Begrüssungsrede vor dem Bären
Pestalozzi Gedenkanlass vom 10. April 2008 in Langenthal
Begrüssungsrede öffentlicher Gedenkakt vor dem Bären
Johann Niklaus Schneider-Ammann, Nationalrat, Firmeninhaber
Liebe Langenthalerinnen, liebe Langenthaler
Monsieur le Président de la Conféderation
Sehr verehrte Gäste
Nachdem unser Stadtpräsident umfassend und nach Protokoll begrüsst hat, rufe ich Ihnen nur zu: Herzlich willkommen!
Ein besonderer Gruss gilt den geschätzten Gästen der Zürcher Zunft zur Meisen. Zahlreiche Nachfahren Pestalozzis sind deren Mitglieder. Einen besonderen Gruss rufe ich dem Oberbürgermeister von Potsdam zu. Jan Jakobs ist ein Pestalozzikenner ersten Ranges!
Liebe Gäste, Langenthal ist es uns wert!
Die Langenthaler Rede ist aktueller denn je. So aktuell, dass wir heute unseren Bundespräsidenten im Oberaargau, in Langenthal begrüssen dürfen. Hier hat Johann Heinrich Pestalozzi als Präsident der Helvetischen Gesellschaft im April 1826 der Schweiz sein Erbe vermacht. Er hinterliess uns eine scharfsinnige Analyse der damaligen Eidgenossenschaft, Visionen einer gerechten und prosperierenden Schweiz, zukunftragende Wertvorstellungen.
Herr Bundespräsident, Ihr Departement ist ein Spiegel der Anliegen und Themen, die Pestalozzi Zeit seines Lebens beschäftigten.
Bildung, Wissenschaft, Erziehung, die soziale Schweiz. Pestalozzi sprach von Eigenverantwortung auch für die Arbeitnehmer, von gewerblichem Fleiss und Fertigkeiten, von Leistung als Grundlage für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt, von Solidaritäten zwischen Arbeitgeber und -nehmer, von Solidaritäten zwischen Starken und Schwachen, vom Bauen einer stabilen, konkurrenzfähigen Industrie und gewerblichen Fertigkeiten, die allein unseren Wohlstand und damit den Sozialstaat sichern.
Er wies darauf hin, zu den Staatsfinanzen Sorge zu tragen. Er forderte Handel der weltoffenen Schweiz mit einem Europa auf der Suche nach politischer Freiheit und wirtschaftlichem Aufbruch. Er wies auf die grossen technischen Fähigkeiten, die sich in der Schweiz entwickeln können, hin.
Er forderte Weltoffenheit und offene Grenzen, Gastfreundschaft und Integration von Fremden in der Schweiz. Diese begründeten die Industrie mit (Jura, Hugenotten) und brachten den Werk- und Denkplatz Schweiz zum Blühen. Er vergass nicht soziale Missstände wie Ungerechtigkeit, Kinderarmut und fehlende Bildung zu geisseln. Er forderte die Stärkung der Familie als Grundlage der Nation, ohne die kein Staatswesen ein solides Fundament findet.
Starke und mutige Erkenntnisse eines, heute würde man sagen: Sozialpädagogen. freischaffenden Sozialarbeiters, Philosophen, Staatsmannes und an den damaligen Verhältnissen in Politik und Gesellschaft leidenden, verzweifelten Antworten suchenden Sozial- Bildungsunternehmers.
Wer sein Leben kennt, weiss, dass er als Unternehmer aus führender Bürgerfamilie in Zürich gescheitert ist, in Konkurs ging und bitter erfuhr, wie Niederlagen Existenznöte und -ängste und gesellschaftliche Ächtung bedeuten.
Umfallen ist keine Schande, aber Liegen bleiben schon! Pestalozzi erhob sich. Er beklagte selbstsüchtige, geldgetriebene, verantwortungslose, den schnellen Gewinn und Profit suchende Fabrikherren. Er wies immer wieder auf die Verwahrlosung der sich bildenden lohnabhängigen und sozial gefährdeten Industriearbeiterschaft hin.
Was würde wohl Pestalozzi heute zu einzelnen Managern auf dem Finanzplatz sagen, die abgehoben, ohne Bescheidenheit, ohne Bodenhaftung, das Mass und das Verantwortungs- und Gemeinschaftsgefühl verloren haben und Milliarden in den Sand setzen resp. Millionen in die eigene Tasche streichen?
Es ist noch nicht lange her, da erhoben führende Spitzenleute des Finanzplatzes ihre Stimme und belehrten die Politik. Sie forderten subito Professionalisierung, mehr Effizienz in der Regierung und unserem Milizsystems. Als Manager verlangten sie, die Schweiz, den Bundesrat, das Parlament und die Verwaltung mit gleicher Geschwindigkeit, mit der sie weltweit ihre Häuser umbauten, zu verändern. Tabula rasa zu machen in unseren Politstrukturen!
Und dies taten sie, ohne je in einer Aufgabe in unserem Milizsystem der res publica gedient zu haben! Ohne Rücksicht auf unsere Traditionen, auf unsere Geschichte und ohne Respekt vor Minderheiten und der politischen Kultur unserer Willensnation Schweiz. Hierzulande hat immer noch der Respekt vor Minderheiten und der politische Anstand Zukunft.
Unsere Schweiz ist keine Aktiengesellschaft! Hören wir heute auf Pestalozzi!
Was wollen wir mit dem heutigen Erinnerungsanlass? Wir wollen aufrufen zu Einsatz, zu Eigeninitiative und zu Eigenverantwortlichkeit. Als jemand, der häufiger auch andere Verhältnisse auf der weiten Welt kennen lernt, rufe ich Ihnen zu: Es lohnt sich, für alle!
Wir wollen Werte hochhalten: ohne Vertrauen geht auch heute nichts. Und Vertrauen kann man nicht einfordern, sondern nur leben – gegenseitig und gemeinsam.
Wir wollen an Langenthal, an unsere beeindruckende Geschichte, an die damalige Bedeutung Langenthals als führender Wirtschaftsstandort im Kanton Bern, an die Begegnungsstätte von Denkern und grossen Schweizerpersönlichkeiten erinnern.
Wir wollen ein starkes Bekenntnis zur Geschichtsträchtigkeit in einer verunsicherten und verzagenden Schweiz ablegen.
Wir wollen aufzeigen, dass unsere Herkunft Antworten für unsere Gegenwart und Zukunft hat! Wir wollen Grenzen setzen, gegen Kleinmut, Angst, Unsicherheit, Egoismus. Wir wollen ‚Nein’ sagen zu unanständiger, hasserfüllter, fertigmachender, ausgrenzender und anstandsloser Streitigkeiten, wie wir sie aktuell mit einer Hetzjagd einer vom Parlament demokratisch gewählten Bundesrätin erleben!
Dies nach dem Motto: Wehret den Anfängen! Demokratie ist Demokratie! Über Jahrhunderte erstritten! Errungenschaften dürfen nicht kurzsichtig und undemokratisch geopfert werden.
Wir wollen schädliche Negativbilder in der Wirtschaft korrigieren, die durch die aktuellen Geschehnisse auf dem Bankenplatz entstanden sind. Wir wollen soziale Spannungsfelder und Bruchlinien überbrücken. Sie sind für unser Land, Politik, Wirtschaft, Kultur und unsere Gesellschaft schädlich.
Wir wollen darauf hinweisen, dass politische, gesellschaftliche und soziale Zentrifugalkräfte, die heute die Schweiz auseinanderzureissen drohen, zukunftsfähige und wertorientierte Antworten brauchen. Daran arbeiten wir! Dazu rufe ich auf!
Wir wollen aufzeigen, dass es Menschen gab und gibt, die in schwierigsten Umständen den Glauben und die Kraft an die Durchsetzung ihrer Visionen nie verloren resp. nie verlieren. Das war gestern so, ist heute wahr und gilt auch morgen, hier in Langenthal und in der Schweiz.
Wir wollen aufrütteln, Mut machen, ermuntern, den dauerhaften Um- und Aufbruch unserer Schweiz, unseres Kantons und auch unserer Stadt mit zu gestalten und zuversichtlich mitzubauen. Mit und durch Pestalozzis zeitloser Hinterlassenschaft.
Wir hoffen, dass die heutige Gedenkfeier und die Langenthaler Rede unseres Bundespräsidenten eine ebenso starke Wirkung und Zukunft haben wird wie die Langenthaler Rede Pestalozzis.
Langenthal und Pestalozzi sind es uns wert!
Monsieur le Président de la Conféderation, la parole est à vous
für die zweite Langenthaler Rede!
Es gilt das gesprochene Wort