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Newsletter Nr. 5

Peter Daniel Bender besucht Pestalozzi in Yverdon, die neue Veröffentlichung von Ralf Brocker, 2024: „Pestalozzi – Ein Sokratiker?“ und zur Werbung auf unserer Website.

Liebe Freunde unserer Website,

im ersten Newsletter habe ich Ihnen über die Informationsangebote des Ordners „Biographie“ berichtet, im zweiten Newsletter über die 20. Generalversammlung 2022 und die Informationsangebote des Ordners „Werke“, im dritten Newsletter über die 21. Generalversammlung 2023 und die Informationsangebote der Ordner „Wissen“, „Aktuell“, „Verein“, „Links“ und „Werbepartner“ und im vierten Newsletter über die 22. Generalversammlung 2024 unseres Vereins und die Weiterentwicklung der Website.

Peter Daniel Bender besucht Pestalozzi in Yverdon

1813 wanderte der 20 Jahre alte Theologie-Student Peter Daniel Bender   von Strassburg nach Tübingen, wo er sein in Strassburg begonnenes Studium fortsetzen wollte. Vom 2. bis 26. September 1813 ist er insgesamt 193,5 Stunden unterwegs, wie er in seinem Reisetagebuch fein säuberlich und detailliert festhält. Er ist durchschnittlich beinahe 8 Stunden pro Tag unterwegs und berichtet darin von Tag zu Tag von seinen Erlebnissen.

Von besonderem Interesse für uns ist sein Besuch bei Pestalozzi in Yverdon. Von diesem Besuch berichtet Bender auf den Seiten 15 und 16 in der Transkription (S. 42 bis 44 im Original) seines Tagebuchs, nachdem er am 10. Tag seiner Wanderung über Basel und Biel in Yverdon angekommen ist. Bender hat den Auftrag an Pestalozzi einen Brief von Peter Mäder   zu überbringen, Mäder war ein Studienkollege Benders.

Der Bericht lautet:

Gleich nach meiner Ankunft [in Yverdon] ging ich auf das Schloss, um den Brief zu überbringen, den mir Mäder an Pestalozzi mitgegeben hatte. Mein Verlangen, diesen grossen Mann zu sehen, war aufs höchste gestiegen. Ich ging zu ihm hin, als wenn ich zu einer höchst wichtigen Verrichtung, zu denen wir nur selten in unserem Leben gelangen, hätte gehen sollen. Der Mann zog mich mächtig an sich und ich bildete mir allerlei Vorstellungen und Ideen von ihm, nicht, wie gross er wohl von Körper sei und welche Farbe sein Schlafrock habe, sondern, welches wohl die Gesichtszüge seien, wie wohl das heitere oder ernste Äussere beschaffen seien und ob es auch den grossen Mann erraten lassen möchte.- Als ich zum Schloss kam, kehrten die Zöglinge,ohngefähr 80 an der Zahl, von einem Spaziergange, nebst ihren Lehrern, zurück. Pestalozzi war nicht im Schlosse. Ein Lehrer fragte einen der Zöglinge: „Weißt du nicht, wo Vater Pestalozzi ist?“ Und dieser rief seinen Mitschülern zu: „Wisst ihr denn nicht, wo der Vater hingegangen ist?“ Da niemand wusste, wo er war, so war einer der Lehrer so gefällig, mir ihn suchen zu helfen. Nach langem Suchen fanden wir endlich den drei und achtzigjährigen Greis [Bender irrt, Pestalozzi war erst 66 Jahre alt], mit der Brille in der Hand, in Nachdenken versunken, auf der Straße. Als ich ihm mein Compliment gemacht und darauf den Brief von Mäder überreicht hatte, nahm er mich bei der Hand und führte mich so zum Schlosse die Treppe hinauf und in ein Zimmer, wo ich mich neben ihn auf ein Sopha setzen musste. Eine halbe Stunde blieb ich bei ihm. Er sprach mit mir von politischen Angelegenheiten und teilte mir einige Neuigkeiten aus Briefen mit. Da die Hauptstunden heute schon geendigt waren und ich also dem Unterrichte nicht beiwohnen konnte, so lud er mich ein, auf einen Tag bei ihm zu bleiben, welches ich aber ungern ablehnen musste, denn meine Zeit ist beschränkt, wie weit mein Geld reichen wird, weiß ich noch nicht, und was habe ich denn gesehen, wenn ich einmal durch alle Lehrstuben gelaufen bin? Könnte ich längere Zeit bleiben, wie gern würde ich dies ergreifen. – Tief rührte mich die Leutseligkeit, mit der der ehrwürdige Greis mich empfing, und die Wärme, mit der er sprach. – Mein Mäder beklagt sich, sagte er, wie er gewöhnlich zu sprechen pflegt, in schweitzerischem Dialekt, mein Mäder beklagt sich, dass ich ihm noch nicht geschrieben habe. Sagen Sie ihm, wenn Sie ihn wieder sehen, ich vergesse keinen meiner Schüler, allein ich schreibe auch keinem; denn allen kann ich nicht schreiben, und der eine ist mir so lieb als der andere. – Pestalozzi schien, was seine Person betrifft, nicht viel auf Putz und Ordnung zu halten. Ich fand ihn mit ungekämmten Haaren, in einem alten Unterrock, einer grauen alten Hose und ohne Hut. Die Strümpfe hingen über die Pantoffeln hinab. – Die Last der Jahre und ein mühevolles, oft beunruhigtes Leben haben tiefe Furchen in seine Stirn gezogen, allein diese Furchen vermochten den Ausdruck der Heiterkeit, des freundlichen Ernstes und der reinen Menschenliebe nicht aus seinem Gesichte zu verdrängen. Herzlich drückte er mir, als ich wegging, die Hand und bot mir seinen Mund zum Kusse. Gerührt verließ ich ihn und froh zugleich, den großen Erzieher gesehen und mit ihm gesprochen zu haben. – Möchten ihm noch einige Jahre des Lebens vergönnt sein, und der Welt noch viele nützliche Bürger, noch viele Menschenfreunde zu bilden, und in den Herzen seiner Zöglinge den Keim der Tugend zur schönen Pflanze zu erziehen. Pestalozzis Institut hat in diesen unruhigen Zeiten sehr abgenommen. Sonst hatte er gewöhnlich über 150 Zöglinge und jetzt nur 80. Nebst diesem hat er noch ein Mädcheninstitut in einem andern Flügel des Schlosses. Das Schloss, in welchem Pestalozzi wohnt, liegt ohngefähr in der Mitte der Stadt und hat die Aussicht auf den See. Es ist fest, mit Mauern, Türmen und Gräben umgeben, und 600 Jahre alt. Ich machte nachher einen Spaziergang um den See, welcher bei dem sehr starken Winde hohe Wellen warf. Die Alleen zwischen der Stadt und dem See sind herrlich. An der anderen Seite der Stadt kam ich noch durch mehrere schöne Alleen und an prächtigen Landsitzen vorbei, welche die reizendste Lage haben. Der Teil des Jura, der am Anfang des Sees steht, heißt hier Chasseron und ist 3625 1/2 Fuß über die Seefläche erhaben. Das Wetter ist diesen Abend unangenehm und rauh und der Wind schneidet, deswegen kehrte ich bald zurück, obgleich ich noch gern meinen Spaziergang fortgesetzt hätte, denn die Gegend ist herrlich und am See hat man prächtige Aussichten. Der Aufenthalt hierselbst muss in der schönen Jahreszeit entzückend sein.
Von Yverdon aus setzte Bender seine Wanderung über Lausanne, Bern, den Brünig, Zürich und Schaffhausen nach Tübingen fort. Bender ist ein begeisterter Schweizreisender und er schwärmt immer wieder von den Bergen und Landschaften. Von der Schweizer Bevölkerung ist er allerdings weniger angetan und er muss mit seinen Illusionen immer wieder hadern. Insgesamt ist die Beschreibung seiner Wanderung durch die Schweiz auch für heutige Leser sehr interessant und aufschlussreich, zeigt das Tagebuch doch sehr anschaulich die Schweiz anfangs des 19. Jahrhunderts aus der Sicht eines jungen nicht privilegierten Studenten.

Benders Reisetagebuch im Oktavformat umfasst 151 Seiten und ist in einer Abschrift im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland aufbewahrt. Die vollständige Transkription dieser Abschrift ist abzurufen unter:

https://archiv.ekir.de/wp-content/uploads/2023/03/Schweizreise_BenderPeterDaniel-1.pdf

Die neue Veröffentlichung von Ralf Brocker, 2024: „Pestalozzi – Ein Sokratiker? Eine hermeneutische Analyse im Kontext sokratischer Lehrart im 18. Jahrhundert“.

Im ausgehenden 18. Jahrhundert wurden die Ideen von Sokrates (469-399 v. Chr.) neu entdeckt und von vielen Philosophen und Pädagogen aufgegriffen. Der Autor dieses umfangreichen und vielschichtigen Werks von 431 Seiten geht zuerst auf die Pädagogen des Philanthropismus im 18. Jahrhundert ein. So haben Johann Heinrich Campe (1746-1818) und Johann Bernhard Basedow (1724-1790) sich zwar um die Aktivierung der Schüler sehr verdient gemacht, aber der Unterricht ist bei ihnen immer „lehrerzentriert“ geblieben. Ernst Christian Trapp (1745-1818) zeigt eine konzeptuelle Offenheit, er aktiviert sehr stark die Schüler, allerdings ist auch seine Unterrichtsmethode ist noch immer stark von Lehrer geprägt. Erst Johann Stuve (1752-1793) und Philipp Julius Lieberkühn (1754-1788) stellen die sokratische Methode in den Mittelpunkt, sie setzen der instruierenden Wissensvermittlung ein lebendiges Lehr- und Lernverfahren entgegen. Karl Friedrich Bardt (1740-1792) wollte bewusst die sokratische Methode im Unterricht erproben, aber seine sokratischen Ideen bleiben eine programmatische Aussage ohne praktische Umsetzung. Jean Jacques Rousseau (1712-1778) kannte über Platon die Gedanken des Sokrates. In seinem 1762 abgefassten Erziehungsroman „Émile ou De l’éducation“ kommt das von ihm postulierte Selbsttätigkeitsprinzip der mäeutischen Idee zwar nahe, aber das Kind, der Jugendliche bleibt auf dem Weg zum Erwachsenwerden allein und in seiner Entwicklung auf sich selbst gestellt.

Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob Pestalozzi ein sokratischer Pädagoge ist, bildet den Kern dieser Veröffentlichung und Brocker kommt zu dem Schluss, dass Pestalozzi in der Tat ein sokratischer Pädagoge ist. Pestalozzi hat in seinem monumentalen Werk, heute in 31 Werkbänden (PSW 1-29) und 14 Briefbänden (PSB 1-14) verfügbar, keine systematisch strukturierte Theorie hinterlassen, in seinen zahlreichen sozialen, politischen und anthropologischen Texten stellt sich nicht die Frage nach dem sokratischen Pädagogen. Obwohl Pestalozzi sich nicht ausdrücklich als sokratischen Pädagogen bezeichnet, so arbeitet Brocker doch heraus, dass Pestalozzi ein sokratisch denkender Pädagoge ist. Für Pestalozzi ist die Anschauung das Fundament aller Erkenntnis, nicht das Kategorisieren und nicht der reine Wortunterricht. Bei der sokratischen Methode wird die Antwort nicht vorgegeben und dem Schüler in den Mund gelegt, denn die Schüler müssen die Antwort selbst finden. An Textbeispielen vor allem aus „Christoph und Else“, dem Stanser Brief, den Elementarbüchern und „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ findet Brocker zahlreiche sokratische Elemente für seine Behauptung, dass Pestalozzi ein sokratischer Pädagoge ist. Danach ist für Pestalozzi u.a. das Fragen entscheidend. Fragen sollen zum Mitdenken führen, sollen Spielräume des Denkens eröffnen, sollen zur geistigen Aktivierung der Schüler führen. Auch Schülerfragen können die Mitschüler zu eigenen Denkanstrengungen anregen und zu eigenen Antworten herausfordern. Fragen aber dürfen nie suggestiv Antworten vorwegnehmen, sie müssen immer die Aktivierung der Denkfähigkeit der Schüler zum Ziel haben. (vgl. S. 309 ff) Bei Pestalozzis „Methode“ geht es nicht darum durch Belohnung und Strafe oder durch Belehrung zu lernen. Allerdings kann die sokratische Methode, Pestalozzi spricht mehrmals von „Sokratisieren“, immer nur der zweite Schritt sein, der auf vorhandenen Kenntnissen und Erfahrungen aufbaut. Für Pestalozzi kann Wissen und Erkenntnis nicht einfach von einem Menschen auf den anderen übertragen werden, es gibt nur den Weg, die jungen Menschen dazu anzuleiten, Wissen und Erkenntnis selbst auszubilden. Der Lehrer kann und muss Denkanstösse, Impulse und Anreize geben, damit die Schüler selbst Antworten suchen und in der Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand selbst finden.
Die ausführliche Besprechung dieses Buchs finden Sie auf unserer Website unter:

https://www.heinrich-pestalozzi.de/wissen/fachliteratur-ab-1946-auswahl/fachliteratur-ab-2003/pestalozzi-ein-sokratiker-eine-hermeneutische-analyse-im-kontext-sokratischer-lehrart-im-18-jahrhundert

Werbung auf unserer Website

Wir können auf unserer Website eine Werbung für das Stettli in Lenzerheide (CH) präsentieren:

Von den Empfängern unseres Newsletters wünschen wir uns weitere solche Aufträge. Wir erstellen das Werbebanner und kommen den Auftraggebern gerne entgegen, beispielsweise bei der Dauer der Präsentation. Wir präsentieren das Werbebanner nicht nur auf unserer Seite „Partner“, sondern auch auf unserer Startseite, womit eine deutlich grössere Wirkung erzielt wird. Als wichtiges Argument kann gelten, dass unsere Website pro Jahr über 80.000 Seitenaufrufe hat. Bei solchen Aufträgen wenden Sie sich bitte an Gerhard Kuhlemann (kuhlemann@imcasa.de).
Bitte werben Sie neue Mitglieder für unseren Verein „Pestalozzi im Internet“ und für den Bezug unseres Newsletter. Eine Zusammenstellung aller bisher erschienenen Newsletter finden Sie auf unserer Website unter:

https://www.heinrich-pestalozzi.de/anmel​​​​​​​dung​​​​​​​

Für die beginnende Vorweihnachtszeit wünsche ich Ihnen alles Schöne und Gute und bleiben Sie gesund. Wir freuen uns alle auf unser Zusammentreffen auf der nächsten Generalversammlung unseres Vereins „Pestalozzi im Internet“ auf Pestalozzis Neuhof in Birr (AG) am 07. Mai 2025

Es grüsst Sie herzlich
Ihr Gerhard Kuhlemann

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