An die Unschuld, den Ernst und den Edelmut meines Zeitalters und meines Vaterlandes
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(1815)
So, denke ich, würden Lavater und Müller heute am ernsten Tag der Wiederherstellung des alten Schweizerischen Volksvereins mit den ersten Männern des Vaterlandes reden. Und wenn unter diesen ein Mann lebte, der den Bittenden verhöhnen und zu ihm sagen würde: "Wir lassen uns nichts vorschreiben; wir sind niemand auf Erden über das, was wir tun, Rechenschaft schuldig; alles, was wir dem Volke tun, ist eine bloße Gnade; wir können alles, was das Volk sein Recht heißt, zurückziehen, wenn wir nur wollen, und sobald das Volk von Recht redet, so ist dieses Zurückziehen der Wohltat eine demonstratio ad hominem von dem, was das Volksrecht ist, und wo es gut gehen muß, sein soll. Der Staat ist frei, unser Stand ist frei, das Volk ist nicht - frei und kann und soll nicht frei sein"; so würden Lavater die Tränen über die Wangen fließen, er würde sein Auge zum Himmel erheben und Gott um Hilfe bitten gegen den unbürgerlichen, unschweizerischen, gegen den Jakobiner-Sinn des Mannes, der also redete. Und dieser könnte das nicht ertragen. Sein Herz, der Überrest seines geerbten Schweizer-Herzens ist mit den neumodischen Gewalts- und Bändigungs-Maßregeln und Worten des mißstimmten Zeitgeistes, so laut er auch die Worte ausspricht, doch nicht in Übereinstimmung. Es würde sich zeigen, er könnte die Tränen Lavaters nicht ausstehen. Er würde, in altbürgerlicher Näherung ihm auf die Achsel klopfend, jetzt zu ihm sagen: "Herr Lavater! Herr Lavater! Es ist nicht so bös gemeint; ich bin auch ein Schweizer, und meine es mit dem Volk auch gut, und so gut als Ihr und ein jeder anderer, aber ich habe auch meine Meinung, wie Ihr die Eure; man muß einander hören, hören, und b'richten, b'richten; es fällt nie ein Baum auf einen Schlag." Und Lavater würde den innerlich nicht bösen, sondern nur eitlen und hoheitlich verirrten Mann, nachdem er also zum Freundlichkeitston der alten Schwäche zurückgekommen, auch freundlich bei der Hand nehmen und mit dem Ernst seiner Gebetstunde auf der Stirne und auf der Lippe ihn bitten: heute des Vaterlands und der einzigen, ewig wahren Basis der Schweizerischen Eintracht, der Freiheit des Volkes zu gedenken, und das Heil des Ganzen keinen Privatansichten und Verhältnissen nachzusetzen. Er würde ihn mit dem hohen Ausdruck seines inneren frommen Sinnes bitten, nicht nur persönlich mit den Bedürfnissen des Vaterlandes in Übereinstimmung zu sein, sondern auch dahin zu trachten, daß das Personale der oberen und unteren Behörden in ihrer Privaterscheinung sowohl, als in ihren öffentlichen Publikationen mit diesen Bedürfnissen des Vaterlandes in Übereinstimmung erscheine, und darin nicht hinter dem Zeitgeist und dem diesfalls wahrhaft guten Ton edler fürstlicher Volksbeamter und ihrer Proklamationen etc. etc. zurückstehe. So Lavater. - Müllers, des vaterländischen, Kernsprüche gegen die Regierungsverirrungen und Regierungsschwachheit des Vaterlandes, die den Geist der Freiheit im Busen der Bürger ersticken, sind öffentlich vom Vaterland gekannt und hochbelobt; haben aber nicht, wie man infolge ihrer hohen Belobungen hätte erwarten sollen, eigentlich tiefer in den Zeitgeist hineingegriffen; sie sind gar nicht wie etwa andere Sprichwörter, z.E. "Man muß fünfe gerade sein lassen" - "Mit Schweigen niemand fehlen kann" "Wenn man einen Stein nicht zu heben vermag, so muß man ihn liegen lassen" oder gar - "Wenn man den Hund wirft, so bellt er" - und denn:
"E'n guten alten Käs Dem Schweizer Bau'r ins G'fräß, Das braucht man in der Schweiz" - zu Modewörtern geworden, die den Geist unserer häuslichen und bürgerlichen Kraft eigentlich stempeln.
Vaterland, schließe deine Augen nicht zu vor der Größe deiner Übel; es ist heute wesentlich, daß du erkennest, daß es der Mißbrauch der Lücken, Unbestimmtheiten und Widersprüche, die in deinen Verfassungen liegen, sind, die uns individualiter und kollektiv bürgerlich enteiliget, entrechtlicht, entschweizert. Man sage mir nicht, diese Äußerung ist Undank gegen unsere alten Verfassungen; nicht unsere Verfassungen, sondern der unedle, der selbstsüchtige Gebrauch, den wir von den Lücken, von den Unbestimmtheiten und Widersprüchen, die in unseren Verfassungen waren, gemacht, das ist es, was diese Verfassungen selber in ihrem Wesen denaturiert und in Rücksicht auf ihre wesentliche Bestimmungen zu Totengerippen verwandelt und dem Gang der Willkür und der bösen unrechtlichen Gewalt in unserer Mitte hier und da Tür und Tor geöffnet, wie sie nur unter unedlen und schwachen Fürsten im Land offenstehen. Es ist offenbar, bei den Fehlern unserer Verfassungen hatte die willkürliche Gewalt, diese ewige Feindin des gesellschaftlichen Recht es leicht, es hier und da in unserer Mitte allmählich dahin zu bringen, daß sich das lebendige Interesse der Bürger für die Sicherheit und Unverletzlichkeit ihrer Gesetze gegen den Mißbrauch, d.i. gegen den durch Brief und Siegel nicht gestatteten Gebrauch der herrschaftlichen Rechte im Inneren ihrer altvaterländischen Gefühle sich schwächte und der Enthusiasmus für den Geist und das Wesen ihrer Rechte und Freiheiten sich in ihnen verloren, wodurch denn das Übergewicht des Machteinflusses der Regierungsbehörden und ihrer Selbstsucht über denjenigen der Verfassungen und ihres inneren Geistes sich entscheiden, und allmählich von Stufe zu Stufe sich dahin erheben mußte, daß endlich wie in verdorbenen Monarchien von Günstlingen begünstigte Regierungsbehörden und von Regierungsbehörden begünstigte Günstlinge der Realität aller Verantwortlichkeit gegenseitig entzogen, Hand in Hand schlagen konnten, das Land mit dem Unrecht (mit einer verfassungswidrigen und Freiheit schändenden Handlungsweise) zu überschwemmen, wie das Meer, das seine Felsengestade durchbrochen, dann ungehemmt und frei alle tieferliegenden Gegenden überschwemmt. Es ist offenbar, daß unter diesen Umständen das Machtübergewicht über das Recht, wenn und wo es wollte, leicht dahin kommen könnte, das innere Wesen wahrhaft konstitutioneller Verfassungen zu zernichten, und die verwaisten Bürger des Landes - ohne die äußeren Formen ihrer Verfassungen abzuändern und sogar bei ununterbrochener Fortdauer der alljährlichen Beschwörung ihres Buchstabens und ihres Wesens - freiheit- und rechtlos zu machen!!!
Vaterland! Wenn die Lücken, Unbestimmtheiten und Widersprüche deiner alten Verfassungen in der heutigen Erneuerung derselben nicht bestimmt ausgefüllt und ausgehoben würden; wenn der Geist des Verderbens, das Machtübergewicht über das Recht, wie es aus den Lücken, aus den Unbestimmtheiten und den Widersprüchen unserer alten Verfassungen hervorgegangen - in unseren neuen den nämlichen Spielraum finden, und der Mißbrauch der konstitutionellen Unbestimmtheiten gegen die wesentlichen Rechtsbedürfnisse der Stände und Individuen ebenso leicht wie vorher sein würde; wenn keine Basis der Rechtssicherheit aller gegen alle dem Einschleichen des bürgerlichen Unrechts allgemein konstitutionell Einhalt tun würde; und das Recht der Bürger in irgendeinem Winkel des Landes konstitutionell eine Gnadensache der Gewalt und der Willkür würden; wenn die Landes-Eintracht ihre Garantie nicht mehr in der Bestimmtheit, in der Wahrheit und in dem Edelmut der Verfassungen selbst finden sollte, und nur auf das Vertrauen einer einseitigen Regierungsgewandtheit und auf die beschränkte Kraftanwendung ihrer Behörden gebaut werden müßte; Holde Eintracht, bester Segen, Den der Himmel Herzen gab - wenn deine Wahrheit nicht mehr rein und hehr aus dem psychologischen Einfluß unserer Verfassungen auf die Herzen der Bürger ausgehen, sondern nur als Folge willkürlicher Maßregeln herzloser Menschen und als ein Verstandes-Resultat des Regierungs-Raffinements und seines Verderbens in unserer Mitte hervorgehen, dastehen und sich erhalten sollte, dann würde mein zerrissenes Schweizerherz den Wunsch des Vögelchens:
In Wüsteneien fliehen, Wo's keine Menschen gibt, in den Wunsch umwandeln: In Wüsteneien fliehen, Wo's keine Eintracht gibt.
Der Genius des Vaterlands wird es verhüten, daß dieser Wunsch jahrhundertelang keinem treuen Schweizerherzen als Folge der Lücken seiner Verfassung und ihres Mißbrauches aus seiner Seele entschlüpfe. Aber, wäre es möglich, daß unsere neuen Verfassungen, - indem sie die Lücken der alten beibehalten, und ihren Mißbrauch der bösen unbürgerlichen Selbstsucht wieder leicht machen - die alten vaterländischen Fundamente der bürgerlichen Eintracht, die bis jetzt dem Schweizer das Heimweh in allen Landen erzeugt, aus dem hohen Herzen der freien Männer der Lande verdrängen würden, dann wäre der höchste Gipfel des bürgerlichen Verderbens mehr als nur denkbar, und der Fall wäre dann wenigstens möglich, daß die Umwandlung der äußeren Formen unserer Verfassungen endlich nach Verfluß von Jahren in eine eigentliche Resignationsakte der Rechte und Freiheiten unserer Väter ausarten, ja selber, daß die Garantie unserer Verfassungen, wenn der erste Eifer ihrer schöpferischen Erscheinung erloschen sein und der Wurm des Verderbens an ihr, wie an allem Menschlichen nagen wird, endlich nach Verfluß von Jahren in eine Garantie dieser Resignationsakte selber ausarten könnte. Der Fall wäre dann möglich, daß endlich unsere Nation sich selber in eine wider sich selbst bewaffnete und immer und allgemein wider sich selbst in Aktivität stehende Armee umwandeln, und die Blüte der Jugend unserer Nachkommen zu einer Leib- oder vielmehr Hoffartsgarde eines eitlen und unedlen bürgerlichen Behörden-Personals versinken könnte.
Dann aber wäre doch mein Vaterland nicht mehr mein Vaterland, die Schweiz wäre dann nicht mehr die Schweiz, sie hätte sich dann selbst außer den Bund im Grüttli hinausgeworfen.
Das Heiligtum der Souveränität mangelte dann dem verwaisten Freistaat ganz, der General der Armee wäre denn alles, und Begegnisse, wie die von * *, die wir gottlob jetzt als unerweisbare Lügen ansehen müssen, könnten sich dann erwahren. Solche Begegnisse könnten denn sogar konstitutionell eingelenkt und möglich gemacht werden. Noch mehr - die Worte des Aufruhrs, die wir jetzt mit Schweizerherzen und mit Schweizertreue verabscheuen, könnten dann aus dem gepreßten Herzen edler Männer bedeutungs- und wirkungsvoll ins Volk - ins Schweizervolk fallen.
Aber dieser Zustand der Dinge ist jetzt nicht da, mein Herz sagt es mir, er ist ferne von uns; der Genius des Vaterlandes und die erleuchtete Edelmut der Männer, in deren Hand das diesfällige Schicksal des Vaterlandes und der Nachwelt gelegt ist, bewahren uns zuverlässig vor der Gefahr, daß wir und unsere Nachkommen früher oder später so weit versinken und das innere Gefühl der Würde und des Rechtes unserer Väter so weit verlieren. - Unser Volk - ist gut. Unsere Nation ist - in allen ihren Ständen und Abteilungen noch schweizerisch, noch eidgenössisch gut. Die Mode- und Zeitfreunde der willkürlichen Gewalt in unserer Mitte sind gottlob im allgemeinen noch nicht tiefsehende, vielseitig erleuchtete und kraftvoll gewandte Feinde der Menschheit und der Freiheit. - Das hier und da in unserer Mitte sich zeigende rechtlose Spuken gegen die Freiheit des Landes, d.i. gegen das gesetzlich gesicherte Recht des gesellschaftlichen Vereins geht gegenwärtig im allgemeinen noch gar nicht aus der Tiefe verdorbener Herrscherherzen, es geht gottlob noch jetzt nur aus dem Wirrwarr verdorbener Regierungsmanieren hervor, die ohne Bewußtsein ihrer eigentlichen und endlichen Tendenz sich aus Eitelkeit eingeschlichen, in der Schwäche der Vorzeit Nahrung gefunden, und durch die Mißstimmung unserer letzten Jahre zwar ihre alte Unschuld und Einfalt verloren haben und etwas gichtig geworden, aber doch noch nirgends und noch nie in ganz vollendete Regierungsverhärtung hinübergegangen.
So weit aber auch dieses alles wahr und uns in unserer Schwäche tröstend ist, so dürfen wir uns denn auf der anderen Seite doch nicht verhehlen, daß der Punkt, auf welchem unsere politische Nationalerleuchtung wirklich steht, uns doch nicht über das Wesen der Bedürfnisse des großen Tages, den Gott heute über uns verhängt, belehrt und erleuchtet hat. Nein, Vaterland! das Problem deines Tages ist noch nicht aufgelöst, es steht noch vor dir, und wartet - auf seinen Löser. Und der Zeitgeist ist der endlichen Lösung desselben auch nicht vorteilhaft. Tausend und tausend unserer Zeitmenschen sind kraftvoll zum Knöpfen und festen Zusammenziehen aller Arten von Gebinden, Banden und Knöpfen; aber weniger Finger sind bei nötiger Feinheit und Zartheit kraftvoll und mächtig, diese Gebinde, diese Bande, diese Knöpfe zu lösen. Der gewöhnliche Kraftarm der Zeitmenschen greift, wenn es um die Lösung solcher Knoten zu tun ist, immer und oft unglücklich gern zum Schwert - zum Schwert, das auf der ganzen Erde der Gewalt, ihrem Recht, und ihren Ansprüchen nicht immer in aller Unschuld dient. Und du, Vaterland! liegst auch nicht mehr in der Wiege der Unschuld des Mittelalters, aus dem deine Freiheit hervorgegangen; du darfst deinem lieben Schwert nicht alles, alles vertrauen. Der arme Umfang deiner Bändigungsmittel, dein Schwert ist klein, und wenn du schon gelernt hast, seine Scheide schön zu machen, so ist es doch klein, und sein Inneres sieht hier und da doch mehr einer etwas vom Rost angegriffenen, und ungleich gezähnten Säge als einem vollends probehaltigen Damaszener gleich. - Vaterland! Dein kleines Schwert ist das allergeringste von allen den Mitteln, die in deiner Hand liegen, deinem Volk Gutes zu tun.
Vaterland! Lehre deine Knaben, nicht dieses Mittel für das höchste - achten. - Es könnte zu hochgeachtet leicht in ein Mittel ausarten, das alte wesentliche Gute, das du heute bedarfst, in dir zu paralysieren und in einen Zustand der Lähmung zu versetzen. - Nein, Vaterland! nicht das Schwert - Nein! Nein! Licht! Licht über dich selbst, tiefe Erkenntnis der Übel, die gegen dich selbst in dir selbst liegen, Erkenntnis des wahren Zustands deiner selbst in der Lage, in der dich ein in seinem Wesen gleichartiger, aber in seinen äußeren Formen dreizehnfach ungleich gestalteter Mißbrauch der Lücken, der Unbestimmtheiten und Widersprüche, die in deinen Verfassungen lagen, irregeführt hat, das ist, was dir nottut.
Vaterland! Ich weiß, was es sagen will: Erkenne dich selbst! Ich weiß, was es sagen will, Lücken und Unbestimmtheiten von Verfassungen, die mehr und minder Jahrhunderte mißbraucht worden, gesetzlich auszufüllen und zu bestimmen. Männer, die ihr zur Umgestaltung der äußeren Form unserer Verfassungen berufen seid, das Vaterland blickt mit Ehrfurcht auf eure Aufgabe hin. Sie ist unermeßlich. Freund der Wahrheit und des Rechts! Sieh ihren Stoff! Ein paar Dutzend selbständige Staaten auf 7 bis 800 Quadratmeilen und ebensoviele souveräne Regierungen in republikanisch großer und oft unbestimmter Anzahl der Mitglieder, die daran wahrhaft oder scheinbar Teil haben! Hier souveräne Landsgemeinden! Dort souveräne Stadtgemeinden! Hinwieder souveräne Ratsversammlungen! Hinter ihnen privilegierte Stadt- und Dorfgemeinden! Untertanen von Stadtgemeinden! Untertanen von Landgemeinden! Untertanen von Ratsversammlungen! Untertanen, die es nur halb sind! Hinter ihnen mehr und minder und hier und da bis zur Souveränität hinauf privilegierte Zünfte, Herrschaften und Klöster! Mitten unter allen diesen Real- und Scheinrechten, Geschlechter, die von jeher gewohnt waren, ihren Willen als den obersten Willen im Lande, als das Gesetz des Landes anzusehen, Geschlechter, bei denen die Gewohnheit einer im allgemeinen ganz gewiß sehr wohlwollend ausgeübten Willkür dennoch in die Erbgefühle eines wirklich besitzenden kollektiven Souveränitätsrechts hinübergegangen, das mit fester und gewandter Kraft Jahrhunderte behauptet worden! Hinter diesem allem noch ein buntes Gemisch von Individualansprachen, die bald in Gala, bald im Bettelkleid ihrer Selbstsucht den Gang unserer Angelegenheiten, besonders im Fach der Emolumente mächtig influenzierten!!
Heiterer kann die Sonne nicht scheinen, als die Wahrheit fest steht: dieser Zustand ist ein Chaos, dessen Bestandteile der Zufall durcheinandergeworfen, die sich aber nicht durch die Art, wie sie durcheinandergeworfen worden, sondern durch die innere Güte des Nationalcharakters unseres vaterländischen Volkes so lange erhalten. Ganz gewiß haben wir diesem und diesem allein es zu danken, daß unsere Verfassungen, die, solange wie ein auf allen Seiten fruchtbarer und segensreicher Berg in unserer Mitte grünend und blühend dagestanden, nicht schon längst wie ein ausgebrannter Vulkan, unter dessen verhärteter Lava Städte und Dörfer begraben liegen, da stehen.
Diese Ansicht des Gegenstands ist nicht neu. Schon vor einem Jahrhundert hat ein österreichischer Gesandter in der Schweiz seinem Hof den Auftrag, über die Verfassung eines Schweizerkantons Bericht abzustatten, dahin beantwortet, (Est confusio divinitus conservata);# das ist sie, das war sie. Aber sie war (divinitus conservata)# nur durch die innere Güte unseres Nationalcharakters. Dieses innere Fundament unserer alten göttlichen Erhaltung hat in unserer Mitte seine heilige Kraft verloren und mußte sie verlieren. Es war bei den Lücken und Unbestimmtheiten unserer Verfassungen, bei der unbefangenen sorglosen Güte unseres Nationalcharakters, und bei dem langen Traum von allgemein gesicherter Vaterlandskraft der gewandten Anmaßung und Selbstsucht gar leicht, dasselbe verschwinden zu machen.
Auch ist es geschehen. Wir sind aus einem traulichen, aber kraftvollen Bürger- und Bergvolk, das wir allgemein waren, hier und da, selber an den bedeutendsten Stellen unseres Daseins und selber in den Höhen, in denen sich der Lebensgeist unserer Bürgerkraft eigentlich hätte bilden sollen, ein physisch und geistig geschwächtes Geschlecht, anmaßungsvolle, ehrgeizige Hoffarts- und Geldmenschen geworden, in deren Mitte selbstsüchtige intrigante Politiker und kalte, unvaterländische Weltbürger einen Grad von Ehre und Achtung erhalten, die sie bei unseren Vätern umsonst suchten.
Und nun, erste Männer des Vaterlandes! ihr sollt heute diesen Zustand der Dinge gesetzlich zu ändern suchen. Ihr sollt heute unsere Verfassungen im Geist und in der Wahrheit erneuern. Ihr sollt die Folgen der Lücken, der Unbestimmtheiten und der Widersprüche, die in unseren Verfassungen zu tausendfach selbstsüchtigem Mißbrauch unserer bürgerlichen und politischen Lagen Veranlassung und Mittel gegeben, nunmehr konstitutionell aufheben. Ihr sollt gesetzlich einen Zustand der Dinge hervorbringen, in welchem das Vaterland den Übeln, die diese Mißbräuche möglich gemacht und veranlaßt, und die wieder neue Mißbräuche geschaffen, nicht mehr ausgesetzt ist. Ihr sollt die Erfahrungen, die unsere Übel als Tatsachen darlegen, fest ins Auge fassen und ihrer Dauer und ihrer Wiederkunft gesetzlich vorbeugen. –
Männer, die ihr zur Erneuerung der freien rechtlichen Verfassungsform der Eidgenossenschaft berufen seid, euer Werk ist um so schwerer, da der Geist der Zeit uns ebenso sehr entschweizert als er die Völker Europas entmannt. Der Grad unseres Verderbens ist wie der Grad des Zeitverderbens der Welt groß. Denn, wenn diese auch immer im argen lag, so lag sie doch nie wie heute in den Armen der höchsten Arglist und des höchsten Zivilisationsverderbens. Vaterland! Es ist dunkel um uns her, wenn wir auch schon nicht auf den Augenblick das Äußerste gefahren, so ist es doch dunkel um uns her, und wenn es auf der Straße dunkel ist, wenn auch schon für den Augenblick weder Querbalken darüber gelegt noch Fallgruben darin aufgeworfen sind, so tut das Licht doch gut. Nebenbei ist auch noch das wahr, der Mann, dem man es ansieht, daß er in der Nacht das Licht scheut und dem Laternenschimmer ausweicht, der ist allenthalben der Polizei verdächtig, und das mit Recht. Vaterland! Deine Stunde fordert Beleuchtung. Du kennst den Gang, durch den du zu dem Status quo gelangt bist, den du jetzt, er mag sein, wie er will, als die Basis deines rechtlichen Zustands ansiehst, nicht allgemein und allenthalben mit der Klarheit, mit der du heute ihn zu kennen bedürftest. - Vaterland! Ich bin zwar nicht einmal einer der geringsten, die in allen Kantonen zur Erneuerung deiner Verfassung berufen sind, ich bin gar keiner von ihnen. Aber wenn ich schon als Gesetzgeber kein Wort und keine Stimme in deiner Mitte habe, so erlaube mir dennoch, dir über den alten Gang einiger deiner Verfassungen und die aus diesem Gang notwendig fließenden Bedürfnisse deines gegenwärtigen Augenblicks einen treuen vaterländischen Wink zu geben.
Ich gebe ihn. Vaterland! Du traust es mir zu, daß ich mit ihm nicht mehr und nicht etwas anderes insinuieren will, als was du selbst dir heute wohltätig insinuiert finden mußt. Nein, Vaterland! du mißkennst mich nicht, du zürnest das Wort meines Herzens, du zürnest den Wink nicht, den ich dir jetzt durch die Vergleichung des staatsrechtlichen Zustandes der Bürger Neuenburgs mit demjenigen der Bürger einiger deiner Kantone auffallend zu machen für meine heilige Bürgerpflicht achte. Urteile - vergleiche selbst!
Neuenburg als Stadt hatte eben wie unsere schweizerischen Städte alle ursprünglich alten Rechte und Privilegien von seinem Fürsten; aber das Land hatte so wie die Stadt auch Privilegien und Rechte von eben diesem Fürsten. Ob ihnen beiden stand konstitutionell eine höhere Behörde, ein Staatsrat, der die Rechte der Stadt und der Stadtbehörden, und hinwieder die Rechte des Landes und seiner Behörden als gleiche Rechte, d.i. insoweit als Rechte gleicher Leute respektierte und schützte. Freund der Wahrheit und des Vaterlandes! Setze jetzt aber den Fall, Neuenburg wäre im vierzehnten Säkulo ein Schweizerkanton geworden, und hätte wie die übrigen schweizerischen Städte seinen Fürsten, und mit ihm die Autorität seines Staatsrates verloren; denk dir, Neuenburgs umliegende Dörfer hätten sich indes als freie Leute mit den freien Leuten der Stadt Neuenburg zu einem Freistaat, zu einem Kanton verbunden, und sich mit Vorbehalt ihrer Rechte dem Schutz der Stadt als des Hauptortes ihres Kantons unterworfen, und die Räte und Bürger der Stadt Neuenburg hätten nunmehr die Regierung des Fürstentums, ohne fernere Unterordnung ihres Stadtgeistes und ihrer Stadtselbstsucht unter den Staatsrat übernommen und sich als Stadtmagistrat und zugleich als Ankäufer und Erwerber von Herrschaftsrechten und Gefällen im Land, als die oberste hoheitliche Behörde des Landes konstituiert und es in diesem Geist Jahrhunderte regiert. Setze ferner den Fall, diese städtische Magistraturbehörde von Neuenburg wäre im Stanser Verkommnis wie die Regierungen aller übrigen Schweizerkantone von der ganzen Eidgenossenschaft als souverän erklärt und im Streit zwischen sich selbst und ihrem Gebiet als oberste richterliche Behörde dieses Streites anerkannt und angenommen worden, und urteile dann: ob diese ursprünglich städtische Magistraturbehörde nicht wenigstens bis auf einen gewissen Punkt psychologisch notwendig auf der einen Seite städtisch beschränkt und städtisch egoistisch geblieben, auf der anderen Seite aber bei ihrer Beschränkung dennoch allmählich zu der Willkür einer souveränen Stellung und dahin gelenkt wäre, ihre Stadtmagistratur und ihre Herrschaftsrechte im Land als die höchsten Landesrechte, als Souveränitätsrechte, und ihre Personen und selber ihre Familien als die Repräsentanten der Souveränität anzusehen und den Geist ihrer Regierung allmählich nach dieser Ansicht zu modeln? - Urteile dann ferner, ob die Privilegien und Rechte der Landschaft und selber der Stadtgemeinde Neuenburg sich ebenso rein und unverletzt erhalten hätten, als Sie sich beim Bleiben des Fürsten und seines Staatsrates erhalten haben; urteile, ob die Freiheiten des Gebiets Neuenburg die nämlichen geblieben wären, die sie jetzt sind?
Freund des Vaterlandes, wenn du den Fall ruhig ins Auge gefaßt, so wirf einen Blick auf den (Status quo), von dem wir immediat vor der Revolution ausgingen und auf den wir gegenwärtig wieder hinlenken! Vergleiche, wäge ab und urteile! Ich weiß wohl (Omne simile claudicat)#, und will keine größere Ähnlichkeit zwischen dem supponierten Fall und zwischen dem geschichtlichen Gang einiger unserer Verfassungen weder behaupten noch andeuten als die, so dir selber auffallen muß. Ich will diesfalls alle Ausnahmen und andere Beschaffenheiten der Umstände zugeben, soviel nur immer stattfinden. Aber in jedem Fall ist gleich wahr: die Lücke, die durch die Aufhebung des Staatsrates und die Übertragung seiner Autorität in die Hände der kleinen und großen Räte der Stadt Neuenburg entstanden sein würde, wäre dem rechtlichen Zustand der Bürger des Fürstentums gewiß nicht vorteilhaft gewesen.
Vaterland! Du kannst dir nicht verhehlen, die Staatslücke, die in diesem Fall stattgefunden hätte, ist bei der Umwandlung deiner selbst aus deiner altfürstlichen Regierung in republikanische Verfassungen nicht allenthalben bestimmt und, wie es wohl hätte sein sollen, kraftvoll ausgefüllt worden. So unschuldig, natürlich und unschädlich aber dir dieses auch in den damaligen Umständen gewesen sein mag, so sind die Folgen, die daraus für dich entstanden, nicht weniger bedeutend.
Vaterland! Wirf einen Blick auf Neuenburgs Zustand in Rücksicht auf das innere Wesen einer wirklich freien Verfassung, auf die Realität der Personalrechte der Bürger, auf die Selbständigkeit aller Stände, auf die Trennung aller Gewalten und das auf diese Trennung gegründete Gleichgewicht derselben, das in diesem Fürstenstaat statthat, und sich seit der ursprünglichen Erteilung der Rechte und Freiheiten desselben bis auf die heutige Stunde in feiner Reinheit erhalten. Vergleiche dann seine Folgen, wirf einen Blick auf die Kultur, auf die Bevölkerung, auf die Industrie, auf die Sitten, auf die Erziehung, auf den Bürgersinn dieses Staates!
Ich habe die Denkmäler des hohen Bürgersinns - des Patriotismus - dieser fürstlich freien - dieser fürstlich rechtlich regierten Bürger gesehen, doch ich habe mehr gesehen. - Vaterland! Ich habe die Tränen der Bürger Neuenburgs, ich habe die Tränen ihrer Männer, ihrer Weiber, ihrer Kinder gesehen, als ihr Vater, ihr König, der Schützer ihrer Rechte in ihrer Mitte erschien. Vaterland! Sie sind schön, diese Tränen; ich habe in meiner Jugend auch Landesväter gekannt, bei deren Erscheinung in den Werkstätten und Wohnstuben der Bürger Freudentränen unserer Männer, unserer Weiber und unserer Kinder flossen. Erste Männer des Landes! Väter des Landes! Sie sind schön, diese Tränen; ich bin ein Republikaner, und mir ist, sie sollten in Republiken allgemeiner fließen als in den Königreichen. - Vaterland! mein Herz blutet, sie fließen heute nicht allgemein in deiner Mitte, diese Kindertränen. Frage dich selbst, warum mangeln sie heute in deiner Mitte? Gib deinen Söhnen, gib deinen Kindern nicht Schuld, was ihre Väter, was du selber verschuldet! Steige zu den Ursachen des Mangels dieser Tränen empor, und verhehle es dir nicht, du findest Neuenburgs staatsrechtlich bürgerliche, wahrhaft republikanische Weisheit, du findest die allgemein belebte Freiheitskraft nicht in deiner Mitte, durch deren weise Benutzung das fürstliche Gouvernement in Neuenburg Fürstendörfer in blühende Städte umwandelte, indessen du in deiner Mitte republikanische Städte in den Zustand armer, vernachlässigter Dörfer (hast) versinken lassen.
Vaterland! Verhehle es dir nicht, du hast den reinen Segen deiner Verfassungen deinem Volk nicht allgemein in dem hohen und edlen Geist rein bewahrt, in welchem Neuenburgs König diesem Land den Segen seiner Verfassung in hoher edler Reinheit allgemein erhalten. Vaterland! Du bist unter den Folgen deiner diesfälligen Schwächen erlegen. Du mußtest darunter erliegen. Ich schweige von allem, was mich weniger nahe berührt, und gedenke nur deiner, Vaterstadt! die mir bei jedem Hinblick auf das Wohl oder Weh der Menschheit am meisten am Herzen liegt. Vaterstadt! Laß mich heute das Wort meines Herzens, das ich durch mein Leben tausendmal sagte, jetzt öffentlich aussprechen: Wäre der Geist des Neuenburgischen Staatsrates seit Jahrhunderten der Geist deiner Stadtregierung gewesen, du wärst nicht nur das Vorort der Eidgenossenschaft geblieben, du wärst die erste Stadt des Vaterlandes geworden. Armut, Schwäche, Einseitigkeit und Beschränkung wären aus deinen Mauern, sie wären aus deinen Werkstätten, sie wären aus deinen Dörfern, sie wären aus deinen Palästen und aus deinen Hütten verschwunden, sie wären von allen deinen Angehörigen, oder vielmehr von allen denen, denen du angehörst, gewichen, - dein Volk wäre das reichste, kraftvollste, industriöseste, kultivierteste Volk der Eidgenossenschaft geworden. - Vaterstadt! Dein See, dessen reizende Ufer, wie dessen ursprünglich ausgezeichnetes geist-, kraft-, kunst- und gemütvolles Volk Tugend, Weisheit und Kunst hinlockten, sich da anzusiedeln, - dein See, am Fuß der Alpen, an den Grenzen der Urkantone der Freiheit, selber mit Freiheiten, die nahe an deine Hoheit grenzten, begabt, - dein See wäre deine Vorstadt, und du das glückliche, das gesegnete Zentrum der reichsten, kultiviertesten Gegend der Eidgenossenschaft, das Zentrum eines mit dir innig, vaterländisch, dankbar, frei und treu vereinigten Volkes geworden. Die Menge der, wie in Neuenburgs Dörfern, selbständig reichen Bewohner des Sees wäre in ihrer Bildung für die Welt und das Vaterland wie diese vorgeschritten; seine Übervölkerung und alle Schwierigkeiten seiner Verhältnisse hätten im freien Spielraum ihrer gesetzlichen Selbständigkeit und ihres dadurch gesicherten Vorschritts der Kultur, des Wohlstands und der Ehre, genugsame Gegenmittel gegen alle Ursachen des Zurückstehens und der Mißstimmung dieser Gegend, die......... zur Folge hatten, gefunden.
Vaterstadt, dein Gemeinwesen, die Totalität der Masse deiner Bürger hätte sich durch die wirtschaftliche und bürgerliche Selbständigkeit deines Sees zu einem Wohlstand und zu einem Segen erheben können, von dessen Höhe und von dessen Würde du wahrlich nicht durch die Schuld deines Sees ferne geblieben. Du wärest bei Neuenburgs königlicher Leitung durch eben die Freiheiten, die dir bei ihrem engherzigen und schiefen Gebrauch so viel Schaden getan - der belebteste und veredelte Mittelpunkt der National-Kraft, Würde und Freiheit deines Kantons, und die in ihrem Eigentum und Recht geschützte, glückliche und geliebte Mutter aller deiner gesegneten Kinder geworden. Vaterstadt! Die Mittel des öffentlichen und Privatwohlstands, die von Alters her in deiner Hand waren, sind unermeßlich. Du hattest vor den meisten Gegenden des Vaterlands, besonders vor St. Gallen und Appenzell, fabrik- und handlungshalber einen Vorsprung von mehr als dreißig Jahren, selber Basels Industrie hätte dich nicht übertroffen, und dein Volk hätte mit Neuenburgs Kultur und Kunstkraft gewetteifert. Vaterstadt! Dein Volk, deine freien Bürger und deine freien Landeigentümer waren seit Jahrhunderten zu einem erleuchteten vaterländischen Gemeinsinn und zu einer von der Kraft des Lebens und des Tuns ausgehenden Volks- und Nationalkultur reif, und in einer Lage, ihre emporstrebenden Kräfte auf einen Höhepunkt des Segens zu bringen, und auf eine Weise zu benutzen, wie wenige Gegenden in dieser Lage und für dieselbe reif waren.
Vaterstadt, Vaterland! Bleib nicht in den Schranken deines heutigen, so auffallenden Zurückstehens! - Fürchte dich vor der Gefahr, dich durch Anbahnung und Erwerbung bloßer Scheinkräfte in dem Wahn, daß du dich selber und deine alten Kräfte wieder erneuert habest, einwiegen und von der ewig sicheren Bahn deiner wahren Staats- und Bürgerkraft, durch die du allein in der Welt etwas werden kannst, ablenken zu lassen! Vaterland! Du kannst nur wahrhaft stark werden durch die Lebenstätigkeit und Lebensfülle, durch die von dir selbst ausgehende Belebung aller deiner Glieder, d.h. deines ganzen Volkes.
Vaterstadt, Vaterland! Wenn ein Gefäß jahrelang im Kot gelegen, und vom nagenden Grünspan, der sich in seinem Inneren angesetzt und jede Speise, die man darin aufbewahren möchte, vergiften könnte, angegriffen ist, so muß es zuerst und ehe man sich bemüht, sein Äußeres glänzend zu machen, in seinem Inneren ausgefegt werden. - Vaterland! Es ist heute nicht bloß darum zu tun, daß das Äußere deiner Verfassungen in eine neue Form umgestaltet werde, es ist heute darum zu tun: das Innere ihres Wesens von neuem zu heiligen und zu reinigen, - ich möchte sagen: von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes, von allem Überdrang böser Gelüste und aller diese Gelüste nährenden Vorurteile, sowie von allen dieselben schützenden und begünstigenden Mitteln.
Es ist heute wesentlich darum zu tun, daß das alte Freiheits- und Rechtsgefühl der Schweizer im ganzen Umfang unserer Verhältnisse und im inneren Wesen unseres Denkens, Fühlens und Handelns erneuert werde, von welchem belebt, wir die höchste Gewalt, das Souveränitätsrecht, von jeher nur in den Briefen und Siegeln des Landes und in dem mit dem Geist und Wesen dieser Briefe und Siegel übereinstimmenden Nationalwillen, und durchaus nicht in einer diesen Briefen und Siegeln widersprechenden Majorität des Regierungspersonals erkannten. Wir dürfen uns in der Erneuerung unserer selbst durchaus nicht von dem Grundsatz weglassen, daß unsere Väter in allen, auch in den höchsten Behörden des Landes durchaus nur eine von den Rechten und Freiheiten der Stände, der Gemeinden und der Individuen beschränkte Obrigkeit und durchaus nicht einen den Begriff der Landesfreiheit selbst ausschließenden Landesfürsten erkennt, und daß sie alle Behörden des Landes, auch die obersten, nur als verwaltende, nicht als herrschende Landesstellen ins Auge gefaßt und behandelt. Und ob wir wohl in der Zeit der Demut, der Treue und der Religiosität unserer Väter, in der wir in der Totalität des Vermögens, im Gut und Blut der Bürger, den ewig offenen Schatz der Republik besaßen, die laufenden Jahreinnahmen und Jahrausgaben nicht allgemein mit Ängstlichkeit kontrollierten, sondern hier und da oft und viel mit großem Glauben immer richtig fanden, anderswo aber mit großer Demut als uns nicht berührend und nichts angehend ansahen, so dürfen wir jetzo die Delikatesse der Männer, durch deren Finger die Staatsgelder gehen, doch auch nicht mehr allgemein als diejenige von reinen unbefleckten Jungfrauen ansehen, - wahrlich wir müßten bei dieser Ansicht diese Jungfrauen ihrer Finger halber wenigstens in zwölf törichte und zwölf kluge abteilen, und dürften in diesem Fall den Fingern der Klugen hier und da fast noch weniger trauen als denjenigen der Törichten. Der Luxus macht arm - die Armut bringt Not - Not bricht Eisen - und Eisenbrecher verlieren bei der Kraftanwendung ihrer Arme leicht die Zartheit der Finger - und Rechnungsführer, die im gleichen Fall sind, ebenso leicht die Delikatesse, die über das Äußere der Rechnungsformen hinausgeht.
Es ist desnahen wesentlich, daß unser künftiges Steuer- und Rechnungswesen im allgemeinen einer Offenheit und einer über alles Privatinteresse erhabenen Rechtssicherheit und Kontrollierung unterworfen werde; und daß besonders in Rücksicht auf das höhere Personal der Finanzen, oder die Honoratiores der hier und da zu republikanisch-freien öffentlichen Geldeinnehmer eben die ernste und strenge Verantwortlichkeit stattfinde, welcher in gut organisierten Fürstentümern alle öffentlichen Rechnungsführer untergeordnet sind.
Vaterland! Dein hoher heiliger Tag steht wie einst der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen in deinem heute noch nicht verlorenen Paradiese.
Heilige den Tag, Vaterland! durch den Ernst und die Würde in der Ansicht deiner selbst in dieser Stunde! - Vaterland! Entwürdige dich - entwürdige deine Stunde nicht durch irgendeinen Schatten einer Niedrigkeit und Schwäche! - Deine Stunde sei dir eine Stunde der Helden. Sie sei dir eine Stunde der Männer im Grüttli!
Deine erste Sorge an diesem heiligen Tage ist, den Sinn der Unschuld deiner Väter in dir selbst wieder herzustellen, durch den du dich allein im Paradies deiner Landesfreiheit zu erhalten vermagst.
Aber du mußt diesen Schild unserer ehemaligen Eintracht, den Sinn der Unschuld nicht als in der Einfalt der Zeit und als durch sie von selbst in dir selbst bestehend im Glauben voraussetzen und annehmen. Nein, die ehemalige Stütze deiner Eintracht hat ihr altes Fundament in deiner Mitte verloren!! Vaterland! Nicht deine Einfalt, nein, nicht die Einfalt deiner Väter, du hast sie nicht mehr - nein, nein - nichts, nichts kann deine Eintracht - nichts kann deine Freiheit dir heute sichern als die Weisheit und Kraft deiner Gesetzgebung, nichts als die Wahrheit und Tiefe deiner gesetzgeberischen Einsichten und die Reinheit, Würde und Freiheit deines gesetzgeberischen Willens.
Aus der Tiefe deiner heutigen gesetzgeberischen Einsichten wird alle Wahrheit und Richtigkeit deiner künftigen administrativen Einsichten, und aus der Reinheit, Würde und Freiheit deines heutigen gesetzgeberischen Willens wird alle Reinheit, Würde und Freiheit deines künftigen administrativen Willens hervorgehen.
Täusche dich nicht, Vaterland! Es ist heute um keine Nebensache, es ist um kein Privatinteresse, weder um eines Standes-, noch um einer Stadt-, noch um einer Familie-, es ist heute nicht einmal um das Interesse eines Kantons, es ist heute allein um das Interesse des Vaterlandes, es ist heute darum zu tun, ob wir in Wahrheit ohne Zweideutigkeit, und ohne Zweifel bleiben, was wir sind und was unsere Väter waren oder - nicht. Es ist heute darum zu tun, ob wir die heiligen Fundamente der Eintracht, ohne welche wir nicht Eidgenossen bleiben können, mit gesetzlicher Weisheit und Kraft in unserer Mitte gesichert erhalten oder nicht.
Es ist heute um nichts weniger als um die genaue Ausklaubung zu tun, wem es erlaubt und wem es nicht erlaubt sei, - ich möchte fast sagen, aber - (absit blasphemia verbo - adire Corinthum) -, so wenig als um die Regulierung der Emolumentenjagd und ihrer ungleichen Jagdposten. Es ist auch nicht darum zu tun, wieviel Stadtbürger und wieviel Landleute, sondern welche Stadtbürger und welche Landleute uns regieren sollen. Es ist darum zu tun, durch welche Formen dafür gesorgt werde, daß zu Stadt und zu Land Männer an die Regierung kommen, die soviel möglich weder ihrer Leidenschaften noch eines Menschen Knecht sind und in diesem Dienst das Vaterland in Gefahr bringen könnten. Es ist darum zu tun, daß Männer an die Regierung gelangen, die das Vertrauen ihrer Mitbürger besitzen und verdienen. Es ist darum zu tun, daß keine privilegierte Familien-Selbstsucht die Magistraturplätze im Land soviel als erben könne, und daß der Intrigantengeist, der dem alten reinen väterlichen Regierungsgeist hier und da in unserer Mitte den Boden ausgedrückt hat, nirgend im Land mehr als ausgezeichnete vaterländische Regierungs-Fähigkeit angesehen, und als solche für die ersten Plätze der Republik zur gültigen und sicheren Empfehlung dienen könne. Es ist wesentlich darum zu tun, daß die Unschuld und Selbstsuchtlosigkeit der Edelsten unter uns, wo sie immer sind, sich alle Wege zum Vaterlandsdienst gesetzlich und in wahren Treuen geöffnet finden. Und ebenso, daß in allen Angelegenheiten, die die Ehre und das Leben der Bürger betreffen, insonderheit in bürgerlichen Streitsachen der Stände, der Gemeinden und Individuen mit den Gewalten und Behörden des Staates selber dem Vaterland und jedem einzelnen seiner Bürger ein über alle Gefährde erhabenes unparteiisches Recht gesetzlich gesichert werde.
Wir dürfen uns aber nicht verhehlen, diese allgemeine gesetzliche Sicherstellung eines in Wahrheit und Treue unparteiischen Rechts kann hier und da in unserer Mitte nicht anders denn als eine neue Schöpfung angesehen werden.
Wir dürfen uns nicht verhehlen, die Richtung, die unsere Verfassungen hier und da in unserer Mitte genommen, oder vielmehr die Kunstfalten, in die sie von der eitlen und gierigen Selbstsucht der Zeit gemodelt in unserer Mitte dastehen, machen diese neue Schöpfung des allgemein gesicherten unparteiischen bürgerlichen Rechtes, insonderheit in Kollisionen der Gewaltsansprüche der öffentlichen Behörden gegen untergeordnete Stände, Gemeinden und Individuen äußerst schwierig. Die konstitutionell gesicherte innere Selbständigkeit der Gewalten, ihre gesetzliche Sonderung, ihre psychologisch-gesicherte Freiheit, ihr notwendiges Gleichgewicht, die Sicherstellung ihrer selbstsuchtlosen Unbefangenheit, vorzüglich aber die kraftvoll gesicherte Ankettung des Interesses der öffentlichen Gewalten an dasjenige des Volkes, alle diese Fundamente eines wohlgeordneten bürgerlichen Rechts und eines die Natur dieses Rechtes sicherstellenden Rechtsganges mangeln uns vielseitig, so wie klare positive Gesetze, die dem Richter weder einen großen Gnaden-, noch einen großen Ungnaden-, weder einen großen Schwachheits-, noch einen großen Leidenschafts-Spielraum übrig lassen. - Sie mangelten unseren Vätern der Form halber auch, aber ihre diesfällige innere Sicherheit ruhte im allgemeinen auf der hohen Achtung unserer Regierungen für den Mittelstand im Land, oder vielmehr auf der Tatsache, daß der alte Geist unseres obrigkeitlichen Standes aus dem Mittelstand hervorging, und daß das Personal der Obrigkeit selber in ihrer großen Mehrzahl Individuen in diesem Stand selbst waren. Das ist jetzt aber nicht mehr also. Dieser alte Schild unsrer Verfassungen deckt unser gutes Volk, unser gutes Vaterland nicht mehr. (Hinc illae lacrymae.)# -
Wir können und sollen uns nicht verhehlen, das zaumlose Jagen ehemaliger gemeiner Familien in unserer Mitte nach einem erbärmlichen Vornehmsein, das, indem es keinen Mittelstand erkennt, ihn da, wo er wirklich ist, zugrunde richtet, hat unser glückliches Gemeinsein und mit ihm das Glück unseres Gemeinwesens vielseitig gestört, und uns dahin gebracht, daß das erste, was uns nottut, dieses ist, uns wieder über unser unpassendes Vornehmtun zu unserem alten Gemeinwesen und zu seinem wesentlichen Fundamente, zu einer höheren Achtung für den Mittelstand zu erheben.
Wir dürfen uns nicht verhehlen, es ist heute dringend, daß dieser Stand, diese eigentliche, ewige, sittliche und bürgerliche Grundfeste aller freien Verfassungen, als solcher wieder eine durch die Verfassung rechtlich gesicherte Stellung und den ehrenvollen und segensreichen öffentlichen Einfluß erhalten und behaupten könne, den er beim Ursprung unserer freien Staatsverfassungen im Vaterland allgemein gehabt hat. Vaterland! Laß dir den Gesichtspunkt nicht aus den Augen entrücken! In ihm, im Mittelstand sprechen sich die wahren Volksbedürfnisse und der wahre Volkswille allein rein aus. Die Achtung und die Sorgfalt für ihn ist wahre Achtung und Sorge für das Volk. Sein Einfluß ist wahrer Volkseinfluß und, Vaterland! dein dringendstes Bedürfnis.
So wie ohne hohe Achtung für den Thron und den königlichen Willen keine königliche Regierung gut ist, so ist ohne hohe Achtung für den Mittelstand und den Volkswillen keine republikanische Regierung gut. In der Natur sind alle Zwittergeschlechter unfruchtbar und erregen Ekel. Die königliche Regierung muß königlich gut und die republikanische muß republikanisch gut sein, und dieses kann sie ohne Aufmerksamkeit auf den Volkswillen auf keine Weise sein; auch lag diese allgemein und tief im Geist unserer früheren Regierungen.
Aber die innere schweizerische Staatsschwäche, die der Revolution vorhergegangen, und dann später sie selber, hat die geweihte heilige Flamme dieser Aufmerksamkeit hier und da im Regierungsgeist unseres Vaterlandes ausgelöscht wie ein in heißen Tagen auf eine drückende Windstille erfolgtes böses Gewitter die geweihte Opferflamme, die unbedeckt unter freiem Himmel auf einem Altar Gottes brannte, auslöscht. Es ist geschehen, die Schrecken ihrer Tage und das eingewurzelte Verderben, das ihrer Stunde vorhergegangen, hat diese heilige Flamme in unserer Mitte ausgelöscht. Wir fürchten jetzt selber das Wiederanzünden ihres heiligen Lichts und gefallen uns im unheiligen Dunkel unseres Unrechts. Wir gefallen uns im unheiligen Dunkel der in unserer Mitte erloschenen Volksaufmerksamkeit und Bürgerliebe. Unser diesfälliges Abweichen vom Geist unserer Verfassungen und unserer Väter ist groß, es ist unverzeihlich in seinen Ursachen, es ist mißlich in unserem gegenwärtigen Augenblick, es ist unabsehlich in seinen Folgen und entscheidend durch seine Dauer, deren Verhärtung das innerste Verderben unserer bürgerlichen Abschwächung auf ihren obersten Gipfel gebracht.
Ich weiß keine Entschuldigung für alles als diese. Die Revolution hat uns in einer großen Schwäche überfallen, und Menschen, die in großer Schwäche erschreckt werden, erholen sich schwer von ihrem Schrecken und werden in ihrer Sinnenverirrung weit leichter gewalttätig und grausam als ruhig.
Vaterland! Die große böse Welterscheinung hat wunderbar auf uns gewirkt, sie hat uns ganz gewiß weniger Böses getan als irgendeinem Volke Europas, aber auch weniger Gutes, Vaterland! Sie hat uns zu wenig leiden gemacht, um uns ihr Gutes tun zu können. Sie hat unseren Geist weniger belebt und unser Herz weniger erhoben als vielleicht keines der europäischen Völker. Auch sehe ich als Schweizer mit Neid auf die in Deutschland durch ihre Leiden in höheren und niederen Ständen erwachte Bürgertugend, auf Berlins, Hamburgs, Frankfurts, Bremens und [in] so vielen anderen deutschen Städten entfalteten hohen Patriotismus. Ich sehe mein Vaterland, ich sehe den Boden der allbeneideten Freiheit ungern hinter Deutschlands sich höher hebenden bürgerlichen Weisheit und Kraft zurückstehen, und es tut mir weh, daß die Revolution uns nicht einmal die mehr als zweideutigen Kräfte ihrer Verirrungen gegeben und bei den vielfachen äußeren Veränderungen uns sittlich, geistig und bürgerlich so erschlaffen lassen, als wir es vorher waren.
Unser Unglück ist groß. Seine Ursachen schreiben sich von langem her. Wir sind dem das tiefere Gefühl für das Höhere und Bessere, für Wahrheit, Liebe und Recht einschläfernden Glück, oder vielmehr Scheinglück, zu lange, ach! zu lange im trägen Schoß gesessen, und streben jetzt individualiter und allgemein weit mehr dahin, als glückliche Menschen in der Welt zu figurieren, als im Segen unserer Verfassungen, und in der Kraft unserer Väter als Volk, als Schweizervolk dazustehen. Also als eitle Menschen hinauf und als Nation, als freies Volk hinabgestimmt, mußte die Aufmerksamkeit auf das Volk in unserer Mitte notwendig verschwinden. Wir fürchten jetzt die diesfällige Wahrheit, weil wir so lange dem diesfälligen Irrtum, und das diesfällige Recht, weil wir solange dem diesfälligen Unrecht unterlegen, und dann mischen sich noch hier und da Winkelzüge, Gelüste und allerlei Menschliches in unsere Furcht, oder auch Scheinfurcht vor dem Volk und dem Volkswillen, die man niemand beweisen kann, und also auch niemand vorwerfen darf.
Indessen ist soviel gewiß, die wahre Achtung für den Volkswillen ist nicht Achtung für den Willen des Gesindels, sondern vielmehr das eigentliche innere Wesen aller wahren Vorbeugungsmittel gegen denselben, das eigentliche innere Vorbeugungsmittel, daß der Volkswillen nicht zum Gesindelwillen herabsinke, sondern sich fortdauernd in der reinen Würde des Nationalwillens ausspreche. Darum aber ist auch Achtung für ihn wie die Sorge für ihn und für den Mittelpunkt, in dem er sich ausspricht, für den Mittelstand dem Vaterland heilig. Sie war es in guten Zeiten der Republik immer.
Aber heute - - Vaterland! Du verachtest heute, was deine Väter hochgeachtet, und fürchtest heute, was deine Väter hochgeehrt. - Vaterland! Du hast unrecht, Dein Volk ist kein Gesindel. Es hätte es werden können, aber - es ist es nicht geworden. Vaterland! Alle, von Geschlecht zu Geschlecht gestiegene Hintansetzung desselben, alles auch noch so vielseitige Verderben unserer Zivilisationskünste und aller ihrer Fehlschritte und Mummereien, selber die Fehlschritte und Mummereien der Revolution, in allen ihren Wogen haben so wenig als das darauf erfolgte bedeutungsvolle Stillstellen aller bürgerlichen Kraft, und alles bürgerlichen Lebens, vermocht, unser Volk dahinab zu erniedrigen. Sogar die letzten Wahlniederträchtigkeiten, die eigentlich dazu gemacht schienen, Gesindel zu machen, wo noch keins war, selber diese Wahlniederträchtigkeiten haben es nicht vermocht, den Nationalcharakter unseres Volkes in diese Tiefe zu stürzen.
Schweizer, schweizerischer Vater des Vaterlands! Edler Erneurer unseres bürgerlichen Daseins! Gib dieser unwidersprechlichen Tatsache den Wert, der ihr gebührt, und verachte den Volkswillen deines Vaterlands nicht soweit, ihn, den Willen deiner Kinder, deiner Söhne unbedingt als einen verwerflichen, als einen der ernstesten Beachtung unwürdigen Willen anzusehen und zu erklären. Vaterland! Ein solches Zeugnis wider dein Volk ist empörend. Es ist dem Zeugnis von Vätern gleich, die wider alle ihre Söhne ein böses Zeugnis ablegen.
Väter des Landes, Väter des Schweizerlandes, wenn ihr wider euer Volk zeuget, wider wen zeuget ihr als wider euch selbst? - Habet ihr nie gehört: (qualis rex, talis grex)# - wodurch wird ein Volk schlecht oder gut als durch seine Verfassung und durch seine Regierung; und wer seid ihr, erste Männer des Vaterlands? Sei du der erste Mann in unserer Mitte, wer bist du ohne dein Volk? Wer ist etwas in unserer Mitte ohne dasselbe und außer demselben? Wer ist in unserer Mitte etwas ohne durch dasselbe?
Vaterland! Wenn es wahr ist, daß jeder Staat am besten durch die Mittel erhalten werde, durch die er auch gegründet worden, sage mir, Vaterland! wodurch ist die Schweiz gegründet worden als durch den Volkswillen, durch das Volksvertrauen und durch die Volkswahl? Und worin lag die Quelle aller seiner Vorzüge und alles seines Segens als in seinem Mittelstand, im freien Spielraum und im reinen, hohen Rechtsgefühl desselben, und in der Aufmerksamkeit aller bürgerlichen Gewalten auf denselben?!
Vaterland! Entzieh diesen heiligen Quellen deines Wohlstandes und deiner Freiheit die Achtung nicht, die ihnen deine Väter schenkten. Vaterland! Diese Achtung gehört deinem Volke als sein Recht, und es hat dieses Recht wahrlich noch durch keine Schandtat verwirkt. Vaterland! Die Republik besteht nicht ohne hohe Achtung für den Mittelstand, sie besteht nicht ohne eine hohe Achtung für den Volkswillen; und ohne irgendeinen freien Spielraum, ohne irgendeinen reinen Einfluß des Volkes auf die Wahl seiner Regenten ist kein republikanischer Geist, kein hoher edler vaterländischer Sinn in der Masse des Volkes denkbar und möglich. Vaterland! Wende dein (suum cuique)#, das du so oft auf die kleinen Adern deiner Fingerspitzen und deiner Fußzehen anwendest, auch einmal auf die Herzkammer, von der alles dein Blut ausfließt, an und erhebe dein Volk durch deinen Glauben an dasselbe, durch den du allein zu der wahren Sorgfalt für dasselbe gelangen kannst.
Freund des Vaterlandes! Warum zweifelst du? Ich weiß es, du sagst es laut: Wir haben das Verderben der Volkswahlen in den mediationsmäßigen Wahlen gesehen. Aber, Vaterland! es waren nicht Volkswahlen, es waren - - - - Vaterland! Gedenke ihrer Schande nicht, gedenke der Ursachen nicht, warum sie schlecht ausfielen! Wenn du nicht ein gutes, ein edles Volk wärest, sie wären bei den Mitteln, die für dieselben und zwar nicht vom Volk gebraucht wurden, noch weit schlechter ausgefallen.
Vaterland! Diese Wahlen sind bei den Mitteln, deren Resultate sie waren, noch ein Denkmal deiner, selbst im niederen Mann des Landes noch nicht erloschenen vaterländischen Tugend und Würde. Sie sind bei diesen Mitteln noch ein unwidersprechlicher Beweis, daß du noch nichts weniger als gefahrest, durch einen gemäßigten Einfluß des Volkswillens in der Wahl seiner Regenten zugrunde gerichtet zu werden, wie es... Abermals eine Lücke, und zwar eine große, die ich mir selbst mache.
Täusche dich nicht, Vaterland! Die Freiheit wird unseren Kindern so wenig als eine gebratene Taube ins Maul fliegen, als sie je irgendeinem Volk der Erde also gebraten ins Maul geflogen. Einzelnen Glückskindern regnet freilich zu Zeiten das Glück zum Dach hinein, Völker und Nationen sind und werden im allgemeinen nie glücklicher als sie es verdienen. Auch ist deine Stunde, deine heutige heilige Stunde, Vaterland, nicht für die Schauausstellung des Vollkommenen geeignet. Wolle Gott, daß sie geeignet sei, das Bessere vorzubereiten!
Vaterland! Es hat in der Natur keine Übergänge von der höchsten Zerrüttung zur höchsten Vollendung. Alle Übergänge der Natur haben ihren allmählichen Stufengang - der tödlichen Krankheit folgen immediat nur Genesungstage - die volle Gesundheit folgt nur auf die mit Sorgfalt durchlebten Genesungstage. - Vaterland! Deine jetzigen Tage sind ernste Tage deiner Genesung und können nur durch die heilige Sorgfalt, mit der du sie als solche benutzt, dir wahrhaft zum Segen werden.
Freunde der Menschheit! Väter kommender Geschlechter! Täuschen wir uns nicht, das Heiligtum des wahren inneren Segens der Menschennatur geht wesentlich nicht aus seinem äußerlichen bürgerlichen Zustand hervor. Es ist im Gegenteil wesentlich individuell und geht eigentlich aus dem guten sittlichen und geistigen Zustand der Individuen unseres Geschlechtes hervor. Wo es desnahen immer an der heiligen Sorge für die Individualveredelung unseres Geschlechts mangelt, da sind alle äußeren Verfassungsvorzüge umsonst.
Vaterland! Laß dich nicht täuschen, ein Zauberer stellt dir in jedem Augenblick einen Wald von Bäumen vor die Augen; du erstaunst, aber du hungerst, du dürstest, du streckst deine Hand aus nach einer einzigen Frucht dieser Bäume, und der Wald verschwindet vor deinen Augen, wie er vor ihnen erschien. Also gibt es eine schreckliche Täuschung freier und besonders freineuer und neufreier Verfassungen. Täusche dich nicht, Vaterland! Das Wachstum eines jeden Baumes, bis er groß ist und Früchte trägt in schwerer Menge, ist dieses: Du legst einen kleinen Kern in die gute Erde, er entkeimt bald, aber sein Wachstum ist schwach, und steht den ganzen Winter und alle Winter durch still. Es dauert Jahre lang, wie das Menschenwachstum selber, und fordert eben wie dieses Wartung und Sorge über die ganze Zeit seines Wachstums. Wilde Schosse entkeimen aus seinen Wurzeln, du mußt sie abschneiden; naschende Hasen nagen an der Zartheit seiner Rinde, du mußt ihn gegen ihren Zahn mit Stroh umflechten; wilde Schweine umwühlen seine Wurzeln, du mußt sie mit bellenden Hunden, du mußt sie mit Feuer und Schwert ferne halten; die Gewalt der Winde biegt seinen Stamm, du mußt ihn mit schützenden Pfählen befestigen. Selber der gute Pflug, der die Erde um ihn her bauet, verletzt seine Wurzeln, und seinen Stamm, wenn der pflügende Knecht, oder der Treibbub, der das pflügende Vieh führt, nicht Sorge für ihn trägt. So viel Sorgfalt braucht der Baum, der vom Kern aufwächst, oder im jungen zarten Stamm in den Boden versetzt worden.
Willst du aber klüger sein als der gemeine Bauer, oder ungeduldig, wie eine Herrschaft, die, weil sie in aller Eile Schatten, Kühlung und große Zierde weit und breit um ein neues Prachthaus herum haben will, große Bäume ausgräbt, ihnen Wurzeln und Äste abstumpft, und sie so in die Erde setzt, so erfährst du auch, was diese: von den alten Stöcken verderben ihr zehn gegen einen, der sein Leben serbend erhält.
Vaterland! Alte Verfassungen, die zu ihrem künftigen Heil also an Ästen und Wurzeln - beschnitten in eine neue Erde gesetzt werden, fordern ebenso zehnfach größere Wartung und Kunst. Heil dir, Vaterland, wenn deine neuen Verfassungen die Garantie dieser Kunstwartung in sich selbst tragen, und der hohe Sinn der Vatersorge, die diese Wartung voraussetzt, in Wahrheit und Kraft in ihrem Geist liegt! Heil dir, wenn keine dieser Verfassungen den bösen Glauben an die Allwirkung der Macht, die in Ewigkeit keine heilige Wartung ersetzt, dich von den wesentlichsten und heiligsten unserer vaterländischen Bedürfnisse ablenkt und irreführt.
Vaterland! Ich bin ferne davon, deine Blicke durch Hinlenkung zu einer einseitigen Ansicht von dem hohen Umfang des Ganzen deiner Verhältnisse, die du heute ins Auge zu fassen für notwendig fändest, abzulenken.
Vaterland! Blicke zurück, blicke vorwärts und täusche dich nicht, das Recht der Welt ist nichts weniger als ursprünglich durch die Revolution und ihr Verderben gestürzt und zugrunde gerichtet worden! Das Unrecht der Revolution ist nicht in die Unschuld des Weltteils hineingefallen wie die Sünde ins Paradies. Eine bis zur Niederträchtigkeit versunkene Schwäche von tausend und tausend Recht, Ehre und Treue schändenden öffentlichen Maßregeln gingen der Revolution wie eine offene Kriegserklärung dem Brand und Mord, der dann hernach folget, vorher. Ich will weder ihre Schande noch ihre Täuschung, weder ihren Trug, noch ihre Gewalt, weder das Scheinrecht ihres Ursprungs, noch das offene Unrecht ihrer entscheidenden Greuel, ich will nur den Schimmer der Größe des Mannes berühren, der die höchste tierische Belebung der im halben Weltteil revolutionierten Menschheit wie ein Ritter das eiserne Schwert in die Hand nahm und der anderen Hälfte der Welt damit die Spitze bot. Von ihm sage ich, er hat die Macht der Welt nicht besiegt, wie der Norweger die Macht des Walfisches, den seine starke Hand mit der Kraft der Harpune tötet. Er hat sie besiegt, wie der Holländer die Schwäche der Heringe, die er mit Netzen und Stricken fängt.
Die Macht der Einheit, in der Deutschland wie ein Fels im Meere hätte dastehen können, hat sich in der millionenfachen Selbstsucht seiner nur Genuß suchenden Glieder verloren, und damit war für Deutschland alles verloren. - Das arme verwaiste Land stand vor dem Raubtier, das es anfiel, da, wie ein Schwarm von Heringen und Würmern - vor dem Schlund des Walfisches. Der Weltteil wollte, wie er sich in allen Behörden, die sprechen durften, aussprach, nichts als Lebensgenuß und Geld. Natürlich war das Recht des Weltteils auch allgemein nach den Ansprüchen der Selbstsucht dieser Behörden gemodelt, verengert und erweitert. Und ebenso natürlich ist es, daß man die aus diesem Verengern und Erweitern des Rechts und des Unrechts hervorgegangene Denk- und Handlungsart als etwas recht Gutes, als das Beste der Zeit ansah - und respektierte. Aus tiefer Schwäche hervorgehend, führte dieser Zeitgeist natürlich zum Moderantismus, d.i. auf gut schweizerisch, zum - - auf beiden Achseln tragen. Er führte dahin, daß die Tribunalien und Behörden dieses Moderantismus, d.i. ebenso ins Schweizerdeutsch übersetzt - die Spießgesellen und Maulaffen dieses verdorbenen, selbstsüchtigen, schwachen Zeitgeistes allenthalben nur Genuß und Geld, d.i. nur das allgemeine Mittel der Abschwächung der Menschennatur und der Staaten suchten - und so ist's, daß sie Deutschland als Nation sich selbst alle Überreste seiner alten Kraft raubten, und zwar nicht nur seiner sittlichen und geistigen, sondern auch seiner physischen.
Der Aufruhr gab zwar den Jakobinern einen großen Grad physischer Energie wieder. Bonaparte ordnete, belebte und stärkte diese Kraft mitten in der höchsten Steigerung des allgemeinen Staatsverderbens und mitten unter der tiefsten Untergrabung aller wahren Staatskraft. In der Fortdauer einer durch Not erzwungenen und durch Not gesteigerten Gegenwirkung, hob sich endlich auch Deutschlands physische Kraft zu einem hohen Grad der Energie empor. Aber Bonapartes Fall gefahret dieselbe wieder. Die Nachgeburt unserer Schwäche, der schwankende und sich am Hohen, Wahren, Reinen nie festhaltende Moderantismus kam wieder an die Tagesordnung und droht uns nochmals in die Selbsttäuschung zu versenken, in der wir die alten Schwachheitsmittel unseres leidenden Zustands, die Routinen, den Schlendrian und das auf allen Achseln tragen als wahre republikanische Staatsweisheit und als das Mittel ansehen, uns aus dem Abgrund wieder herauszuhelfen, in welchen eben dieser Moderantismus uns hineingestürzt hat.
Zeitalter, Vaterland! Laß dich nicht blenden, der Moderantismus, dieses wahre Abschwächungsmittel alles Guten ist, was man auch immer dagegen sagen mag, nur ein Scheinabschwächungsmittel des Bösen. Es ist aber gewiß, das Böse wird durch die Scheinabschwächungsmittel des Schlechten nicht besser, sondern doppelt böse - es kann nicht anders. Wie es in der Natur des Menschen liegt, daß er im physischen Krankenzustand auch sittlich schwächer und ungeduldiger erscheint als im gesunden, so liegt es auch in der Natur des Geistig-Bösen, daß es in seinem sinnlichen Schwachheitszustand verderblicher, giftiger und unheilbarer auf die menschliche Natur einwirkt, als wenn es in seiner vollen Stärke in derselben dasteht. Was hilft in jedem Fall die Abschwächung der physisch kraftvollen Rohheit der gesellschaftlichen Menschheit, wenn keine sittliche, keine geistige, keine Kunst-, keine Kulturkraft sie ergänzt? Wo der Menschlichkeitssinn, die wahre Kulturkraft mangelt, da ist selber die einseitige, die verdorbene physische Staatskraft, wie grell auch ihre Zivil- und Militärmittel aussehen, ein notwendiges Übel. Wo beide mangeln, wo physische Abschwächung, geistige Beschränkung und sittliche Verödung zusammen erscheinen, da lösen sich die Bande der Staaten unausweichlich von selbst auf. Der bürgerliche Zustand solcher Volksmassen ist dann demjenigen von Meeresfischen gleich, die der Sturm und die Flut auf den Strand geworfen und außer ihrem Element dem Geier zum Raube liegen läßt.
Das Menschengeschlecht kann ohne ordnende Kraft nicht gesellschaftlich vereinigt bleiben. Die Kraft der Kultur vereinigt die Menschen als Individua in Selbständigkeit und Freiheit durch Recht und Kunst. Die Kraft der kulturlosen Zivilisation vereinigt sie ohne Rücksicht auf Selbständigkeit, Freiheit, Recht, und Kunst als Masse durch Gewalt. Der Moderantismus, der die Gewalt schwächt und die Kultur höchstens nur halb will, und dadurch den bloß zivilisierten Staat zur physischen Abschwächung hinlenkt, ohne daß er die höhere Kraft der Selbständigkeit, den Gemeinsinn und die Gemeinkraft der Bürger tiefer und höher begründet, führt den schwachen Staat notwendig an die äußersten Abgründe. Bei sittlicher Entwürdigung und geistiger Entkräftung ist freilich für den Menschen, ich meine für den Mann, der im höheren Sinne des Wortes Mensch ist, schon alles verloren; aber für den Bürger, für den Staat als solchen ist nur dann alles verloren, wenn auch seine physische Kraft dahin ist. Als Bürger bedürfen wir unumgänglich physische Kraft, und zwar eine geordnete, gesicherte und vereinigte Kraft der Masse (Staatskraft). Sie ist die äußere Garantie alles dessen, was wir weiteres vom Staat hoffen und wünschen können. Als Bürger dürfen wir selber das höchste Gut des Staates, seine Ruhe nicht einmal wünschen, bis wir sie durch Bürgerkraft zu verdienen, und durch Bürgertugend zu erhalten wissen; und in allweg dürfen wir uns auf jeden Fall nicht verhehlen: Ruhe schwächt, auch die verdiente Ruhe schwächt, nur die Anstrengung stärkt, und zwar nur so lange, als sie fortdauert. Nur ihre Fortdauer sichert ihre Folgen und ihren Wert, nur sie bewahrt den Bürger und den Staat vor dem Rückfall in die Schwachheitsruhe, deren Pflegerin und Geburtshelferin der auf allen Achseln tragende Moderantismus von jeher war und in Ewigkeit sein wird.
Wahrlich, es ist heute wichtig, daß unser Weltteil erkenne, wieviel Reiz dieses Verführungsmittel glücklicher und scheinglücklicher Staaten in der Schwäche der Menschennatur findet, und daß er sich nicht durch den Traum einer Bürgerruhe einwiegen lasse, der alle Fundamente der Bürgertugend und der Bürgerkraft mangeln.
Es ist heute wichtig zu verhüten, daß nicht unser Weltteil in irgendeinem seiner bedeutenden Teile sich selbst in sesselsitzende Notabeln, und in diese Sesselsitzenden, sei es mit Gemächlichkeit oder mit Mühseligkeit, herumtragende Nullitäten trenne; daß er sich nicht in die anmaßliche Kraftlosigkeit sich vornehm dünkender Nichtswürdigkeiten und eine von der Anmaßlichkeit und Kraftlosigkeit dieser Nichtswürdigkeiten erniedrigte, des Volksnamens unwürdige Menge auflöse.
Es ist heute wichtig, daß der Umschwung der Zeit unsere kaum ein wenig aufgeweckte und belebte Schwachheit nicht wieder sogleich in sich selbst hineinfallen mache. Es ist wichtig, daß wir beim Anschein eines allmählichen Hineinlenkens in einen neuen Moderantismus das Angedenken an den alten nicht verlieren, der unserem Sanskulottismus und unserem Bonapartismus vorhergegangen. Es ist wichtig, daß uns heute durchaus nicht vergönnt werde, die Schrecknisse der Folgen unserer damaligen Schwachheitsverirrungen aus den Augen zu lassen.
Wir haben gesehen, wie es die Welt kaum einmal erfahren, was die tierisch-physische Kraft gegen die menschlich-physische Schwäche vermag, und wir wollen ob Gott will nicht schon unseren nächsten Nachkommen dem nämlichen Unglück preisgeben, das wir solange nicht glaubten überstehen zu können, und endlich nur durch viele, glücklicherweise zusammengetroffene Umstände überstanden haben.
Doch es ist geschehen, wir haben es überstanden. Deutschland hat sich erhoben, sein alter Geist ist wieder rege geworden; aber es hat sein Tagewerk, sein großes, nicht vollendet. Wenn es jetzt stillstände, und nur Ruhe und Genuß suchend, wieder in seine alte Routine und Schlendriansschwäche versinken und den Moderantismus als das (Non plus ultra) seines Strebens anerkennen würde, was hätte es gewonnen, was hätten wir gewonnen? Was wäre aus unserer Erhebung geworden?
Und auch du, Vaterland, wenn du, da du jetzt ebenso glücklich und vielleicht zum Teil ebenso verdienstlos als einige andere europäischen Stände wieder auf eigene Füße gekommen, dich nur in deine alten verblichenen Fußstapfen wieder hineinstellen, und selbst gegen den Sinn und den Edelmut der verbündeten Retter Europas es versäumen würdest, zu einer höheren Staats- und Gemeinkraft, zur Kultur, zum Gemeingeist, zur gesetzlichen Selbständigkeit, zur Freiheitswürde im Recht zu erheben, Vaterland! wenn du dich damit begnügen würdest, nur die äußere Erscheinung deiner inneren Mängel und Schwächen minder auffallend zu machen, und anstatt die allgemeinen Quellen deiner Kraftlosigkeit und Entwürdigung zu verstopfen, nur dahin trachtest, ihren fortdauernden verderblichen Lauf und zwar durch mehr als dreizehnfach getrennte und isoliert selbstsüchtige Kunstmittel nur zu bedecken –
Vaterland! Wenn du auch heute noch fern davon wärest, auch nur danach zu streben, einst, wenn die Stunde dafür schlagen und es nottun wird, gegen jeden Feind der Kultur des Menschengeschlechts, gegen jeden Verhöhner der Menschennatur und der Menschlichkeit selber dazustehen als ein Volk, als ein Land, als eine Macht, als ein Herz und eine Seele, ich setze das Wort meines Herzens hinzu - als eine vereinigte Eidgenossenschaft, Vaterland! wenn du dich heute nicht einmal zu diesem Streben erheben würdest, dann wärest du deiner Stunde und der Segensgewalt, die Gott und die Retter Europas in deine Hand gelegt, nicht würdig. - Gott! du wärest - aber du wirst das nicht sein - nein, nein, du wirst es nicht sein! –
Vaterland! Du wirst heute, deiner Väter, ihrer teuren Freiheit und des inneren Geistes und Segens ihrer Verfassungen eingedenk, alles tun, was in der Hand deiner Kraft, was in der Hand deiner Treue und deiner Edelmut liegt, dich deiner Stunde würdig zu bewähren, und dich in dir selbst wahrhaft, kraftvoll und gesetzlich wieder zu erneuern.
Vaterland! Du wirst alles tun, den Schwierigkeiten deiner Stunde nicht zu unterliegen, und weder durch Vorliebe zum Regierungsschlendrian und zu seinem stolzen Hüten des Nichtsseins und Nichtstuns, noch durch die Zweideutigkeit des Moderantismus, noch durch eine nicht einmal zweideutige Neigung zur Gewalttätigkeit im Inneren dich hinlenken lassen, die letzte Handhabe unserer uralten bürgerlichen Gemeinkraft, ihres Rechtes und ihres Segens aus deiner Hand gleiten zu lassen, Vaterland! Erhebe dein Volk und fürchte das Wort nicht: Dein Volk ist edel; es wird sich nicht wild erheben. Selbst deine Kinder wissen: Wer im Sumpf steckt und sich wild erhebt, der sinkt tiefer, als wenn er ruhig darin steckengeblieben wäre, und in Geduld der Hilfe gewartet hätte, die etwa kommen möchte. Vaterland! Die Volkserhebung, der du bedarfst und die ich dir in deinen Bergen und in deinen Tälern wünsche, ist nicht die wilde Volkserhebung, die der Weise und der Tor, der Schuldige und der Unschuldige gleich fürchten muß. Die Erhebung, die ich dir wünsche und deren du wahrlich bedarfst, spricht eine allgemeine erneuerte Belebung der sittlichen, geistigen und Kunstbildungsmittel der Nation, sie spricht die freie Konkurrenz der Einsichten, der Kunstkräfte und der Berufstätigkeit aller Bürger, sie spricht eine von der Gesetzgebung ausgehende und allgemein eingelenkte freie und kraftvoll organisierte Belebung der bürgerlichen Tugend des Patriotismus an. Sie spricht besonders ein von der Gesetzgebung eingelenktes allgemeines Befördern der Nationaleinsichten über die Fundamente des öffentlichen Wohls und über die Mittel ihrer Begründung und ihrer Erhaltung an, sie spricht die unbedingte und gesetzlich belebte Freiheit der Beratung über das öffentliche Wohl, sie spricht die gesetzlich gesicherte Freiheit der Vorschläge zur Erhaltung desselben und gesicherte Anbahnungs- und Einführungsmittel der progressiv steigenden Resultate der Nationaleinsichten und des wachsenden Nationalpatriotismus an. Sie spricht vor allem aus eine aus dem Geist der Gesetzgebung mit Sicherheit hervorgehende reale und unzweideutige allgemeine Unparteilichkeit des Rechts und eine ebenso reale und allgemeine Gleichheit des Rechtsganges - und zwar besonders in den Kontestationen der niederen Volksklassen und Individuen gegen die höheren Behörden und Individuen an.
Vaterland! Du wirst heute den Ruf, dein Volk wieder zu erheben, nicht von dir weisen; du wirst heute über diesen Ruf, der tausendstimmig an dich gelangt, und dessen Recht durch Wahrheit, Liebe und Pflicht unterstützt wird, nicht hinschlüpfen wie über glühendes Eisen. Nein, Vaterland, du wirst heute dir selber nicht mangeln, du wirst heute als Gesetzgeber vor deinem Volk in der Würde, in der Liebe und in dem Recht deiner Väter dastehen, und keine Klage der Unschuld und Weisheit über bürgerlich organisiertes Unrecht und gesetzlich eingelenkte Gewalttätigkeit gegen dich stattfinden lassen. - Aber wenn du auch das alles getan, wenn du als Gesetzgeber geleistet, was weise Rechtlichkeit, was Vaterlandstreue, was ungegleisnete Bürger- und Freiheitsliebe, was erleuchteter vaterländischer Gemeinsinn von dir fordert, Vaterland! wenn auch heute die Schwachen deiner Stadt- und die Schwachen deiner Landbürger dich als Gesetzgeber segnen und zugleich die Starken im Land, die Männer edlen Mutes, die Männer der Freiheit und des Rechts dankbar von dir zeugen werden, daß sie von deiner Gesetzgebung erhoben, in deinen Bergen und in deinen Tälern frei atmen dürfen, wie unsere Väter, von dem Sinn der Männer im Grüttli erhoben, in unseren Bergen und Tälern frei atmeten und jahrhundertelang ihnen dankten, daß sie es durften, Vaterland! Wenn du das alles getan, auch dann spanne deine Hoffnungen darüber noch nicht zu hoch!
Es gibt dem Staat als solchem, unabhängend von seiner mehr oder minder guten äußeren Verfassung, Übel, die mit seinem Wesen so innig verbunden sind, daß man sie beinahe als im Staat ewig bestehend ansehen muß.