Rede von Pestalozzi zu seinem zweiundsiebzigsten Geburtstag
12. Januar 1818
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Lieber Enkel! Ich blicke mit einiger Wehmut auf dich hin, und mit ihr auf mein ganzes vergangenes Leben, dessen Drang und dessen Verirrungen mich zuviel, viel zuviel von deiner Seite und von der Seite aller meinigen wegriß. Dieser Drang und diese Verwirrungen meines Lebens, die mich so oft über meinen häuslichen Kreis empor- oder vielmehr aus demselben herausrissen und durch die luftigen Höhen einer sich leicht zu versteigenden Einbildungskraft Abgründen nahe brachte, in die ich, ohne Gottes ob mir waltende Vorsehung, unerrettbar hineingestürzt wäre – dieser alte Drang meines Lebens riß mich auch ebenso von der Seite deines Vaters weg, und ist vielleicht die Ursache seines frühzeitigen Todes. Deine Großmutter war wohlhabend, ihr Vermögen ist größtenteils in meiner Hand zugrundegegangen. Du warst eine Waise, wahrlich eine arme Waise. Deine Großmutter litt unaussprechlich durch die Sorglosigkeit meines Lebens für die meinigen. Sie hoffte aber immer an meiner Seite das Bessere, und litt durch ihr ganzes Leben geduldig, da meine ökonomischen Hoffnungen mir immer scheiterten. So sehr sie aber darunter litt, so liebevoll vergab sie mir die Täuschungen meines Lebens, und trug die Leiden desselben mit einer Höhe der Unschuld, mit einem Engelsherzen, das ein besseres Schicksal verdient hätte. In den äußersten Gefahren für ihr Alter und für dich, Lieber, fiel ihr noch durch ein unerwartetes Glück ein Erbe zu, das sie denn gottlob endlich meiner Schwäche und meiner Sorglosigkeit für die meinigen entriß, und dir aufbehielt. Aber es war nicht groß genug, um dich für dein Leben unabhängend zu setzen. Man war für dich besorgt und fürchtete, du verlierst an meiner Seite alle Kräfte, dich einst als braven Hausvater wirtschaftlich wohl zu versorgen, und da du in meinen Umgebungen auch nicht geistig belebt erschienst, und meine Umstände in diesem Zeitpunkt für mich und für meine Lage immer größere Besorgnisse erzeugten, vereinigten sich die Wünsche deiner Großmutter und deiner Mutter mit den treuesten meiner Freunde dahin, du müssest eine bürgerliche Begangenschaft lernen. Dich physisch stark fühlend, und Handarbeit der Kopfarbeit vorziehend, wähltest du das Gerberhandwerk, und ich sah so die letzte Hoffnung, das Streben meines Lebens, in meinen alten Tagen und nach meinem Tod von irgend jemand der meinigen fortgesetzt und erhalten zu werden, hinschwinden. Ich sah auch dein Scheiden als ein Zeichen des unausweichlichen Versinkens meiner selbst, und meiner Lage an, lobte indessen die Vorsicht der meinigen für dich, und war betrübt in mir selbst.
Aber das Wort des Todbetts deiner Mutter: Was Gott tut, das ist wohl getan im Himmel und auf Erden, dieses Wort deiner Mutter erfüllte sich auch an dir. Du hast dich in den vier Jahren deiner Abwesenheit zu Kräften erhoben, zu denen du an meiner Seite nicht gelangt wärst; du hast als Lehrknabe deines Handwerks an Anstrengung, an Fleiß, an Ausharrung gewonnen. Du hast ohne die kleinlichen Anmaßungen der Zeitnotabeln im Bürgerstand, die sich bald mit jedem Tag in unserer Mitte in einer immer wachsenden Erbärmlichkeit aussprechen, leben gelernt. Du hast sowohl beides, die wachsende Schlechtheit des handarbeitenden Volkes, als auch die feste Ehrenfestigkeit des alten häuslichen Sinnes, und die alte Kraft des Bonsens, und den Edelmut, die sich in den besseren Haushaltungen der gemeinen Stände noch erhalten, gesehen. Ebenso hast du die Zurücksetzung, die Erniedrigung und das Versinken dieser Stände, und die immer mehr steigende Unmöglichkeit, sich durch ihre Berufe zu der bürgerlichen Würde zu erheben, in der unsere Väter mitten im Treiben dieser Berufe dennoch lebten, gesehen; du hast die sich fühlende Kraft der Besseren dieser Stände gegen die einschmeichelnde Biegsamkeit des an ihrer Statt jetzt unter uns immer mehr emporwachsenden Knechtengeistes der gemeinen bürgerlichen Stände gesehen; kurz, du hast vieles von dem, was dem Volk seine Leiden bereitet und zum Teil unheilbar macht, gesehen, und auf der einen Seite die Wichtigkeit des Strebens meiner Lebenstage erkennen, und wolltest auf der anderen Seite nicht in das Elend hinabsinken, wo tausend und tausend Menschen in den niederen Ständen, jetzt für sich und das Vaterland verlorengehen müssen. Du erhobst dich zu dem Gedanken, an meiner Seite dem Vaterland und der Menschheit in den Angelegenheiten zu dienen, die deine Lebenserfahrungen dich jetzt als im höchsten Grad wichtig erkennen gelehrt haben, und kamst zu mir, um an meiner Seite das zu werden, was du fühltest, das man sein und werden muß, um in der Welt nicht bloß in unbedeutender Selbstsorge des Lebens dahin zu versinken, sondern als Mensch wirklich der Menschheit zu leben, und der göttlichen Bestimmung eines Christen würdig zu leben. Du kamst zurück und sagtest: Vater, ich will sein, was du bist, ich will werden, was du bist!
Lieber! Du machtest mich durch dieses Wort glücklich, wie ich nicht leicht durch irgendein Wort hätte glücklich werden können. Und siehe, so groß meine Freude über dein Zurückkommen und über dein Wort war: Ich will sein, was du bist, und will haben, was du hast, siehe, so gebe ich heute dennoch das, was du, wenn du es mit den Augen der Welt ansähest, als das deinige achten könntest; denn ich fühle wohl, der Gedanke, ich könnte den Ertrag meiner Schriften und das, was ich allfällig noch erwerben könnte, dir als einen Ersatz für das, was von deinen Erbhoffnungen in meiner Hand zugrundegegangen, überlassen – ich weiß, dieser Gedanke könnte leicht in deiner Seele aufsteigen, und ich weiß, daß es dir vielseitig zu Ohren kommen wird, ich habe nicht für dich gesorgt, wie ich für dich hätte sorgen sollen, und hinterlasse dir nicht, was ich dir hätte hinterlassen sollen. Aber ich achte es nicht. Ich will den Fehler, von dieser Seite nicht wohl für dich gesorgt zu haben, wie er wahrhaftig ist, mit mir ins Grab tragen; aber ich will ihn nicht mit dem zweiten Fehler, auch meine Bestrebungen für die Erziehung und die Armut durch eben diese Schwäche vereitelt zu sehen, noch verdoppeln, und ihm den Charakter der Schlechtheit geben, da er jetzt doch nur noch denjenigen der Schwäche hat. Und wenn ich's auch täte, wenn ich dir auch den ganzen Ertrag meiner Schriften zuhändigte, so würde dir das nicht helfen. Deine Großmutter hat zur Sicherstellung einer stillen, tätigen, bürgerlichen Laufbahn genügsam für dich gesorgt. Für die Bedürfnisse eines untätigen, anmaßlichen, fratzenartig adeligen Bürgerlebens sind 1000 und 2000 Louisdor soviel als nichts. Ich entziehe dir also ruhig, was heute in meine Hand fällt, und was ich noch für dich erwerben könnte, und lasse dir nichts, als was dir deine gute selige Großmutter versichert hat. Aber indem ich dir das entziehe, gebe ich dir mehr, als ich dir entziehe, und gottlob, du weißt es. Du hast es ausgesprochen. Du willst sein, was ich bin, du willst werden, was ich bin. Silber und Gold macht dich nicht zu dem, was ich bin. Ich bin durch mein Herz, was ich bin. Nimm das Werk meiner Tage, nimm den Sinn meiner heutigen Stiftung in dein Herz, und zeige dich, wenn meine Gebeine ruhen, für die Zwecke meines Lebens und meiner Stiftung tätig und kraftvoll, und werde in deinem Inneren für das Wesen derselben belebt und durch dasselbe erhoben; dann wirst du besitzen, was ich besitze, und sein, was ich bin, und Silber und Gold werden dir dann nicht geben können, was du besitzest.
Die Armut meines Geschlechtes, der ich nichts zu geben vermochte, wird durch dein Leben und durch dein Tun erkennen, was ich ihr geben wollte und bei meinem Leben nicht geben konnte. Werde die Stütze meiner Stiftung mit meinem Herzen, und mit Kräften, die mir mangelten, und die Gott dir an deine Seite geben wird, und das Scherflein, das ich heute auf den Altar der Menschheit lege, wird dir ein Erbe werden, wie wenige Kinder ein Erbe von ihren Eltern erhalten. Einziger meiner Nachkömmlinge! An deiner Freude über meine Stiftung, die du heute mir so warm und innig zeigtest, erkenne ich, daß du in Wahrheit und Unschuld werden willst, was ich bin. Ich habe deine Freude in deinen Augen gelesen, als du vor mir das Wort aussprachst: "Wenn es auch noch mehr wäre, was du mir entziehst, es würde mich nicht freuen zu besitzen!" Lieber! Diese Worte der Unschuld und Liebe rührten mein Herz, und ich habe Glauben an sie, und die Stunde meines Todes wird auch deinethalben heiter für mich sein.
Die Freunde meiner Tage werden sich um dich her vereinigen. Auch die, die in den Tagen meiner inneren tiefsten Leiden mich verkannt haben, werden mich in dir wieder erkennen, und an deiner Seite auf meinem Grab die Täuschung erkennen, um derentwillen sie mir ihre Herzen und ihre Hand entzogen. Lieber! Die Welt um mich geht dahin; die, in der ich jetzt lebe, ist nicht mehr die meinige, und, Lieber! deine Welt ist in den bedeutendsten Punkten für dich, menschlicherweise davon zu reden, auch zu früh von dir geschieden. Dein seliger, im Leben unglücklicher ater ist tot. Deine edle Mutter ist tot. Ihre Freundin, die aufgeopferte, durch ein Leben voll Leiden gewandelte Großmutter ist auch schon in dem besseren Leben, dem wir alle hoffnungsvoll entgegengehen. Nur ich und dein zweiter Vater sind dir noch übrig geblieben, und deine treue Gotten, die innige Freundin deiner edlen Großmutter und Mutter, die edle, treue Pflegerin deines solange kranken Vaters, die treueste, kraftvollste, und unerschüttert sich über dreißig Jahre in aufopferndem Dienst hingebende Stütze meines Hauses, sie allein lebt noch, und auch mein Dasein kann, menschlicherweise davon zu reden, nicht mehr lange dauern. Aber fürchte dich nicht! Glaub' an das Wort deiner Mutter: Gott hilft, er hat immer geholfen und wird ferner helfen, wie und wenn er's tut, sollen wir nicht fragen; seine Wege sind wunderbar und unerforschlich, aber wenn die Not am größten, so ist seine Hilfe am nächsten. Höre, ich will dir etwas erzählen!
Als ich in deinem Alter fast wie ein Kind lebte, und in den Tag hinein das Gute suchte, aber meine Augen weder links noch rechts kehrte, zu sehen, was daneben lag, und mit meiner Einbildungskraft allem, was mir gut schien, entgegenstrebte und nach Höhen emporflog, wie eine Lerche, die sich auf Höhen schwingen will, die nur der Adler zu erfliegen imstande ist, da lebte ich dem Anschein nach schöne Tage. Ja, sie schienen schön, und waren zum Teil schön, diese Tage des jugendlichen Aufstrebens zu allem Guten. Die edlere Jugend, die mich umgab, lebte damals im religiösen und politischen Aufstreben in Träumen, die den meinigen in ihrem Wesen ähnlich waren. Nichts schien uns zu kühn, nichts schien uns zu schwer; ein Einziger von uns warnte; er wollte auch das Höchste, das er erkannte, aber er warnte vor dem leichtsinnigen Glauben an das Erreichen des Guten, das man kraftlos nur wünsche. Es war sein Wort: Man muß von schwachen, niederen Stauden keine Körbe voll Frucht erwarten; der Baum muß stark und groß sein, der viel Früchte tragen soll.Er warnte vorzüglich mich. Ich hing an diesem Mann, und glaubte nicht an meine Kraft, ich glaubte nur an die seine; aber in seiner Kraft glaubte ich mächtig zu sein für alles, was ich wünschte. Da ich so auf ihn vertraute, und mein Leben an seine Kraft setzte, da starb er. Die Worte seines Abschieds sind diese: Pestalozzi, laß dich in kein Unternehmen hinein, das auf irgendeine Art ins Große gehen und mißlich werden kann, ohne einen kalten, überlegten Mann, der mit Festigkeit und mit Mißtrauen gegen seine Umgebungen zu Werke geht! Die Menschen sind schwach, und werden aus Schwäche schlecht. Sie werden dich mißbrauchen. Wo es gut geht, wirst du ihr Knecht und der Narr im Spiel sein, und wo es böse geht, wirst du das Opfer ihres Spiels werden, zu dem sie dich nicht um deinetwillen hinzugezogen haben. Zu welchem Haufen du dich auch hinstellst, der Haufen wird sicher nie wirklich wollen, was du willst, und sicher nie wirklich suchen, was du suchst. Eine Weile darauf sagte er dann noch:Wüßte ich dir nur einen Freund, der kraftvoll, mutvoll und mißtrauisch wäre, wie du einen brauchst, ich würde deinethalben ruhiger sterben. – So nahm er von mir Abschied, und wenige Tage darauf starb er. Lavater zeichnete mir den Freund im Sarg ab; ach! ich habe auch dieses Kleinod meiner jungen Tage verloren. Lavater mußte mich von seinem Sarg wegreißen, daß ich meine Sinne nicht verliere, so ging mir sein Tod zu Herzen.
Wie wahr hat er geredet, wie sehr hat er in seiner Jugend schon die Welt gekannt. Wie sehr mangelte mir durch mein Leben ein ruhiger, bedächtlicher, gegen die Schwäche und die Tücke des menschlichen Herzens gleich mißtrauischer Mann. Ich war tausendmal das Opfer dieser Schwäche und dieser Tücke, und du würdest es mit deinem Herzen, das schwach und gut ist, wie das meine, auch sein, wenn in irgendeinem größeren Verhältnis du nicht einen Mann neben dir hättest, wie mein Freund auf seinem Todbett mir einen wünschte. Ich fand ihn lange nicht. Meine Haare fingen an grau zu werden, ehe ich ihn fand. Endlich doch gab mir ihn Gott. Er wuchs an meiner Seite auf. Er erkannte mein Vaterherz, und wuchs als liebendes Kind an meiner Seite zum Mann, zum Mann, der jetzt die Stütze meines Alters ist, auf. O Gott! Durch welch eine Welt wand ich mich, ohne solch einen Mann an meiner Seite zu haben, mit meinem Herzen! Ich glaubte der Menschen Worte, und sie gaben mir Worte. Von mir wollten viele mehr; ich gab ihnen, was ich hatte. Oft wenn ich die Hand voll hatte, nahm einer, was darin war; meine Hand wollte er nicht, und oft tat ihm das nicht einmal wohl, was er hinnahm. Hätte mein Freund gelebt, er hätte das Gute, das ich tat, mit mir selbst in Zusammenhang gebracht und dadurch wirksam gemacht. Ich ließ es zersplittern, und es blieb ohne Wirkung.
Mich selbst vernachlässigte ich ganz, und lebte wahrlich, in Rücksicht auf mich und die meinigen und auf meine alten Tage, auf eine Weise, von der das Volk in seiner Sprache sagt: "Es ist Gott versucht." Ich stehe jetzt freilich da, und spreche es mit Dank gegen Gott aus: Er hat mit den Wundern seiner Güte mir die Tage meines Alters leicht gemacht. Aber, Freunde! die Ihr jetzt um mich her versammelt dasteht, nehmt keinen Teil an diesem Fehler, nehmt keinen Teil an diesem Unrecht meines Lebens; lebt Eurer alten Tage halber, lebt der Eurigen halber nie auf eine Weise, von der es heißen kann, sie ist Gott versucht. Wirkt Euer Heil von dieser Seite, weil es Tag ist, eh' dann die Nacht kommt, und die Tage erscheinen, von denen wir sagen, sie gefallen mir nicht.
Die Gefahren meines Lebens waren von dieser Seite unermeßlich. So gern ich jedem meine Hand bot, so sehr fühlte ich, wie sehr ich die seine wieder bedürfte. In der Lage, in die ich mich stürzte, ist es nicht möglich, einen hilfsbedürftigeren Menschen zu denken, als ich war und als ich mich fühlte. Ich konnte von dem, was ich in meiner Lage können sollte, so wenig, und noch viel weniger von dem, was ich wollte, suchte so oft ins Blinde hinein Hilfe, und fand dann natürlich nur Halbhilfe; und Halbhilfe ist wie keine. Ich aber wußte es nicht und glaubte daran, und war dadurch so unglücklich, als mir mein Freund voraussagte. Hätte er gelebt, das alles wäre mir, menschlicherweise davon zu reden, nicht begegnet. Hätte er gelebt, ich wäre gewiß nicht in den Zustand gekommen, in dem ich, ich möchte sagen, in meinem Elend gleichsam ausreifend, endlich mich selbst verlor und der Verzweiflung nahegebracht war, die meinen Umgebungen nur Furcht über meinen Zustand und Verachtung erweckte, und fast von jedermann mit einer Art von Widerwillen und Ängstlichkeit, und von vielen noch mit dem Urteil: ich habe mir mein Schicksal selbst zugezogen und verdient, ins Auge gefaßt war, als sie mich, unbeholfen und unberaten, dennoch auf einem großen Kampfplatz, von dem ich in dieser Lage nicht einmal abtreten durfte, stehend fanden.
Freunde! Es sind Szenen von diesem Zustand niedergelegt; möge sie die Welt nie sehen und ihr Entsetzen niemand erschüttern, der nie so etwas gesehen. Ich raste, ja ich raste in dieser Zeit vor Liebe zu denen, die mich jetzt verließen, und vor Kummer für dich, gutes Werk meines Lebens, das man jetzt bald in meinen nächsten Umgebungen in meiner Hand als in der Hand eines verlorenen, und, ich muß fast sagen, als in der Hand eines unwürdigen, eines verworfenen Mannes ansah und behandelte.
Mein äußerlicher gänzlicher Ruin, das gänzliche Auflösen aller äußeren Mittel meines Tuns schien jetzt entschieden; da sandte mir Gott einen Mann, wie mein Freund vor fünfzig Jahren mir einen wünschte. Dieser Mann warf sich wie eine harte Schale um den Kern meines hinschwindenden Tuns, und rettete mich. – Er rettete mich. Ohne ihn, lieber Enkel, wärst du jetzt nicht da; ohne ihn sprächst du jetzt das Wort nicht vor mir aus: Vater, ich will sein, was du bist, ich will werden, was du bist! Auch ich wäre jetzt nicht da. Ich wäre nichts mehr für dich; ich hätte hier nichts mehr für dich. Das Werk meiner Tage wäre jetzt außer meiner Hand; und an mein Elend, darin ich jetzt wäre, wollt ich dich nicht ketten. Aber ich bin errettet, von ihm errettet, von ihm, den ich erzogen, von ihm, den ich von der ersten Stunde an erkannt und gleichsam seine Hoffnung für mich ahnend, mit unauslöschlichen Gefühlen an mein Herz gekettet. Dieser Mann wird auch deine Schwäche, er wird auch die Schwäche deiner Jugend und deines Herzens, die der meinigen gleich ist, schützen. Er wird das Äußere meines Werkes schützen, wie ein Felsen, der, unerschüttert in der Tiefe der Erde gegründet, ewig fest dasteht. Auch das Innere meines Tuns ist ihm heilig.
Lieber Enkel! Auch dir wird er sein, was ich dir unmöglich sein konnte, ob ich's gleich sollte. Er wird dir sein, was ich dir sein sollte, obwohl er mir durchaus nicht gleich ist. Lieber Enkel! Es ist kaum möglich, daß zwei Menschen im Wesen ihrer Anlagen verschiedener seien, als er und ich; aber was ich bedurfte, was ich durch mein Leben für dich bedurfte, und was ich jetzt auch für dich bedarf, lieber Enkel! was mein sterbender Freund als die einzig mögliche Rettung meiner Lebenstage ansah, das besitzt er in einem hohen Grad und hat damit meine, durch mein schwaches Leben immer gefährdete, und in den letzten Jahren nicht mehr nur gefährdete, sondern zertretene Selbständigkeit gleichsam aus dem Feuer gerettet, und mir wiedergegeben. Überzeugung, Dankbarkeit und namenloses Zusammentreffen von tausend und tausend Ansichten des Lebens ketteten mich lange mit unauflöslichen Banden an ihn, ehe mein Enkel, dessen er sich wie ein Vater annimmt, wieder zurückkam, und lange, ehe von meiner Stiftung die Rede war, für die er mir jetzt alle Kräfte seines Lebens hingibt, und wofür ich ihn jetzt mit Dankbarkeit gegen die Vorsehung als den Mitstifter meiner Vergabung, als den Mann erkläre, von dessen Tat und Leben ich die größte Segenshoffnung für meine Zwecke, und wahrlich, wahrlich für das Innerste, Heiligste, Höchste ihres Wesens in mir selber nähre.
Freunde! Freunde! Ich muß meine innerste Überzeugung hierüber noch aussprechen: Er legt das Opfer seines Lebens nicht auf den Altar meiner Selbstsucht. Ich wollte es aber auch nicht. Ich will es nicht. Nein, nein, ich suchte dieses Opfer und suche es noch heute zum Dienst des Höchsten, des Heiligsten, zu dem sich meine Seele in ihrem reinsten Streben zu erheben vermochte. Und, Freunde! Brüder! das Opfer seines Lebens, nicht das Opfer seines Geldes, nein, das Opfer seines Lebens liegt da, um mir zum Dienst dieses Höchsten in meinen Umgebungen wieder den Spielraum zu geben, den ich darin verloren, um mich also frei und selbständig zu erhalten bis an mein Grab. Und ich bedurfte dieses Opfers, ich bedurfte dieser Hilfe, um dem Werk meines Lebens durch mich selbst in meinem Geist und in meiner Wahrheit auch hinter meinem Grab eine sichere Dauer zu verschaffen, und von meiner Seite noch bei meinem Leben etwas dazu beitragen zu können, daß alle, die das Streben meines Lebens als Wahrheit und als Recht anerkannt haben, sich untereinander dahin vereinigen, auch die Wichtigkeit der heiligen Sorgfalt für die äußeren Mittel zu unserem Ziel mit selbstsuchtloser Aufopferungs- und Tatkraft zu befördern.
Freunde! Wie oft muß ich noch in meiner Lage wiederholen: Wenn die Schale meines Kerns zertreten wird, so leidet auch der Kern, und wenn er unreif in der zertretenen Schale liegt, so gelangt er ewig nicht zur Reifung. Freunde! Nehmt doch dieses Wort als das erläuternde Wort meines Benehmens in meiner Lage zu Herzen, und glaubt doch nicht, daß ich irgendeine Schale als solche hochachte, oder daß ich irgendeinen von Euch in irgendeinem Fall um des äußeren Dienstes einer solchen Schale willen um mich vereinigt wünsche! Nein, nein, ich bitte Euch vor Gott und meinem Gewissen, den inneren Zwecken meines Lebens zu dienen; aber freilich dann auch meine Sorge für die äußere Schale derselben nicht gedankenlos und sorglos zu verschmähen. Verachte doch auch in dieser Rücksicht keiner von Euch des anderen Gabe, und des anderen Kräfte! Der Bau der Wahrheit und des Guten fordert allerlei Gaben, allerlei Kräfte, allerlei Mittel.
Freunde! Brüder! Die Kraft in der Sorge für die äußeren Mittel des Guten ist eine Gabe Gottes, die nur der verkennt, der auch für das innere Wesen des Guten gedankenlos, kraftlos und leichtsinnig ist. Der Kern der Dinge ist freilich alles, die Schale ist freilich nichts, wenn nämlich der Kern reif ist, und der Schale nicht mehr bedarf. Das war aber sicher nicht unser Fall. Die vielseitige Vernachlässigung der Schale unseres Tuns hat bei uns den Kern desselben in seinem innersten Wesen angegriffen. Ich leugne es zwar gar nicht, der Fehler dieser Vernachlässigung ging von mir selbst, und von meiner fast beispiellosen Gedankenlosigkeit hierüber aus. Er fand zwar durch die Eigenheit meines Charakters in mir selbst ein Gegengewicht gegen das Äußerste seiner Folgen; aber das war denn doch nicht der Fall bei all denen, die er ansteckte, und das Sprichwort: "Das Gleiche, wenn es zwei tun, ist nicht immer das Gleiche", ward in meiner Lage dem sehenden Auge diesfalls sehr heiter. Der Geist meiner Nachlässigkeit hatte sichtbar eine andere Natur, als die Massennachlässigkeit, die mich, der ich sonst in meinen Umgebungen in nichts einen Drang, mich nachzuahmen, verspürte, hier allgemein nachahmte. Wie ich aber mich und andere darin immer entschuldige, so ändert das nicht, daß am Ende ihre und meine diesfälligen Fehler mir und meinem Haus auf eine Weise über den Kopf wuchsen, daß ich dringend Hilfe zu unserer Rettung bedurfte. –
Und Gott gab sie mir, nicht in einem fehlerlosen, sondern in einem Menschen, wie wir alle sind; aber in einem Menschen, der bestimmt die Kräfte hatte, deren Mangel mein Haus an den äußersten Rand des Abgrunds, und mich der Verzweiflung nahegebracht hatte. Gott gab mir in ihm Hilfe in der Zeit der Not, wo keine andere Hilfe mehr um den Weg war, und wo niemand in meiner Nähe auch nur den Willen für die Kräfte mehr hatte, deren ich in diesem Augenblick dringend zu meiner Rettung bedurfte. Er aber hatte sie. Er hat sie, und mit ihnen den Willen und die Liebe, sie für mich zum Dienst meiner Zwecke hinzugeben.
Ja, Freunde! zum Dienst meiner Zwecke! Und Ihr tut mir Unrecht, jeder tut mir Unrecht, der einen Augenblick glaubt, daß ich seine Hilfe nur um des Äußeren ihrer Folgen willen schätze, und die hohe und wahre Kraft des Heils, die ich, wenn auch ungeschickt, doch solange und so ernst mit Euch suchte, um des Blendwerks dieses Äußeren willen verleugne und verlasse, und die Kraft dieses Mannes dahin brauchen wolle, den tiefen ewigen Felsen, auf den wir unser Haus zu bauen gesucht haben, durch ihn auszugraben, um dasselbe dann auch wieder durch ihn auf einen Sandhaufen zu bauen. Nein, Freunde! ich habe mir ihn nicht zu einem Götzen ausgesucht, in dessen blinder Verehrung ich mich selbst zu verlieren gedenke. Nein, ich will mich nicht in mir selber verlieren. Ich will aus ihm nicht mehr machen, als er mir ist. Ich kenne ihn. Ich weiß, was er ist, und was er nicht ist; und was er nicht ist, und was er nicht hat, das träume ich nicht in ihm und such' es nicht bei ihm, aber ich wünsche es ihm von Gott und den Menschen in der Liebe und durch die Liebe.
Ich weiß, es fehlt ihm an tausenden, das andere haben. Es fehlt ihm an Wissenschaften. Es fehlt ihm an Kunst. Er ist literarisch so unwissend als ich, und ich spreche es seinethalben aus, daß ich es gegen meinen Feind nicht bestimmter aussprechen könnte: er hat seine Fehler, und ich muß auch seinethalben, wie meinethalben Gott bitten, daß er ihn bewahre vor aller Verirrung des Fleisches und des Geistes. Aber von welchem Menschen muß ich das nicht Gott bitten? – Er hat eine Naturkraft, die in ihrer Kunstlosigkeit hindringt, wo eine große Kunst oft vor meinen Augen zurückstand, und es geht mir seinethalben oft wie einem Mann, der von einem großen Birnbaum, der neben seinem Garten stand, oft sagte: Ich wollte, er hätte einen Ast weniger, er gäbe mir dann freilich weniger Birnen, aber er machte mir dann auch weniger Schatten im Garten. Aber so oft er das sagte, so hieb er den Ast doch nie ab. So geht's mir auch mit Schmid, und Ihr glaubt mir es wohl, er geniert mich mit seiner Kraft oft recht tüchtig, vielleicht mehr, als der Birnbaum den Mann, der lieber mehr Sonne im Garten gehabt hätte als Birnen, und doch dem Ast am Baum, der ihm Schatten machte, nicht abhieb.
Freunde! Mein Respekt für die Naturkräfte, wie sie unverkünstelt im Volk dastehen, ist groß, und hat, seitdem ich Schmid kenne, bei mir in eben dem Grad zugenommen, als mein Mißtrauen gegen die Anmaßungen unserer vielseitigen Verkünstelung.Ich sag' es frei, dieser Respekt für die so sehr mißkannten Naturkräfte im Volk ist bei mir auch da noch groß, wo sie aus Mangel von Pflege zum Teil verletzt und verunstaltet erscheinen. Die verletzte Natur kann sich in tausend Fällen wieder von selbst heilen, aber die verunstaltete Kunst ist meistens unheilbar. Freunde! In dieser Ansicht liegt der innerste Aufschluß meiner diesfälligen Denkungs- und Handlungsweise in Rücksicht auf Schmid. Ich schätze freilich auch seine äußere Kraft enthusiastisch hoch, und mußte es, weil ich, menschlicherweise davon zu reden, ohne sie keine Kraft mehr gehabt hätte und keine mehr gefunden hätte, das Innere meines Tuns selber zu retten.
Aber man geht im Unrecht, das man mir seinethalben tut, außer alle Schranken. Man wirft mir sogar vor, ich sei um seinetwillen gegen jedermann, und selbst gegen Männer, die großes Verdienst um mich haben, undankbar. Freunde! Ich habe 72 Jahre nicht undankbar gelebt, und seitdem ich an der Spitze meiner Anstalt lebe, war immer die Klage, daß ich den Wert und den Verdienst von Menschen, die mir dienten, und selbst von Zöglingen, die mich befriedigten, immer unvernünftig überschätze, und sie dadurch verderbe. Und es ist wahr, das war meine Schwäche. Aber wenn man diese Schwäche gegen mich dann mißbrauchte, und mich mit meinem Fehler selber gegen mich selbst überwältigte, um die letzte Spur meiner Selbständigkeit in mir selbst und in meinen Umgebungen auszulöschen, war das dann auch ganz und allein mein Fehler? Die Wahrheit, und der Geist der Wahrheit überwältigt die Schwäche nie also, – und sollte wohl der Irrtum dieses Recht der Überwältigung der Schwäche ansprechen dürfen? Und wer darf behaupten, es wäre Undankbarkeit, wenn sich ein Mensch endlich den Folgen einer solchen Überwältigung widersetzte? Wer darf es aussprechen, es sei Undankbarkeit, daß ich dieses endlich noch mit dem einzigen Mittel, das in meiner Hand übergeblieben, zu tun versuchte? Nein, das tut niemand, der in der Wahrheit lebt; das tut niemand, der in der Liebe lebt!
Auch die Schwäche hat ihr Recht, und eben, weil sie schwach ist, muß man es ihr mehr als der Felsenkraft, die unumstößlich ist, verzeihen, wenn sie, im Fall sie sich nicht mehr erwehren kann, unter den Pantoffel höherer Kräfte zu fallen, doch noch etwas empfindlich ist, und es eben nicht gern hat, wenn der sie meisternde Pantoffel auch gar zu hart auf sie auftritt; und dann war ich seit vielen Jahren immer wie der Vogel auf dem Zweig, und stand tausendmal an Abgründen meines Ruins, bei denen ich mich nur wie durch ein Wunder gerettet fühlte. Daß ich aber in dieser Lage etwas ängstlich geworden und Bang' hatte vor einem jeden Mann, der unter diesen Umständen noch die Streitkolbe gegen mich aufhub, und damit die Lasten meiner Lage dadurch noch bis ins Unerträgliche erhöhte, ist mir doch wohl zu verzeihen, und ich wäre gewiß auch nicht undankbar, wenn ich unter diesen Umständen einen solchen Mann, ungeachtet aller seiner anderweitigen Verdienste, in einem solchen Augenblick nicht nach seinem vollen Wert gewürdigt hätte. Oder ist es anders? Bin ich wirklich darin undankbar? Nun denn. – Wer immer so lange, wie ich, in seiner Lage wie der Vogel auf dem Zweig gesessen, und an Abgründen stand, wie die meinigen waren, der stehe auf, und werfe den Stein, den er gegen mich, als gegen einen Undankbaren, in seiner Hand hat, auf mich, wenn er's darf; darf er's aber nicht, so lege er seinen Stein aus der Hand und bete jeden Mann, der unter diesen Umständen mit dem Streitkolben in der Hand gegen mich dastand, die Tränen, die diesfalls in meinen Augen sind, zu sehen und sein Auge einer Träne für mich nicht zu verschließen. Er bitte ihn um einen Blick für mich, der die Furcht aus meiner Seele jage. Ich bin einer hohen innigen Liebe in mir selbst für ihn sicher. Nur soll er nicht fordern, daß ich das an ihm würdige, was ich nicht verstehe; nur soll er die Schwäche meines Kopfes nicht der Härte meines Herzens zuschreiben, und mich nicht darum für undankbar erklären, weil ich das nicht genügsam würdige, was ich nicht genügsam erkenne.
Doch was will ich sagen? Eben hier liegt die Grundanklage, die gegen mich statthat, "ich vermöge nämlich dem Geist, der meinem Streben zugrundeliegt, nicht mehr zu folgen, und störe und erlahme durch mein diesfälliges Unvermögen die Kraft derer, die im Geist und in der Wahrheit meines Strebens weiter vorgerückt seien als ich." Es ist schon eine alte Klage: "Mein Geist habe mich verlassen; ich habe mich selbst überlebt, und die Wahrheit und das Recht meines Strebens sei aus meiner Hand in andere übergegangen." Ich weiß auch wohl und fühle es tief, daß ich einige Kräfte, die zur Beförderung meiner Zwecke wesentlich sind, ganz und gar nicht besitze; hingegen weiß ich eben so bestimmt, daß ich alle diejenigen Kräfte, die ich jemals hierzu besessen, gewiß auch jetzt noch mit einiger Lebendigkeit und mit einigem Drang, sie anwenden und benutzen zu können, in mir selbst fühle.
Ich habe inzwischen dieses Todesurteil gegen mein geistiges und sittliches früheres Leben schon lange mit tiefer Kränkung sich hie und da künstlich entfalten und immer tiefergreifen, aber zugleich auch die Hilfe und Teilnahme, der ich bedurfte, in dem Grad abnehmen gesehen, als das Kunstgerede über mein sittliches und geistiges Versinken immer größer wurde und weitergriff. Ich sah die Kräfte, die mir mangelten, und die andere besaßen, anstatt sich mit den meinigen zu vereinigen, sich immer mehr von denselben trennen, und isoliert eine selbständige Allmacht ansprechen, die gar oft nicht bloß der Eigenheit meiner Ansichten, sondern meinen Rechten selber geradezu entgegenwirkten, und dadurch den Zustand des Ganzen in sich selbst notwendig verwirren mußten. Meine Individualität war jetzt in ihren, für das Ganze meiner Zwecke wirklich einseitigen und ungenugtuenden Kräften sich selbst überlassen, und ich mußte unter diesen Umständen in meinen Umgebungen nicht nur schwächer erscheinen, sondern wirklich schwächer werden und schwächer wirken, als es unter anderen Umständen nicht der Fall gewesen wäre.
Das sah ich wohl, mit all seinen Folgen; was ich aber nicht sah, und doch war, ist dieses: Die sich entgegengesetzten Kräfte meines Hauses stärkten sich, mitten indem sie sich isolierten und hemmten; und so sehr dieses für den Augenblick meinem Hause, meinen Zwecken und meiner persönlichen Beruhigung nachteilig war, so sehr hatte es wesentliche Vorteile für die Stärkung der Kräfte einiger Glieder meines Hauses, und für die weiteren und allgemeinen Folgen, die ihre Kräfte auf die Beförderung unserer gemeinsamen Zwecke haben können und haben werden. So wie indessen mein Starrsinn mich in einigen meiner individuellen Ansichten stärkte, so hatte der nämliche Fehler bei anderen Gliedern meines Hauses die nämliche Wirkung. Im begründeten oder unbegründeten Selbstgefühl seines Rechts stand bald ein jeder in der Einseitigkeit seiner Ansichten und Mittel so weit kraftvoll da, als die Einseitigkeit kraftvoll zu machen vermag.
Aber indem also keiner dem anderen wich, war der Strom unseres Lebens freilich im allgemeinen aufgehalten. Das Zuströmen seines Wassers minderte sich indessen um deswillen nicht. Es stand jetzt nur in sich selbst still; aber freilich muß uns alles daran liegen, den Damm, den wir durch die Isolierung unserer Individualkräfte in gegenseitiger Einseitigkeit gegen den Lauf unseres Stroms selbst aufgeworfen haben, wieder durchzubrechen. Das ist aber freilich durchaus nichts Leichtes. Wahrlich, wir sind einem großen Weltübel unterlegen, und es ist Zeit, daß wir tief fühlen und erkennen lernen, wohin es den Menschen führt, wenn er in irgendeiner auch noch so großen Idee außer das Gleichgewicht ihrer unbefangenen Ansicht geworfen wird.
Die Wahrheit ist allenthalben und nirgend, und nur der, der sie allenthalben als eine mit tausend anderen verbundene Erscheinung, und nirgend als einen anspruchsvollen, isolierten Götzen vor sich stehen sieht, nur der lebt in der Wahrheit. Aber des Menschen traumvolle Schwäche führt ihn so leicht dahin, aus jeder großen Idee, die er zu seinem Schoßkind gemacht, sich ein Götzenbild zu schnitzen, und alle Wahrheit und alles Recht des Menschengeschlechtes nur in der einseitigen Ansicht dieses Götzenbildes und alles dessen, was dasselbe zum Dienst seiner Selbstsucht anspricht, zu sehen und zu erkennen. Selbst große Männer, selbst tiefe Denker sind vor der Gefahr nicht sicher, einzelne Ansichten ihres Denkens in eine Art von fixer Idee hinübergehen zu sehen, die freilich in ihnen nicht zu dem Grad der absoluten Versteinerung gelangen, in welchem solche Ideen sich, zum Entsetzen der Menschheit, bei ganz verlorenen Tollhäuslern äußert; aber unleugbar ist dennoch, daß einseitig betriebene Lieblingsideen und tägliche Gewohnheitsansichten auch in tieferen Denkern leicht zu einer Art Verhärtung gelangen, die sie leicht dahin bringt, daß sie dieser Ideen halber sich sittlich und geistig nicht mehr vollkommen unbefangen und frei bewegen können, sondern in dieser Rücksicht nicht selten als Dienstleute von wenigstens halbfixen Ideen erscheinen.
Die Welt ist voll solcher in einzelnen Ansichten befangener Menschen. Oder sind nicht in jedem Berufsfach, sei es im Militär, sei es im Zivil-, sei es im Justizwesen oder in welchem Fach es immer sei, hundert und hundert sich darin auszeichnende Menschen in den Ansichten ihrer Lieblingsgegenstände auf eine Art befangen, die mit derjenigen, durch welche die Menschen zu fixen Ideen gelangen, wenigstens gar viel Ähnliches hat?
Ich muß noch weiter gehen. Ich muß selber fragen: Haben sich nicht in unserer Mitte vielseitige Spuren dieser Verhärtung in der Ansicht großer Ideen gezeigt? Ich muß bestimmt fragen: Haben sich nicht auch selbst in unserer Mitte einige entgegengesetzte Ideen in unseren Köpfen gleichsam fixiert? Das ist, nach meiner Ansicht, so wahr, daß ich durchaus glaube, wir können auf keine andere Weise zu einer allgemeinen inneren Vereinigung unseres Hauses, und zu einer reellen Harmonie in der Ansicht dessen, was wir unsere Methode heißen, gelangen, als durch unsere Bestrebungen, jede Ansicht derselben, sei es die mathematische, sei es die theologisch-philosophische, sei es die naturphilosophische, sei es die humanistische, sei es die philantropische, oder welche es immer sei, mit allen übrigen in uns selbst ins Gleichgewicht zu bringen, und uns von keiner derselben also beherrschen zu lassen, wie jede Idee, die auf dem Weg ist, mit mehr oder minderer Härte zu einer fixen oder halbfixen Idee zu werden, den Menschen beherrscht, und befangen hält.
Werden wir uns dahin erheben, so wird der Stillstand, der in unseren Bestrebungen durch die Festigkeit einiger sich in uns verhärten zu wollen scheinenden Ansichten hervorgebracht worden, durch die höhere Kraft, die jeder von uns sich selber in seiner Einseitigkeit erworben, für das Ganze unserer Bestrebungen wirklich vorteilhaft werden. Ich bin auch dessen sicher, daß in diesem Fall gar niemand in unserer Mitte aus dem Kreis derer herausfallen wird, die für die weitere Beförderung unseres Gegenstandes tüchtig geachtet werden müssen. Auch ich werde in diesem Fall nicht ganz aus diesem Kreis hinausfallen; im Gegenteil, ich bin sicher, das Todesurteil über mein sittliches und geistiges Verschwinden wird dann nicht mehr so vielseitig (cum studio et amore) ausgesprochen werden, wie es nun seit Jahren in meinen Umgebungen ausgesprochen worden ist. Vieles, das ich erlebt, wird dann gewiß vorübergegangen sein. Die Mißverständnisse, die im großen Wirbel meiner Lage sich alle Augenblicke entsponnen, und entspinnen mußten, sind unzählbar. Wenn sie aber darum, weil sie lange dauerten, und mit der ganzen Lebhaftigkeit weit umher belebter Menschlichkeiten begleitet worden, ohne Prüfung und ohne Verantwortung für immer und ewig als Wahrheit wider mich anerkannt würden, was müßte ich von meinem Schicksal denken? Was ich aber jetzt darüber denke, ist: Gerichtsstellen, die den Angeklagten auf solche Fundamente verurteilten, würden von der ganzen unbefangenen Welt verabscheut werden. Und für die Zukunft bin ich diesfalls ohne Furcht. Ich bin nicht undankbar, und werde nie als undankbar erkannt werden. Nein, es ist nicht möglich, ich werde um deswillen, daß ich mich heute fest an das kette, was ich zur Rettung meiner Lebenszwecke unumgänglich bedarf, nicht in Zeit und Ewigkeit als undankbar erkannt und erklärt werden. Für einen vorübergehenden Augenblick kann man den dankbarsten Menschen als undankbar erscheinen machen, man kann das brennende Licht der reinsten Dankbarkeit unter ein Viertel stellen, daß sein Strahl, ob es gleich hell brennt, aller Menschen Augen entzogen wird; ja, man kann auch die Bande der Dankbarkeit alle abschneiden. Es ist aber dann freilich auch der höchste Grad von Härte, mit der man die Unschuld und Treue des menschlichen Herzens verletzen kann, wenn man dem dankbaren Menschen die Möglichkeit, seine Dankbarkeit bescheinen zu können, gewaltsam und leidenschaftlich abschneidet; aber dennoch kann man auch damit das dankbare Herz nicht undankbar machen. Und wer will so leicht über einen Menschen das schreckliche Wort aussprechen: Er ist undankbar? Die wahren, tieferliegenden Ursachen des Erkaltens menschlicher Bande sind oft denen selbst ein Geheimnis, die gegenseitig erkalten. Was wollen die darüber reden, die in Rücksicht auf die Ursachen dieses Erkaltens gleichsam in einem anderen Weltteil leben?
Freunde! Brüder! Auch in unserer Mitte sind Erkältungen eingetreten, die ein Resultat des ganzen Umfangs der Geschichte unserer Vereinigung und des äußeren chaotischen Wirbels sind, durch den sich das Gute und Edle, das in unserer Vereinigung zugrundelag, und noch jetzt zugrundeliegt, durchdrängen müssen, und uns dahin gebracht, daß hie und da einer unter uns den anderen mit einer Brille ins Auge faßte, deren Gläser nicht mehr spiegelrein waren und nicht mehr spiegelrein sein konnten. Freunde! Brüder! Die Übel unseres Hauses sind nicht von heute, sie sind nicht von gestern, sie schreiben sich von tiefen Fernen her. Wir haben, von Anfang unserer Vereinigung an, Gewohnheiten und Lebensweisen in unserer Mitte einreißen lassen, die ihrer Natur nach notwendig Mißstimmungen hervorbringen mußten, und es ist dringend, daß wir in Rücksicht auf die Beurteilung dieser Mißstimmungen mit scharfem Blick auf die Tage des Ursprungs unserer Vereinigung zurückblicken.Wahrlich, sie sind es, in denen sich die Ursachen der Übel, unter denen wir solange litten, entkeimten und Wurzel faßten. Was hinter uns ist, ist freilich nicht mehr da; aber wenn wir es schon vergessen, so wirken seine Folgen um deswillen nicht weniger auf unsere vergeßlose Gegenwart.
Freunde! Brüder! Die Stunden, in denen wir uns im Anfang verbanden, waren Stunden der größten Weltträume. Es waren Stunden der höchsten Verirrungen in diesen Träumen. Die Welt schien in diesen Tagen zu suchen, was wir suchten, und zu lieben, was wir liebten. Der Wahn der Zeit sprach unserem Streben das Wort; das Interesse der öffentlichen Gewalten schien in diesem Zeitpunkt mit dem unseren das Nämliche gewesen zu sein; selbst die Selbstsucht von Tausenden, die jetzt mit uns in Widerspruch ist, schien damals mit uns einerlei Meinung zu sein. Man fand, was wir taten, vortrefflich, ehe man es kannte, sogar ehe wir es selber kannten. Ehre und Ruhm liefen uns beinahe unanständig von selbst nach. Das ökonomische Gelingen unseres Bestrebens schien uns fast ohne Mühe und ohne Sorgen gesichert. Aber der Anschein dieses Paradieses in der Luft war bald vorüber. Die Dornen und Disteln der Welt fingen bald an, um uns her zu wachsen, wie sie um aller Menschen Leben und aller Menschen Tun herum wachsen. Aber der Traum dieser Tage nützte uns nichts. Er schwächte unsere Kräfte, deren Stärkung wir so vielseitig und so dringend bedurften. Wahrlich, das Klima dieser Tage war zu gut für uns. Wir bildeten uns, wie wenn wir im warmen Süden lebten, und strenge kalte Tage des Nordens warteten auf uns.
Warum sollten wir es uns verhehlen? Die Kraft des reinen Glühens für unsere Zwecke schwächte sich in diesen Tagen in unserer Mitte, und wurde hie und da bei einigen wirklich ein bloßes Scheinglühen im Glück, das die Kraft der Glut nicht kennt, die im Unglück noch brennt, und in den Tagen hoher Trübsale nicht erlöscht. Ich einmal erkenne in den Schwächen dieser Tage die Ursachen der Übel, an denen wir hernach litten, und halte alle Urteile über unsere späteren Verhältnisse für unrichtig, die nicht zu den früheren Quellen derselben hinaufsteigen; so wie es überhaupt notwendig ist, daß wir in der Beurteilung einer jeden einzelnen Lage und eines jeden einzelnen Begegnisses die Eigenheit der Ketten fest ins Auge fassen, die unser Zusammenleben untereinander verband, und die ihre Eigenheit wesentlich darin aussprach, daß keiner von uns an der Kette dieses Verbandes irgend etwas anderes ward, als das, wozu ihn die Eigenheit seiner Natur in seiner persönlichen Individualität selber hinlockte, es zu werden.
Faßt die Wichtigkeit dieses Umstands, daß in unserer Mitte die Natur alles, die Kunst aber nichts wirkte, in seiner ganzen Bedeutung ins Auge. Wir lebten in Rücksicht auf das Personal der erwachsenen Glieder unseres Hauses eigentlich ohne Regierung und ohne Gehorsam. Eine freiere Entwicklung unserer Individualitäten, aber auch ebenso eine für mein Haus und meine Stellung gefährlichere und drückendere Lage ist nicht denkbar. Freunde! Faßt in der Beurteilung meiner Lage und meines Benehmens dieses ins Auge, und denkt dann Euch noch ferner den so sehr ins Große gehenden Zudrang von Menschen, die Glieder unseres Hauses wurden, und nicht wußten, was wir wollten, nicht suchten, was wir hatten, nicht kannten, was wir bedurften, und dabei in Rücksicht auf mich in dem Grad anmaßlich waren, und ungeniert lebten, als ich ihrethalben geniert war. Freunde! Faßt unser Haus im Umfang aller Verhältnisse, in denen es stand, aller Bedürfnisse, in die ich mich hineinstürzte, aller Lasten, die auf mich fielen, und in Verbindung mit der Entblößung aller Mittel und aller Kräfte ins Auge, deren ich bedurfte, der äußeren und inneren Ansprüche unserer Vereinigung auch nur auf eine von ferne genugtuende Art zu entsprechen.
Freunde! Wir dürfen, vom Anfang unserer Vereinigung an, unsere Unschuld loben, und wir dürfen die Zwecke unserer Unschuld preisen. Aber hat die Unschuld sich je der Gewalt der Menge bemächtigt? Und liegt es nicht in ihrer Natur, daß sie in dieser Gewalt immer unterliegen muß? Oder hat sie je ein Werk zum Ziel gebracht, das sich mit ihrer äußeren Schwäche in die Gewalt der Welt und in den Strom derselben, ohne einen starken Steuermann hineingewagt, wie wir uns darein hineingeworfen haben? Wahrlich, wir suchten im Traum unserer Anfangsunschuld ein Leben, wie sich die alte Frommkeit eines in denKlöstern träumte, und lebten dabei individualiter in der denkbar höchsten Ungeniertheit. Unsere jüngsten Leute sprachen bald allgemein eine Freiheit an, die bei keinen Novizen in der Welt angeht, und von den älteren träumte sich nicht nur einer das Recht zu einer Pater Priorsfreiheit, bei deren Allgemeinheit alle innere Klosterkraft ein Traum ist; und ich sollte den Abt im Kloster vorstellen, und taugte in gewissen Rücksichten wahrlich mehr zum Klosteresel oder wenigstens zum Klosterschaf als zum Klosterabt.
Freunde! Ich rede frei heraus. All dieses ist jetzt überstanden und benimmt dem wirklich Guten, das in unserer Mitte keimte, Wurzel faßte, und noch jetzt stattfindet, und das sich durch den Erfolg an so vielen unserer Zöglinge, und auch an dem Benehmen und dem Schicksal so vieler erwachsener Menschen, die sich in unserer Mitte bildeten, notorisch erprobte, seinen Wert gar nicht. Aber die Zeit ist einmal da, und es wird jetzt Pflicht, einen Gegenstand, der in seinem Wesen groß ist, und nach verschiedenen Rücksichten die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zog, mit Wahrheit, Freiheit und Ruhe ins Auge zu fassen. Wir mußten auf eine Art unter der Last unserer Verhältnisse erliegen, und es war gut, daß unser Gefühl, wir seien darunter erlegen, tief in uns regegeworden. Wir konnten nicht anders, als darunter erliegen.
Alles Edle und Reine, auch das Edelste, das Reinste in der Welt, wenn es sich schnell häuft und viel wird, mindert in seinem Wesen und schlechtet; und wir waren zuviel, wahrlich, wir waren viel zuviel, und wir häuften uns freilich zu einem guten Ziel auf, aber ohne die Maßregeln genügsam zu kennen und zu benutzen, die dem Wachstum des Guten in seiner einzelnen Stellung alle nötige Mittel herbeischafft und sichert. Die große Mehrzahl derer, die sich die unseren nannten, kam mehr durch Zufall als durch Überlegung und Wahl in unsere Mitte, und so sehr die zufällige Erscheinung von vielen es jedem in solchen Verhältnissen geübten Auge auffallen machte, daß ihre Erscheinung bei uns nur ephemerisch sein sollte, machte meine unbesonnene Schwäche sie immer leicht perennierend. Das konnte freilich nicht anders, als dahin wirken, beinahe unheilbare Übel in unserer Mitte zu erzeugen.
Auch das Beste, wenn es sich schnell anhäuft und allgemein zu werden scheint, wird nicht nur gemein, und dadurch das Gemeinböse und Gemeinschlechte des Haufens, in den es sich eingeschlichen; als solches greift es dann mit der rohen Wurzelkraft, die das Schlechte und Böse immer hat, unter die gemeinlich schwächeren Wurzeln des Guten mit Gewalt ein, und wird dann bald mitten unter dem schwachen, unverwurzelten Guten der eigentliche Werbungsposten zum Bösen, auf dem dann auch jeder, der sich unvorsichtig dem Posten nähert, geworben wird. Und die Erfahrung zeigt, die für das Schlechte und Böse geworbenen Menschen werden dann noch gar leicht für das Schlechte und Böse, für das sie geworben sind, verschworene Menschen, und solche für das Unrechte und Schlechte verschworene Menschen brauchen dann, wenn sie auch sonst im Leben die ersten Schwächlinge sind, böse List und große Gewalt, um ihr Schlechtes und Böses, sei es Trägheit, sei es Unordnung, sei es Frechheit oder was es immer sei, herrschen zu machen, oder wenigstens dahin zu kommen, vom Gegenteil desselben auf keine Weise geniert zu werden. Wo es aber bei einer größeren oder kleineren Vereinigung von Menschen so weit kommt, so wird dann freilich auch das Bedürfnis einer Regierung, die diesem Zustand hätte vorbeugen sollen, immer allgemein als dringend anerkannt, und sucht dann, so sehr es zu spät ist, Hilfe von Regierungskräften. Aber man ist um deswillen, daß man sie jetzt sucht, dann noch nicht fähig, sie zu beurteilen. Man irrt sich in solchen Fällen gewöhnlich, und die Not, in die man dann diesfalls schon hineingesunken, ist fast immer auch ein böser Ratgeber.
Das war auch bei uns der Fall. Man suchte und suchte, und fand nicht, was man bedurfte. An mir irrte sich diesfalls niemand mehr. Jedermann hielt mich für regierungsunfähig; aber man ließ mich doch dastehen, als ob ich fähig wäre, und blieb in Verhältnissen zu mir, als ob man's erkannte. Diese Lage braucht keiner Erläuterung. Ich wäre ihr sicher ganz unterlegen, wenn nicht Gottes ob mir waltende Vorsehung meinen Bestrebungen auf eine Weise so gnädig gewesen wäre, daß auch die ganz unvermeidlich scheinenden Folgen meiner Schwäche oft vorübergegangen, als wenn sie nicht da gewesen wären.
Das ist so wahr, daß ich selber nicht weiß und es mir nicht erklären kann, wie ich durch die empörende Verwirrung des Chaos, in das ich mich hineingestürzt, ohne meinen gänzlichen Ruin habe durch und auf den Punkt der Kraft und der Mittel kommen können, auf dem ich mich doch jetzt stehend sehe und fühle. Ich weiß nur das, und gottlob, daß ich noch das weiß: Einige Augenblicke meiner letzten Verzweiflungstage ausgenommen, habe ich den Glauben und die Hoffnung an meine Rettung mitten in allem Anschein der Unerrettbarkeit meiner Lage nie verloren. Ich werfe meinen Blick noch einmal mit innerer Erhebung auf diesen Glauben, der mich nie verlassen.
Freunde! Wie habe ich diesen Glauben in mir erhalten können? Wer stärkte ihn in mir? Was stärkte ihn in mir? War es nicht Gott und war es nicht darum, damit ich vor meinem Hinscheiden nach dem Ziel gelange, nach dem ich durch mein Leben gestrebt und zu dessen Anbahnung ich heute Mittel in meiner Hand finde, die ich mit dem Glauben und der Hoffnung ergreife, die der Sehnsucht gleich ist, mit welcher ich solange danach gestrebt.
Ich danke Gott. Er hat meinen Glauben in mir erhalten und diesen meinen erhaltenen Glauben mit einem Erfolg gekrönt, den ich durch mein Leben weder ahndete noch verdiente, und in der Schwäche meines Alters und am Ende meiner Tage menschlicherweise durchaus nicht mehr erwarten durfte. Freunde! Meine Erquickung ist groß, wie es mein Unglück auch war. Gott ist groß im Segen des Glücks, er ist größer im Segen des Unglücks. Freunde! Brüder! Mein Unglück dauerte lange, und viele Freunde haben es lange mit mir getragen. Aber endlich forderte der Grad unserer Verwirrung fast übermenschliche Kräfte, sie zu ertragen, und wo das der Fall ist, wo Umstände und Lagen eintreten, von denen man sagen muß, auch die Auserwählten möchten ihnen unterliegen, da umwandelt endlich und endlich die menschliche Schwäche auch die Gutmütigkeit der Edleren in Gewalttätigkeit, ihre Unschuld in Streitsucht, ihr Bewußtsein des Rechts im Einzelnen in Rechthaberei in allem; ach, es umwandelt dann oft bei ihnen selbst die stillen Laute der sanften Unschuld in rohe Töne des derben Unrechts, und des Glaubens heiligen Eifer in der Verfolgung unheilige Selbstsucht.
Ja, es ist so. In der äußersten Verwirrung menschlicher Gewaltlagen verlieren auch die edelsten Menschen immer viel von dem Kolorit, in dem sie in den besseren gewaltlosen Tagen ihres Lebens dagestanden. Der reine göttliche Eifer für die Wahrheit umwandelt sich in dieser Lage dann leicht in vielen von ihnen in einen leidenschaftlichen Eifer für ihre Wahrheit, d.i. für die Ansicht der Wahrheit, wie sie, von der Menschlichkeit ihrer Individualität umnebelt, in ihnen selbst liegt, und dann sprechen sie für ihre so benebelte Ansicht der Wahrheit das Recht der Wahrheit selber an, als wäre ihre Wahrheit göttliche Wahrheit, als wäre sie die Wahrheit Gottes selber; und das wirkt dann freilich eben nicht nach den höchsten Ansichten der göttlichen Wahrheit auf ihr Leben und auf ihr Benehmen gegen die Mitmenschen in ihren nächsten Umgebungen, die dem Geist ihrer Wahrheit nicht gehorsam sind. Es bringt sie leicht dahin, daß sie die Pflichten der geselligen Friedlichkeit und Schonung nicht mehr gegen jedermann beobachten, sondern jedermann, an dem sie um ihrer Wahrheit willen Ärgernis nehmen, davon ausschließen, alle Zartheit ihres inneren Gemüts verlieren und sich in sich selbst so verhärten, daß sie endlich dahin kommen, die unzweideutigsten Gesinnungen und Handlungen der Leidenschaft gegen Leute, an denen sie also Ärgernis genommen, nicht nur zu entschuldigen, sondern sogar als pflichtmäßige Handlungen, die sie der Liebe zur Wahrheit und ihrem Gewissen schuldig seien, und die eigentlich selbst aus wahrer, reiner und starker Liebe gegen diese Leute selber herrühren, rechtfertigen, und es für ihre Pflicht erklären, den Folgen solcher Gesinnungen und Handlungen, soviel an ihnen ist, ewige Dauer zu erzwingen, auch wenn die segensvollsten menschlichen Verhältnisse dadurch gestört und geschwächt worden.
Die Geschichte der Welt, und vorzüglich die Kirchengeschichte ist voll von Beispielen von in ihren Anlagen und außer diesem Verhältnis sehr edlen Menschen, die auf der Bahn solcher Menschlichkeitsverirrungen in der Liebe zur Wahrheit selber Märtyrer ihrer verhärteten Ansichten geworden; und unstreitig sind solche aus wirklicher Liebe zur Wahrheit in ihren Bewegungen für die Wahrheit so übersteif gewordene Menschen dennoch unendlich mehr wert, als diejenigen, die sich ihrer Wahrheitsbekenntnissen halber gleichsam in Regimenter einschreiben lassen und Regimentsbekenntnisse ihres Glaubens ablegen, deren Überzeugung wesentlich mit nichts, als mit der richtigen Bezahlung ihres Solds und der Befriedigung, die sie in ihrem Regimentsdienst finden, zusammenhängen.
Ich rechne es nicht zur Ehre unserer Verhältnisse, daß sich selbst in unserer Mitte einige Anfangsspuren von solchen Verirrungen in den Ansichten der Wahrheit gezeigt haben. Neben dem sehe ich auch sehr wohl ein, wenn je ein Mensch geeignet gewesen, in seinen Umgebungen eine Gemütsstimmung herbeizuführen, die etwas Ähnliches von einem solchen Eifer in gegenseitigen Ansichten der Wahrheit zur Folge haben mußte, so bin ich es. Ich wäre es aber freilich auch gewiß nicht geworden, wenn ich in dem ruhigen Zustand eines beschränkten häuslichen Privatlebens geblieben wäre; aber in den großen und heterogenen Umgebungen, in die ich in meiner Anstalt gleichsam hineingeworfen worden, mußte ich bei meiner unübertrefflichen Regierungsunfähigkeit soviel als notwendig dahin kommen, Übel von dieser Art in unserer Mitte zu erzeugen.
Es ist meine Schuld. Ich klage darüber auch niemand an; aber wahrlich, die Last, die ich mir dadurch zugezogen, war groß. Die höchste Staatssünde, regieren zu scheinen, und nicht zu regieren, fiel mit allen Schrecknissen ihres strengsten Strafgerichts auf mein armes schwaches Haupt. Die Gemeinde meines Hauses wollte regieren, und war von oben bis unten so wenig regierungsfähig als ich. Aber keiner, keiner von den Gliedern meines Hauses sah seine eigene Regierungsunfähigkeit, jeder sah nur die meine, und was jede rechtlose Gemeinmeinung im Staat erzeugt, wenn sie in Gemeinanmaßung hinübergeht, das erzeugte jetzt die Gemeinmeinung meines Hauses von meiner Regierungsunfähigkeit, die gar schnell in Gemeinanmaßung, meiner eben nicht viel achten zu müssen, hinüberging, und jahrelang in der fieberischen Schwachheitskraft dieser Anmaßung ihr Wesen um mich her trieb. Endlich und endlich aber erzeugte der Ultraeffekt dieser Gemeinmeinung von meiner Regierungsunfähigkeit und die allgemeine Anmaßung des Bedürfnisses einer Generalsubstitution meines Rechts eine Art von Regierungsfähigkeit in mir, die ich selbst nicht in mir ahndete.
Sie belebte endlich meine innere, stille, furchtsame Willenskraft dahin, daß ich aussprach und wollte, das Haus müsse regiert sein. Nun beharrte ich auf dem, was ich wollte; widerstand dem, was ich nicht wollte, suchte Hilfe zu dem, was ich nicht konnte.
Dieses Benehmen war aber freilich bei den nun jahrelang eingewurzelten Gesinnungen, Ansichten und Handlungsweisen meines Hauses kein Weg zum Hausfrieden; es konnte es für einmal nicht sein. Meine armen neuen Regierungskräfte fanden keinen Glauben. Sie schienen leere Anmaßung zu sein. An ihr Recht dachte niemand, und Stütze meines Rechts zu sein, war außer der Tagesordnung. Aber je mehr ich dieses sah, je mehr fühlte ich sein Unrecht und mit ihm mein Recht, und dieses Gefühl gab mir Kraft zum Entschluß, zu regieren, so gut ich konnte, Hilfe dazu zu suchen, wo ich sie finde, und mit Starrsinn darauf zu beharren, mir keine Kraft entreißen zu lassen, die ich zur Regierung meines Hauses immer notwendig fühlte. Mein Zustand war vorher in dieser Rücksicht unbegreiflich unglücklich. Die Regel der Weisheit: "Wirke dein Heil mit Furcht und Zittern!" war schon längst bei mir in physische Furchtsamkeit hinübergegangen. Ich konnte mich schon lange nicht mehr zur Furchtlosigkeit vor Menschen erheben, deren Tun meinem Streben nachteilig war. Ich zeigte ihnen meine Furchtsamkeit jeden Augenblick offen. Ich gab ihnen oft, meinen innersten Gefühlen entgegen, gute Worte, verbarg mein zerrissenes Herz und lebte diesfalls jahrelang in meinem Haus, wie ein Schiffbrüchiger, der sich an jedem Strohhalm hält. Jetzt stärkte selbst mein Starrsinn im ungeschickten Regieren das Selbstgefühl meiner Kraft. Meine Furchtsamkeit vor Menschen und Sachen, die mir schaden konnten, minderte sich in dem Grad, als ich mich durch mein Regieren selbst und durch die Hilfe, die ich jetzt dazu fand, im Gefühl meiner Selbstkraft täglich stärkte. Aber der Kampf, der aus diesem Entschluß entsprungen, und mein unbewegliches Festhalten an demselben, hat auch einige Jammerszenen in meinem Haus hervorgebracht, die ich nicht mehr berühren will.
Aber was auch immer geschah, ich wollte das Haus nicht mehr unregiert sich selbst und seiner Anmaßung überlassen. Ich wollte mich auch selbst nicht mehr wider mein Gefühl und wider meine Überzeugung regieren lassen. Ich wollte mir auch nicht wider meine Überzeugung helfen lassen. In dieser Lage war ich freilich zu Zeiten schwach, zu Zeiten gewaltsam, und schien mir selber oft ungleich. Ich wußte nicht, wo alles endlich hinauswolle; aber im Innersten sprach eine Stimme zu mir: Laß den Mut nicht fallen und weiche nicht von deinem Recht! Ich stand jahrelang wie ein verlorener Felsen im Strom. Meine einzige Kraft war noch die in meinem Innersten immer lebende Stimme:Weiche nicht von deinem Recht! Dieser Gedanke allein gab mir Mut zum Widerstand. Die Gewässer um mich her achteten freilich meinen Widerstand soviel als nichts, und flossen daher, wie wenn ich nicht da wäre. Ich schien wirklich in den Augen meiner Umgebungen nicht mehr da zu sein. Das Verschwinden der Selbständigkeit meines Strebens erschien soviel als dem ganzen Kreis meiner Umgebungen zur Rettung meiner Anstalt und meiner Zwecke unumgänglich notwendig. Die höchste Liebe, die ich noch genoß, war Mitleid über meine Altersschwäche, die mein Haus sich auflösen mache um meines Starrsinns willen. Kein Mensch glaubte im Anfang des vergangenen Jahres, daß am Ende desselben noch Lehrer und Kinder in diesem Haus um mich her versammelt sein würden.
Aber Gott half. Er, der das zerkleckte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht, stärkte mich, dem Strom nicht zu weichen, der hoch empor schwellend und an mich anstoßend um mich her floß. Er rettete mich und rettete mein Haus gegen aller Menschen Glauben.
Armer, armer Fels, der du so lange verloren und von allen Seiten vom Land abgeschnitten, wie eine Schildwache auf einem verlorenen Posten dastandest, der Strom legte endlich von selbst wieder festes Grien an dich und verband dich wieder mit dem Land, von dem du noch vor so kurzem für die Ewigkeit abgeschnitten schienst. Gott hat es getan. – Ich bin gerettet. – Ich bin gerettet. – Meine Seele lobe den Herrn! – Ich habe unendlich vieles, das mir bisher zur Anbahnung und weiteren Betreibung der Endzwecke meines Lebens mangelte, jetzt in meiner Hand. Ich bedarf der Menschenhilfe weniger als je, und finde sie leichter als je. Der Herr hat geholfen.
Aber das meinige soll ich jetzt für mein Ziel auch tun. Ich soll es mit mehr Leben, mit mehr Anstrengung tun, als ich es je getan, und ich kann es auch mit mehr Glauben und mit mehr Hoffnung tun, als je.
Es ist dringend notwendig, daß ich noch einige sehr edle und einsichtsvolle Männer und Jünglinge um mich her versammle; es ist dringend notwendig, daß ich die edelsten und einsichtsvollsten Männer, die ich zu finden vermag, um mich her zu versammeln suche, um jetzt, da Dir äußere Kräfte dazu nicht mehr mangeln, das Höchste, das ich je in meinem Leben zu erzielen gesucht, nunmehr mit der möglichsten Anstrengung in Wahrheit, Liebe und Treue anzubahnen und zu erzielen zu suchen. Und auch das ist dringend, daß ich jetzt alles tue, um die Schande von mir zu wälzen, daß ich mich selbst verlassen und verloren, und nur noch wie eine Ruine meiner selbst unter den meinigen dastehe; es ist dringend, daß ich Zeugen um mich her versammle, daß es nicht wahr sei, daß ich das Hohe, das Reine, das Edle, das ich in meinem Leben gesucht, jetzt nicht mehr suche. Ich, ich muß, ich muß noch, ehe ich sterbe, die Schande von mir wälzen, daß der alte Pestalozzi zum Totengerippe geworden, und keine Ader mehr von seinem ehemaligen Geist, von seinem ehemaligen Herzen in sich selbst trage. Ich muß Zeugen, ich muß zuverlässige Zeugen um mich her haben, daß ich noch nicht als ein abgebranntes Haus dastehe, in dem, bis es wieder neu aufgebaut, niemand mehr wohnen könne; ich muß von dem, was ich vom Morgen bis an den Abend und selber die Nacht durch für meine Zwecke noch bin und tue, zuverlässige Zeugen um mich herum haben, und zwar nicht um meiner selbst, sondern um meiner Bestrebungen willen. Ich muß unverwerfliche Zeugen um mich her haben, daß ich das Höchste, das Reinste, was ich je in meinem Leben für Erziehung und Armut gedacht und gewollt, noch heute suche, denke und wolle. Ich muß Männer um mich haben, die durch ihre Einsichten, durch ihre Würde, durch ihre Tätigkeit und durch ihre Liebe mir für meine Zwecke im Geist ihrer höchsten Reinheit Hand bieten, und besonders jetzt helfen, alles das einzurichten, anzubahnen und vorzubereiten, was den jetzt noch leeren Traum meiner Stiftung in eine solide begründete und in allen Teilen in Ausübung gebrachte Anstalt zu erheben notwendig ist.
Vor allem anderen aus wende ich mich zuerst an Euch, Niederer und Krüsi! Am Tage meiner Stiftung, den unsere Kinder und Kindeskinder segnen werden, rufe ich Euch zu: Versöhnt Euch heute mit meinem Haus; werdet Mitstifter seiner Zwecke, daß einst, wenn die Tage unserer Menschlichkeit alle vergessen sein, und das Grab unser aller Fleisch und Blut decken wird, glückliche, von den Folgen unserer Stiftung in ihren Wohnstuben beholfene Arme mich und jeden Teilhaber unserer Stiftung segnen werden, und dann auch Eurer gedenken, als Mitstifter eines frommen Bundes! Ihr seid es, Ihr seid Mitstifter dieses Bundes zum Heil der Armen, Niederer und Krüsi! Ihr habt einen großen Teil Eures Lebens mit mir zugebracht, das Ziel dieses Bundes zu suchen. Nicht ich, nicht Ihr, haben es herbeigeführt nach unserem Willen, aber ohne Euch wäre ich nicht zu demselben gelangt. Ich erkenne den Dienst Eures Lebens, den Ihr meinen Zwecken geleistet. Die Hand des Herrn hat Euch zu meinem Ziel geführt, das Euer Ziel ist, das Euer Ziel war und immer Euer Ziel bleibt.Vergeßt, was hinter Euch ist, strebt nach dem, was vor Euch ist, strebt nach Eurem Ziel, strebt mit mir nach Eurem Ziel! Ergreift dasselbe heute in reiner hoffnungsvoller Anschließung an die Tatsache meiner Stiftung! Niederer! Ich lege heute den Grundstein zu einem Verein, der, ob er gleich jetzt noch klein, doch einst ein nicht unbedeutender Stein an der Mauer des hohen Kulturtempels, den Du Dir denkst, werden kann, und, wenn ihn Gott segnet, mitwirken wird, das Höchste, nach dem Du strebst, mit sicherem Schritt herbeizuführen. Niederer! Ich vermag es nicht, mein Geschlecht durch die Tiefe des Denkens zu meiner Wahrheit zu erheben; nur an der Hand des Herzens nähere ich mich zu dem Segen meiner Wahrheit und weiß, daß das dem Ganzen der Weltbedürfnisse für unsere Zwecke nicht genugtuend ist. Ich weiß, diese Zwecke haben Deiner nötig. Du denkst Dir die Wahrheit im großen strengen Zusammenhang, die ich ohne die Kraft, die dieses Forschen voraussetzt, gern schlecht und recht gefühlt, geglaubt und ausgeführt sehe. Niederer! Jeder hat seine Gabe. Wir erkennen die Deine und fühlen, daß wir ihrer bedürfen, die Menschenbildung zur Wissenschaft zu erheben, und die Lehre ihrer Wahrheit mit der Lehre der Wahrheit des Glaubens an Jesum Christum für die denkende und forschende Menschheit in allgemeine, genugtuende Übereinstimmung zu bringen. Wir erkennen Dein Streben nach diesem Ziel als hohes Bedürfnis der Zeit und wahres Verdienst um die Menschheit; und wahrlich, Niederer! wir verehren die Kraft, mit der Du in Deiner Lehre und in Deinem Unterricht auf die Reinigung des menschlichen Willens von dem Einfluß des Fleisches und des Blutes, als nach dem ewigen Grundpfeiler aller Bildung zur Menschlichkeit hinlenkst. Wir haben den Erfolg Deiner diesfälligen Kraft an vielen unserer Jünglinge, wir haben ihm an den edelsten derselben erfahren. Wir bitten Dich in dieser feierlichen Stunde, für das Genossene dankend: Entziehe unserem Haus den Segen Deines diesfälligen Einflusses bei meinem Leben, entziehe ihn meinem Haus auch nach meinem Tode nicht!
Und auch Dich, lieber Krüsi! bitte ich, denke an die alten Tage, und glaube, ich habe noch nicht jede Ader der Liebe verloren, die für Dich einst in mir schlug. Wir schätzen das Gute, das wir an Dir kennen, wie immer, und wünschen die Näherung Deines Herzens zu dem unsrigen aufrichtig. Denk' an den Umfang des Guten, das jetzt in unserer Hand ist. Wir suchen die Erneuerung Deiner Mitwirkung zu Deinem, zu unserem Ziel, zu Deinem, zu unserem Heil. Krüsi! An dem Tage, an dem ich mein Haus bestelle, damit ich ruhig hingehen könne an den Ort, wo aller Schwindel des Lebens endet und alle Härte seiner Täuschungen sich in Gottes mildem Licht verlieren, an diesem Tag bitte ich Dich, zum Heiligsten, zum Wesentlichsten meines Tuns von neuem mitzuwirken nach Deinem besten Vermögen.
Auch an Dich wende ich mich, lieber Lange! Du standest mir in Stunden bei, in denen ich Deiner dringend bedurfte. Es waren für mein Haus Tage, wo es zwischen Leben und Tod schwebte. Es waren kritische Tage eines mächtigen Fiebers, wo der Arzt vor dem Bett des Kranken nur schwitzt und nicht mehr denkt und nicht mehr glaubt. An einem solchen Tag standest Du meinem Hause bei, an einem solchen Tag standest Du mir helfend zur Seite. Die Stunden der Rettung sind heilig. Sie sprechen innige, warme Dankbarkeit an. Steh' zu uns als Mitstifter des Vereins, den ich gründe, und als Mitführer meiner Anstalt, die von nun an wichtiger werden wird, als sie je war! Unser Haus bedarf Deiner Kenntnisse, Deiner Fertigkeiten, Deiner Anstrengung; es bedarf Deiner unermüdeten, praktischen Kraft. Freund! Du verbindest Dich in einem Zeitpunkt mit einem Haus, da es, als ein moralisches Haus dastehend, die Resultate seines Verdienstes feierlich der Armut geweiht hat, und also für immer niemand mehr große ökonomische Vorteile ansprechen kann; aber alle Achtung, die edlere Menschen dem Unternehmen schenken werden, werden auch Dir zuteil, indessen das Haus Dir und jedem Mitglied unseres Vereins und jedem tätigen Teilnehmer unserer Zwecke nichts anderes als eine billige Vergütung seiner Bemühungen zu sichern imstande ist, aber dieses auch in jedem Falle mit der Menschenfreundlichkeit tun wird, die seiner höheren Zwecke würdig ist.
Auch Du, Schmid! hast Dich in Deinen ökonomischen Ansprüchen an mein Haus nicht bloß in die Schranken der gegenwärtigen Stellung des Hauses gefügt, sondern Dich wahrlich hinter dieselbe zurückgedrängt. Sonst will ich jetzt nichts mehr von Dir sagen. Ich würde noch jetzt diesfalls vielseitig nicht Glauben finden, was ich immer meiner Überzeugung gemäß von Dir sagte. Aber fahre nur fort! Tu, was Du bisher getan hast, und handle für mich und für mein Haus forthin mit der Kraft, mit der Du, obwohl vielseitig unerkannt, für mich und für meine Zwecke gehandelt hast. Taten, fortdauernde Taten überwinden alle Meinungen, so tief sie auch eingewurzelt sind.
Ich wende mich an Euch alle, alle Lehrer meines Hauses, die Ihr hier vor mir steht, und auch an alle, die noch kommen werden, die herzuberufen wird der Herr, unser Gott; Euch alle, alle rufe ich auf, zu fortdauernder lebendiger, geistig und herzlich tätiger Teilnahme an den Bestrebungen meines Lebens. Gottes ob uns waltende Vorsehung hat heute meinem Bestreben Kraft gegeben, die auch für die Zukunft der Menschheit und dem Vaterland zum Segen gereichen kann. Freunde! Brüder! Laßt uns der Wohltaten der ob uns waltenden Vorsehung würdig leben und uns mit reinem, hohem Ernst zu allem verpflichten, was diese Wohltaten der Vorsehung von uns fordern.
Freunde! Das Wesentlichste, was uns hier in diesem Haus untereinander vereinigt, ist nicht die Erfindung einer neuen Unterrichtsweise, es ist nicht eine neue Erziehungsmethode. Nein, so sehr auch die Idee der Elementarbildung in ihrem Wesen das Höchste ist, zu dem die menschliche Kunst der Erziehung, die Menschenbildung, in ihren Bestrebungen sich zu erheben suchen muß, so sehr sie auch in ihren Zwecken und Mitteln mit dem Geist der Liebe und des Glaubens, mit dem Geist des Christentums in Übereinstimmung steht, und so sehr sie auch in ihrem Wesen, ich möchte sagen die menschliche Kunst des Christentums selbst ist, oder wenigstens in ihrer Vollendung werden kann, und so sehr sie auch in ihrem Grundmittel, in ihrer Sorgfalt für die Erhebung und Heiligung der Wohnstube das Höchste menschlich zu begründen sucht, was zur allgemeinen Begründung und Anbahnung eines liebevollen, christlichen, häuslichen Lebens und Wandels notwendig und wesentlich ist, so ist ihre Erforschung als wissenschaftliche Unterrichtsmethode doch nicht das höchste, das oberste Pflichtband, das uns alle als solches gemeinsam untereinander vereinigt. Nein, das höchste und oberste Band, das uns untereinander verbindet, ist die Pflicht, die uns anvertrauten Kinder gewissenhaft und auf eine Weise zu versorgen, die den Hoffnungen gemäß ist, die wir diesfalls erregt, und den Versprechungen, die wir diesfalls gegeben.
Freunde! Brüder! Die heilige Erfüllung dieser Pflicht ist unbedingt der oberste und erste Gesichtspunkt unseres Pflichtverhältnisses. Freunde! Brüder! Ich weiß wohl, ich stehe oben in diesem Pflichtverhältnis als der erste Schuldner; aber überladen mit fast unerträglichen Lasten, zerrissen von unausweichlichen Zerstreuungen, ermattet in mir selbst und 72 Jahre alt, bedarf ich in meiner Lage Hilfe, wie wenig Menschen so dringend bedürfen, und ich suche diese Hilfe und habe sie immer gesucht. Ich darf wohl sagen, wie ein gejagter Hirsch schreit nach frischem Wasser, also schreit meine Seele nach ihr. Ich suchte diese Hilfe immer, und habe oft auch Hilfe genossen, oft aber mangelte sie mir auch drückend; dennoch habe ich in meiner Hilflosigkeit nie meinen Mut verloren; auch da, wo es schien, daß mir ihrer viele mehr zu enthelfen als zu helfen suchten, habe ich meinen Mut nie ganz sinken lassen. Jetzt hebt er sich höher als je. Ich weiß es, ich weiß es, ich werde nicht sterben, eh' ich alles finde, was ich nötig habe, um vom Morgen bis an den Abend meine Kinder jeden Augenblick unter Augen von Männern zu wissen, die ihr eigen Heil mit Furcht und Zittern, und das Heil unserer Kinder, wie ihr eigenes besorgen werden.
Freunde! die Ihr mich heute umgebet, Ihr laßt mich nicht sterben; nein, Ihr laßt mich nicht mehr lange leben, ehe dieses Ziel in unserer Mitte erreicht ist. Was ich immer in der Schwäche meines Alters und im Drang meiner Lage noch hierzu beizutragen vermag, das will ich nicht versäumen. Sagt mir frei, brüderlich, offen und täglich, was ich noch dazu beitragen kann! Ich will tun, was ich kann, und Gott wird mich stärken, noch immer mehr tun zu können. Aber mangelt mir auch in nichts! Geht mir in alle dem brüderlich und kindlich an die Hand, was ich im Wesentlichsten meiner hiesigen Pflichtstellung von Euch bedarf. Ich danke Euch für alles, was Ihr mir sonst tut, für jeden Vorschritt der Wissenschaft und Kunst, den Ihr in unserer Mitte befördert, für jede wirtschaftliche und literarische Hilfe, die ich von Euch genieße; aber was ich von Euch als hohe und erste Gemeinpflicht unseres Hauses und unserer Vereinigung fordere, ist: Wacht über meine Kinder und betet mit ihnen und betet für sie! Freunde! Brüder! Ergreift ihre Herzen im Glauben und in der Liebe und mangelt keinem Fleiß, keiner Anstrengung, keiner Ordnung, keiner Selbstüberwindung, deren Ihr bedürft, um im Kreis unserer Kinder an Gottes Statt als ihre Väter und als ihre Lehrer dazustehen, und ihnen durch Euer Leben ein Beispiel in alle dem zu sein, was sie zu rechtschaffenen und christlich edlen Menschen zu erheben geeignet ist. Hierzu, Freunde! Brüder! rufe ich Euch in dieser feierlichen Stunde mit bewegter Seele auf. Nur dadurch, nur dadurch befriedigt Ihr mich, nur dadurch nehmt Ihr an meiner Stiftung teil; nur dadurch macht Ihr auch mein Haus an meiner Stiftung teilnehmen; nur dadurch, nur dadurch allein macht Ihr es möglich, daß ihr Segen auch unter dem Dach des Hauses offenbar werde, aus dem der erste Gedanke davon hervorgegangen und in dem viele Mittel dafür mit Eifer, Liebe und Ernst gesucht und zum Teil bearbeitet worden.
Freunde! Brüder! In welch einem hohen Grad sind wir Gott, uns selber und den inneren Zwecken unserer Vereinigung dieses schuldig! – Auch der Welt sind wir es schuldig. Sie sieht auf uns, und zwar gegenwärtig mit dem Auge eines sehr aufgeweckten Scharfblicks – und mit dem Auge gerechter Zweifel. Freunde! Brüder! Laßt Euer Licht leuchten vor den Menschen, daß die Änderung und Besserung unseres Tuns in alle dem, was geändert und verbessert werden soll, sichtbar werde vor Gott und den Menschen. Laßt uns anmaßungslos und selbstsuchtlos unsere Pflicht tun und unserem Ziel entgegenschreiten!
Noch einmal, Freunde! Brüder! laßt Euer Licht leuchten vor den Menschen, daß sie erkennen, daß wir unser Tun und Streben im Bewußtsein unserer Schwäche nur als ein Scherflein zu den allgemeinen Bestrebungen unseres Geschlechtes ansehen und anerkennen. Laßt Euer Licht leuchten in Demut und Liebe vor den Menschen, daß alle und jede, die den himmlischen Segen der Wahrheit, des Rechts und der Liebe in ihrem Fleisch und ihrem Blut betreiben, auch den himmlischen Segen der Wahrheit, des Rechts und der Liebe, das wir in unserem Fleisch und in unserem Blut betreiben, mit der Milde, Schonung und Herzlichkeit ins Auge fassen und beurteilen, die die besseren Menschen allenthalben all denen gern schenken, die in ihren Urteilen und Tun schonend und mild vor ihnen stehen. Freunde! Brüder! Denkt an das Wort: Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet; denn mit welchem Maß Ihr meßt, wird Euch wieder gemessen werden!
Freunde! Brüder! Mein Greisenalter ruft mich bald von hinnen. Das Streben meines Lebens fällt bald aus meiner Hand, und ich habe keine größere Angelegenheit mehr, als zu sorgen, daß der Geist der Weisheit, der Liebe und Sorgfalt der Geist der Männer bleibe, durch die das gleichsam noch im Kot seines ersten Entkeimens steckengebliebene Tun meines Lebens hinter meinem Grab, wie vom Frühlingstau belebt, sich wieder stärke und emporwachse, und die Fundamente meines schwachen menschlichen Bestrebens hinter meinem Grab immer mehr in ihrer Tiefe erforscht und in ihrer Wahrheit und in ihrer Reinheit erkannt werden, als dieses bei meinem Leben nie der Fall war.
Freunde! Ihr alle, die Ihr hier um mich versammelt, Ihr seid es, auf die mein Auge diesfalls hinblickt; auch Du bist unter ihnen, mein einziger Nachkömmling! – Freunde! Brüder! Er, mein Enkel, steht in Eurer Mitte jetzt als Zögling unseres Hauses, aber mit der Bestimmung, sich einst den Zwecken meines Lebens zu widmen. Freunde! Brüder! Nehmt ihn als Euren jüngeren Bruder in Euren Kreis, und erhebt ihn mit Euch zum lebendigsten Streben nach dem höchsten, nach dem edelsten Ziel unserer Vereinigung. Noch einmal, Ihr seid es, auf die mein Auge diesfalls hinblickt. Ihr kennt meine Wünsche, Ihr kennt mein Ziel. Erhebt Euch zu der Kraft, die Ihr dazu bedürft. Erhebt auch meinen Enkel zu der Kraft, die er bedarf, um an Eurer Seite und mit Euch vereinigt mitzuwirken, das gleichsam im Kot seines ersten Entkeimens steckengebliebene Tun meines Lebens emporwachsen und blühen zu machen. Erhebt ihn mit Euch zu der frommen, stillen, göttlichen Kraft des Glaubens, der Liebe und der Weisheit, die er nötig hat, um an Eurer Seite mit Erfolg mitzuwirken, daß die inneren und wesentlichen Fundamente meines Bestrebens, sowie die äußeren Mittel ihrer Antagförderung immer tiefer erforscht und immer mehr in ihrer Reinheit und Wahrheit erkannt werden!
Freunde! Brüder! Am feierlichen Tage, an dem ich mein Haus bestelle, um hinzugehen aus dem Tal des Todes in die Gefilde der Auferstehung und des Lebens; am Tage, wo ich, eingedenk der nahenden Auflösung meiner vorübergehenden Erscheinung, im Leib meines Todes, den Unwert des irdischen Lebens fast hinter mir sehend, dem ewigen Wert des Göttlichen, das in unsrer Natur ist, dem Glauben und der Liebe, noch in meiner irdischen Hülle ein Denkmal zu stiften gedenke, stehe ich vor Euch und bitte Euch, seht mich heute nicht an in der Schwäche meines Lebens, seht mich nicht an in der Nichtigkeit meiner Zeiterscheinung, in der ich so oft wie ein Rohr, das vom Wind getrieben wird, ach, wie ein zerklecktes Rohr und ein nur noch glimmender Docht vor Euren Augen erschien! Seht mich nicht an in der Schwäche meines hinschwindenden Lebens, und nehmt die Worte dieser Rede nicht auf, wie so viele Worte meines irdischen Lebens, die so oft kraftlos vor Euren Ohren erschallten; denkt mich jetzt lieber der Hülle meines Todes wirklich entschwunden; denkt mich jetzt wirklich im Grab, und nehmt meine Worte auf, als wären sie Worte meiner Wiedererscheinung aus jenem Leben! –
Doch was ist das?! – Meine Gebeine zittern, indem ich das ausspreche. – Was ist das?! – Darf ich das nicht aussprechen? – Nein, ich darf es nicht. – Ich hätte denn das Angesicht des Herrn gesehen und redete wieder mit Euch. – Nein, ich darf den Gedanken nicht denken. – Ich hätte das Angesicht des Herrn gesehen und redete jetzt wieder mit Euch. O nein! O nein! Meine Rede an Euch ist die Rede meines Fleisches und meines Blutes. Sie ist ganz die Rede meiner irdischen Schwäche, voll guten menschlichen Willens, mitten durch Irrtum und Unrecht hinströmend, wie mein Leben. Aber ernster, feierlicher ist diese Rede doch, als tausend Reden meines Lebens, und wenn ich je Sorge getragen und mich vorbereitet, mich Eurer Aufmerksamkeit und Eures Vertrauens zu versichern, so ist es gewiß heute. Freunde! Brüder! Gönnt meinen Worten eine Aufmerksamkeit, die des feierlichsten Tages meines Lebens würdig ist. Gönnt sie ihnen als Worten Eures seinem Grabe nahenden Vaters! Nehmt sie auf als Worte der Erhebung, die er an einem feierlichen Tag in der Stunde eines frommen Entschlusses vor Euch ausspricht. Nehmt sie auf als Worte eines Ruhe und Trost suchenden Mannes, der seinem Grabe naht! Nehmt sie als Worte eines Mannes auf, dem die Not der Armen und besonders die aus Mangel an Erziehungshilfe herrührende Not der Armen immer zu Herzen gegangen, der aber in seinem Streben, dieser Not und ihrer vorzüglichen Quelle abzuhelfen, soviel als nirgend hingekommen, und jetzt am Ende seiner Laufbahn noch seine letzten Kräfte zusammenrafft, um hinter seinem Grab wachsen und vorrücken zu machen, was er in den Mühseligkeiten, Hemmungen und Schwächen seines Lebens nicht hat weiterbringen können.
Ja, Freunde! in meinem Innersten für meine Zwecke aufgeregt, wie noch nie, bitte ich Euch: Vergeßt meiner Rede nicht; vergeßt keines meiner Worte! Vergeßt den Kern nicht, der in Boden geworfen, entkeimt, wächst und zum Baum wird, unter dem die Vögel des Himmels nisten! Vergeßt es nicht, wie alle Teile des Baums, sein Mark, sein Holz, sein Bast, seine Rinde im Kern schon da sind, wie sie sich in der Wurzel entfalten und nach ewigen Gesetzen in getrennter Selbständigkeit sich durch Stamm, Äste und Zweige hindurch fortbilden, bis sie am Ende der Zweige im heiligen geheimnisvollen Dunkel sich zur Bildung der Frucht des Baumes wieder vereinigen. Vergeßt nicht, wie in dieser Rücksicht die Kräfte und Anlagen der Menschennatur in ihrer Entfaltungsweise dem Baum gleich sind, aber auch wie sie ihm darin ungleich sind. Vergeßt meiner Gefühle und meiner Worte für die Armut und die Grundbedingnisse nicht, wenn die Armenhilfe wirklich und reell segensvoll auf ihre Quellen einwirken muß. Vergeßt meinen Enkel nicht!
Auch den Jüngling vergeßt nicht, von dem es mir schien, als wenn eine Stimme aus dem Himmel zu mir sagte: Mach, daß du ihn nicht wieder fortschicken müssest! Vergeßt meiner Weihnacht, meines Nachtmahls und der Erhebung nicht, in der der gereifte Entschluß meiner Stiftung für die Wohnstube des Volkes sich in mir heiligte und erhabener als je aus meiner Seele hervorbrach. Vergeßt nicht, daß sie, die Wohnstube des Volkes, der Mittelpunkt unserer Bestrebungen und unseres Ziels ist. Meine Sorge für dieses Heiligtum aller Menschenbildung werde Eure Sorge. Ihr Bild, das Bild ihres besseren Zustands, erfülle Eure Seele. Es werde ihr heilig! Von ihr allein, von der inneren Veredelung der Wohnstube, hängt der ganze Umfang aller äußerlichen bürgerlichen Mittel zu einem allgemeinen weisen, frommen, kraftvollen, christlichen Leben des Volkes ab, deren erneuerte Wiederherstellung unser Zeitalter so sehr bedarf. Freunde! Brüder! Vergeßt dieses Fundaments allen wahren Volksheiles Euer ganzes Leben nicht! Dadurch allein haltet Ihr Euch sicher auf der Bahn, jemals in Eurem Leben wahrhaft für das Volk wirken zu können. Der Verein unserer Stiftung für das Wohnstubenheil werde also der heilige Mittelpunkt der Vereinigung unseres Hauses.
Freunde! Brüder! Werdet Forscher ihrer Wahrheit! Werdet Lehrer ihrer Mittel, Erkenner ihrer Zwecke! Werdet Beschützer ihres Rechts, Diener ihrer Pflicht und Helden im Krieg wider den Zeitgeist, der ihrem Segen entgegenstrebt. Die Sache der Wohnstube des Volkes ergreife Euch im Innersten Eurer Menschlichkeit, als die Sache der Menschheit selber, als die Sache Gottes, als die einzige Basis der Möglichkeit der Wiederherstellung des wahren brüderlichen Sinns, der in christlichen Staaten sich nicht bloß in Worten, sondern in organisierten Hilfsmitteln zum Dienst der Menschheit und der Armut aussprechen soll.
Freunde! Brüder! In diesem Sinn werdet Erneuerer meines Hauses, Wiederhersteller seines alten Geistes, und Zeugen, daß der Sinn meiner Jugend, daß der Sinn, der sich in "Lienhard und Gertrud" blühend, und in "Wie Gertrud ihre Kinder lehrt", der Reifung näher sich ausspricht, noch in mir lebe. Ja, er lebt noch in mir; ich lebe noch in ihm, und ich will in ihm leben bis an mein Grab.
Freunde! Brüder! In diesem Sinn meiner jungen, und in diesem Sinn meiner jetzigen Tage werdet Mitstifter des heutigen Resultats der alten, ursprünglichen, menschenfreundlichen und wohltätigen Zwecke meines Hauses. In diesem Sinn und in keinem anderen rufe ich Euch alle, alle Glieder meines Hauses! zu einer heiligen Vereinigung unserer selbst in der Liebe und durch die Liebe. Liebet einander, wie uns Jesus Christus geliebt hat! Die Liebe ist langmütig und freundlich; die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht. Sie stellt sich nicht ungebärdig; sie sucht nicht das ihre; sie läßt sich nicht erbittern; sie trachtet nicht nach Schaden. Sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit. Sie verträgt alles; sie glaubt alles; sie hofft alles; sie duldet alles. Freunde! Brüder! Tut Gutes denen, die Euch hassen, segnet die, die Euch verfluchen! Sammelt feurige Kohlen auf das Haupt Eurer Feinde. Laßt die Sonne nicht untergehen über Eurem Zorn. Wenn du opferst, versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, und dann erst opfere deine Gabe. Jede schonungslose Härte sei fern von unserem Haus, sie sei auch gegen den fern, der uns Unrecht tut. Jede menschliche Härte verliere sich in der Sanftheit unseres Glaubens. Sie muß sich in der Sanftheit des christlichen Glaubens verlieren. Keiner unter Euch entschuldige seine Härte gegen den, der Unrecht hat. Keiner sage, Jesus Christus hat den nicht gehaßt, der Unrecht hatte und Unrecht tat. Er hat ihn geliebt. Er hat ihn mit göttlicher Liebe geliebt. Er ist für ihn gestorben. Er hat nicht die Gerechten, er hat die Sünder berufen zur Buße. Er hat auch den Sünder nicht gläubig gefunden, er hat ihn gläubig gemacht, er hat ihn durch seinen Glauben gläubig gemacht. Er hat ihn auch nicht demütig gefunden, er hat ihn demütig gemacht, er hat ihn durch seine Demut demütig gemacht. Wahrlich, wahrlich, es ist mit dem hohen göttlichen Dienst seiner Demut, daß er den Stolz des Sünders überwunden, und ihn durch den Glauben an das göttliche Herz seiner Liebe gekettet. Freunde! Brüder! Werden wir dieses tun, werden wir einander lieben, wie uns Jesus Christus geliebt hat, so werden wir alle Schwierigkeiten, die dem Ziel unseres Lebens entgegenstehen, überwinden, und imstande sein, das Wohl unseres Hauses auf den ewigen Felsen zu gründen, auf den Gott selber das Wohl des Menschengeschlechtes durch Jesum Christum gebaut hat. Amen!