Der Raupenfänger
Nr. 2 (PSW 11, S. 102-103)
Sie flog vor ihm als Schmetterling einher. Er jagte ihr durch Feld und Flur nach; aber das Volk, das die Erde bebaute, klagte, er verderbe ihm mit seinem Tun sein Gras und sein Korn.
Sie kroch vor ihm auf dem wachsenden Kohlstock, auf dem blättervollen Baum und an der grünenden Hecke; er haschte sie wieder; - aber sie starb in seiner Hand und er warf sie als ein faulendes Aas weg.
Jetzt hing sie am sich entblätternden Baume und an den kahlen Wänden des Hauses er haschte sie noch einmal und wartet jetzt bis ihre tote Larve für ihn sicher zum Leben erwacht.
Wenn du die Wahrheit suchst, so jage ihr nicht nach, hasche nicht nach ihr, warte ihrer in Liebe, Ruhe und Geduld. Tust du dieses, sie kommt selbst zu dir; sie klopft an deiner Türe an und will Wohnung bei dir machen; besonders aber jag' ihr nicht nach, wenn sie vor dir in den Lüften schwebt und von dir weg fliegt. Jagst du ihr dann nach, so zertrittst du mit deinen Jagdsprüngen nach ihr Segenswahrheiten, die du schon im Besitz hast und die dir ohne alles Mass mehr wert sind als die, denen du nachjagst. Am allerwenigsten reisse die Wahrheit, wenn sie vor deinen Augen, zu deinen Füssen gedeiht, mit harter, frevelnder Gewalt von dem Platze weg, auf dem sie Nahrung findet, um sie, ohne Rücksicht auf ihre Nahrung, hinzutragen, wo es dich gelüstet. Tust du dieses, so wird sie in deiner Hand zum stinkenden Aas. Nur allein, wenn du der Wahrheit, in welchem Zustand sie auch vor dir steht, wäre es auch in einer tot scheinenden Hülle, mit Ruhe, Geduld und Liebe wartest, bis sie für dich sich zum Leben entfaltet, nur dann wird die Wahrheit, die du suchst, heilige, segnende Wahrheit, nur dann wird sie für dich wirkliche Wahrheit sein.