nicht mehr zu fressen.
Diese wurden also versammelt. Die mürben Katzen gaben ihnen Geleitsbriefe, und eine katzenfeindliche Dogge war ihnen für das Worthalten Gewährsmann.
Indessen hatten es die schlauen Tiere durch Hoffnungen, die sie bei einigen Mäusen erregten, beim einzuführenden Katzentribut als Kommissäre angestellt zu werden, dahingebracht, daß ihre Gesandtschaft mit großen Ehren empfangen und mit einer feierlichen Anrede bekomplimentiert wurde, deren Auszug den Akten beigefügt ist.
Sobald die Komplimentiermaus ausgeredet hatte, so trat dann der Katzengesandte mit gemessenem Schritte hervor, stellte sich ganz bescheiden an die Seite seines Gewährsmannes, dankte vorläufig für den freundlichen, ehrenhaften Empfang und versicherte darauf von aller Katzen wegen, ihr jetzt lebendes Geschlecht sei mit dem Geiste der Zeit unendlich vorgeschritten und habe selbiges an der Liebe, die nunmehr alle Tiergeschlechter zur Gerechtigkeit, zur Mäßigung und zur Sittlichkeit zu zeigen anfangen, sein größtes Wohlgefallen. Sie wünschen auch nichts mehr und nichts sehnlicher, als das goldene Zeitalter, in welchem alle Tiere friedlich untereinander lebten, wiederherzustellen und besonders schickliche Mittel ausfindig zu machen, den alten Zwist, der zwischen ihrem gewaltigen und starken Geschlechte und dem gutmütigen, bescheidenen, aber schwächeren Mäusegeschlecht seit der Erschaffung der Welt unglücklicherweise obgewaltet hat, ein beförderliches und glückliches Ende zu machen. Sie seien auch ihrerseits fest entschlossen, das Mäusegeschlecht von nun an nicht mehr als ein ihnen mit Leib und Blut zu dienender Fraß, sondern als ein ihnen freiwillig und rechtlich verbundenes Volk anzusehen und zu betrachten; hoffen dann aber, daß die Mäuse hierin ihren Edelmut ganz erkennen und auch ihrerseits alles dasjenige tun werden, was unumgänglich erfordert werde, eine so glückliche Vereinigung des gegenseitigem Interesses beider Geschlechter zustandezubringen.
Darauf ließ sie von der Spitzmaus, welche die Feder führte, das weitläufige Projekt dieser ewigen Vereinigung ablesen; und nachdem dieses geschehen war, sagte sie dann noch mit katzenfreundlichen Worten: "Es ist ja nur eine ganz unbedeutende Kleinigkeit, was die mächtigen und edelmütigen Katzen von euch zu fordern geruhen; und ihr könnt jetzt, was ihr nie hattet hoffen dürfen, Sicherheit, Leben und häusliche Ruhe mit unglaublich kleinen Dienstleistungen erkaufen."
Aber kaum hatte sie ausgeredet, so trat eine Maus, deren Kühnheit sie zum Sprecher ihres Geschlechts machte, auf und sagte: "Brüder und Schwestern! Bisher fing uns doch nur das Manntier mit Speck; laßt uns nicht dahin versinken, selbst am Katzenspeck anzubeißen und uns durch Verräter aus unserer Mitte und ihre freche Beredsamkeit selbst dahin zu verführen, uns, unsere Kinder und Nachkommen zu ewigen Katzenknechten zu machen. Die Natur", fuhr sie fort, "hat uns gelehrt, unser Heil in unseren Löchern zu suchen und es unserm Herzen verboten, dasselbe jemals von Katzengunst und Katzengnade zu erwarten."
Das war allen guten Mäusen wie aus dem Herzen geredet; sie flohen in ihre Löcher, und was auch die Komplimentiermaus immer tat, es zu verhüten, so konnte sie die Mäuse nicht mehr zum Stehenbleiben bringen, und die deputierte Katze mußte mit dem Bericht zurück: Wenn sie leben wollen, so müssen sie sich forthin allen Beschwerden des Lauerns, allen Mühseligkeiten des Mausens und allen Gefahren des Stehlens unterziehen. Die unnatürlichen. und versteckten Maustiere seien ganz unmöglich dahinzubringen, ihnen aus freiem Willen ein ehrliches und gerechtes Auskommen zu versichern.
Das hatten die stolzen Katzen nicht erwartet; sie glaubten im Gegenteil, die Mäuse würden alles in der Welt tun, um sich von ihrem Blutrecht loszukaufen. Da es aber also nicht geschah, schrien sie wie aus einem Munde: "Es ist nichts daran gelegen; wir wollen es ihnen jetzt schon machen." Doch miaute noch eine zwischenhinein: "Es ist verflucht, daß wir mit diesem unvorsichtigen Antrage unsern ganzen Katzenstand kompromittiert haben; aber wenn ich dabei gewesen wäre, so wäre es gewiß nicht geschehen."