Lienhard und Gertrud
11.
Wohlüberlegte Schelmenprojekte.
Der Vogt aber ging staunend in seine Nebenstube, und ratschlagte mit sich selber, wenn Joseph kommen werde, wie er's anstellen wolle. Falsch ist er, darauf kann ich zählen, und schlau wie der Teufel. Es stehn viel Taler, die er versoffen, auf seines Meisters Rechnung - aber mein Begehren ist rund. Er wird sich fürchten, und mir nicht trauen. - Es läutet schon Mittag. Ich will ihm bis zehn Taler bieten, innert drei Wochen fällt der ganze Bestich *) vom Turm herunter, wenn er tut was ich will. Zehn Taler sollen mich nicht reuen, sagt der Vogt - und da er so mit sich selber redet, kommt Löli und hinter ihm Joseph - sie kamen nicht miteinander damit man desto weniger Verdacht schöpfe.
Gott grüß dich, Joseph; weiß dein Meister nicht, daß du hier bist?
Der Joseph antwortete: Er ist noch im Schloß, aber er wird auf den Mittag wiederkommen, wenn ich nur um ein Uhr wieder auf der Arbeit sein werde, so wird er nichts merken. Gut - Ich habe mit dir zu reden, Joseph! Wir müssen allein sein, sagte der Vogt, führte ihn in die hintere Stube, schloß die Türe zu, und stieß den einen Riegel.
Es standen Schweinenfleisch, Würste, Wein und Brot auf dem Tische. Der Vogt nahm zwei Stühle, stellte sie zum Tisch, und sagte zu Joseph;,
Du versäumest dein Mittagessen, halt's mit und setze dich. Das läßt sich tun, antwortete Joseph, setzte sich hin, und fragte den Vogt: Herr Vogt! sag er, was will er, ich bin zu seinen Diensten –
Der Vogt antwortete: Auf dein gut Wohlsein, Joseph! trink eins; und denn wiederum; versuch diese Würste, sie sollen gut sein. Warum greifst du nicht zu? Du hast ja sonst teure Zeit genug bei deinem Meister.
Joseph: Das wohl - Aber es wird doch jetzt besser kommen;, wenn er Schloßarbeit kriegt.
Vogt: Du bist ein Narr, Joseph! Du solltest dir wohl einbilden, wie lange das gehn möchte. Ich wollt's ihm gerne gönnen;, aber er ist nicht der Mann zu so etwas. Er hat auch noch nie ein Hauptgebäude gehabt; aber er verläßt sich auf dich, Joseph.
Joseph: Das kann sein - Es ist so was.
Vogt: Ich hab' es mir wohl eingebildet, und darum mit dir reden wollen. Du könntest mir einen großen Gefallen tun. Joseph: Ich bin zur Aufwart, Herr Untervogt! Auf sein gut Wohlsein. (Er trinkt.
Es soll dir gelten, Maurer! sagt der Vogt, und legt ihm wieder Würste vor, und fährt fort: Es wäre mir lieb, daß das Fundament der Kirchmauer von gehauenen Steinen aus dem Schwendibruch gesetzt würde.
Joseph: Potz Blitz, Herr Vogt! das geht nicht an; er versteht das jezunder nicht. Dieser Stein ist hierzu nicht gut, und zum Fundament taugt er gar nicht.
Vogt: Oh der Stein ist nicht so schlimm; ich habe ihn schon gar zu viel brauchen gesehn. Er ist, bei Gott! gut, Joseph! Und mir geschähe ein großer Gefallen, wenn diese Steingrube wieder eröffnet würde.
Joseph: Vogt! es geht nicht an.
Vogt: Ich will dankbar sein für den Dienst, Joseph!
Joseph: Die Mauer ist innert sechs Jahren faul, wenn sie aus diesem Stein gemacht wird.
Vogt: Ach, ich mag von diesem nichts hören; das sind Narreteien.
Joseph: Bei Gott, es ist wahr. Es sind am Fundament zwei Miststätte und ein ewiger Ablauf von Ställen. Der Stein wird abfaulen wie ein tannenes Brett.
Vogt: Und denn zuletzt, was fragst du danach, ob die Mauer in zehn Jahren noch gut ist. Du wirst fürchten, der Schloßherr vermöge alsdann keine neue mehr. Tust du, was ich sage, so hast du ein großes, recht großes Trinkgeld zu erwarten.
Joseph: Das ist wohl gut; aber wenn der Junker es selber merkte, daß der Stein nichts nütze ist?
Vogt: Wie sollte er das verstehn? davon ist keine Rede. Joseph: Er weiß in gewissen Sachen viel mehr, als man glauben sollte; du kennst ihn aber besser als ich.
Vogt: Ach! das versteht er nicht.
Joseph: Ich glaub's zuletzt selbst nicht. Der Stein ist dem Ansehen nach sehr schön, und zu anderer Arbeit vortrefflich gut.
Vogt: Gib mir deine Hand darauf, daß der Meister die Steine aus diesem Bruche nehmen muß. Tut er's, so kriegst du fünf Taler Trinkgeld.
Joseph: Das ist viel, wenn ich's nur schon hätte.
Vogt: Es ist mir, bei Gott! Ernst. Ich zahle dir fünf Taler, wenn er's tut.
Joseph: Nun, da hat er mein Wort, Herr Vogt. (Er streckt ihm die Hand dar, und verspricht ihm's in die Hand) Es soll so sein, Herr Vogt! Wie geredet; was scher ich mich um den Herrn im Schloß.
Vogt: Noch ein Wort, Joseph. Ich habe ein Säckchen voll Zeugs von einem Herrn aus der Apothek. Es soll gut sein, daß der Bestich an den Mauern halte, wie Eisen, wenn man's unter den Kalch mischt. Aber wie es ist mit diesen Spitzhöslerkünsten *) . Man darf ihnen eben nicht ganz trauen. Ich möchte es lieber an einem fremden Bau als an meinem eigenen versuchen.
Joseph: Das kann ich schon. Ich will's an eines Nachbaren Ecken probieren.
Vogt: Das an einem Ecken probieren, so im Kleinen, ist nie nichts nütze. Man irret sich dabei, wenn's gerät, und wenn's fehlt. Man darf nie trauen, und ist nie sicher, wie's denn im Großen kommt. Ich möchte es am ganzen Kirchturm probieren, Joseph! ist das nicht möglich?
Joseph: Braucht's viel solcher Ware unter den Kalch?
Vogt: Ich glaub' auf ein Fäßlein nur ein paar Pfunde. Joseph: Dann ist's gar leicht.
Vogt: Willst du mir's tun?
Joseph: Ja freilich.
Vogt: Und schweigen, wenn's fehlt?
Joseph: Es kann nicht übel fehlen, und natürlich schweigt man.
Vogt: Du holest die Ware allemal bei mir ab, wenn du sie brauchst, und ein Glas Wein dazu.
Joseph: Ich werde nicht ermangeln, Herr Untervogt! Aber ich muß fort. Es hat ein Uhr geschlagen. (Er nimmt das Glas) Zur schuldigen Dankbarkeit Herr Untervogt!
Vogt: Du hast nichts zu danken. Wenn du Wort haltest, so kriegst du fünf Taler.
Es soll nicht fehlen, Herr Untervogt! sagt Joseph, steht auf, stellt seinen Stuhl in einen Ecken, und sagt dann: Es muß sein, Herr Untervogt! schuldigen Dank; und trinkt jetzt das letzte.
Vogt: Nun, wenn es sein muß, so behüt Gott, Joseph! Es bleibt bei der Abrede.
Da ging Joseph, und sagte im Gehen zu sich selber: Das ist ein sonderbares Begehren mit den Steinen, und noch sonderbarer mit der Ware in Kalch. Man probiert so etwas nicht am ganzen Kirchturm. Aber einmal das Trinkgeld soll mir jetzt nicht entwischen. Das mein' ich, sei richtig, ich mag's denn tun oder nicht.
Das ist gut gegangen, recht gut, sagte der Vogt zu sich selber; besser als ich geglaubt habe, und noch um den halben Preis. Ich hätte ihm zehn Taler versprochen wie fünfe, wenn er den Handel verstanden hätte. Wie's mich freut, daß der Handel in Ordnung ist! Nein, nein! man muß den Mut nie fallenlassen. Wär' nur auch die Mauer schon außer dem Boden! Geduld! Am Montag brechen sie schon Steine dazu. - Oh du guter Maurer! Deine Frau hat dir ein böses Fressen gekochet, und du meinst, du sitzest oben auf dem Thron.
12.
Haushaltungsfreuden.
Der Maurer Lienhard, der am Morgen früh ins Schloß gegangen war, war nun auch wieder zurück und bei seiner Frau. Diese hatte geeilt, ihre Samstagsarbeit zu vollenden, ehe ihr Mann wieder zurückkäme. Sie hatte die Kinder gekämmt, ihnen die Haare geflochten, ihre Kleider durchgesehn, die kleine Stube gereiniget, und während der Arbeit ihre Lieben ein Lied gelehrt –
Das müßt ihr dem lieben Vater singen, wenn er heimkommen wird, sagte sie den Kindern, und die Kinder lernten gern, was den Vater freuen würde, wenn er heimkäme.
Mitten in ihrer Arbeit, ohne Müh', ohne Versäumnis, ohne Buch sangen sie es der Mutter nach, bis sie es konnten. Und da der Vater jetzt heimkam, grüßte ihn die Mutter, und sang dann, und alle Kinder sangen mit ihr. Der du von dem Himmel bist,
Kummer, Leid und Schmerzen stillest; Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest. Ach! ich bin des Umtriebs müde, *) Bangen Schmerzens, wilder Lust? Süsser Friede! Komm, ach komm in meine Brust.
Eine Träne schoß Lienhard ins Auge, da die Mutter und die Kinder alle so heiter und ruhig ihm entgegensangen. Daß euch Gott segne, ihr Lieben! daß dich Gott segne, du Liebe! sagte er mit inniger Bewegung zu ihnen. Lieber! antwortete Gertrud; die Erde ist ein Himmel, wenn man Friede sucht, recht tut und wenig wünscht.
Lienhard: Wenn ich eine Stunde diesen Himmel des Lebens, den Frieden im Herzen genießen werde, so hast du mir ihn gegeben. Bis in Tod will ich dir danken, daß du mich rettetest, und diese Kinder werden's dir danken, wenn du einst gestorben sein wirst. Oh Kinder! tut doch immer recht, und folget eurer Mutter, so wird's euch wohl gehen.
Gertrud: Du bist doch auch gar herzlich heute.
Lienhard: Es ist mir auch gutgegangen bei Arner.
Gertrud: Ach, gottlob, mein Lieber!
Lienhard: Das ist doch auch ein Mann, der seinesgleichen nicht hat. Frau! daß ich doch auch so ein Kind war, und nicht zu ihm gehn durfte.
Gertrud: Daß wir immer auch so hintennach klug werden, mein Lieber! Aber erzähle du mir auch, wie es dir bei ihm gegangen ist.<(Sie setzt sich neben ihn hin, nimmt einen Strumpf zum Stricken in die> <Hand, und er sagt hierauf zu ihr:)>
13.
Beweis, daß Gertrud ihrem Manne lieb war.
Wenn du dich so setzest, wie am Sonntag abends zu deiner Bibel, so werde ich dir wohl viel erzählen müssen.
Goethe und Kayser
Gertrud: Alles, alles, du Lieber! mußt du mir erzählen.
Lienhard: Ja, ich werde jetzt noch alles so wissen; aber aha, mein Drutscheli! es ist Samstag, du hast nicht so gar lang Zeit.
Gertrud lacht. Tu deine Augen auf.
Lienhard sieht sich um. Aha! Bist du schon fertig?
Lise: (zwischen ein) Sie hat recht geeilt, Vater! Ich und Enne, wir halfen ihr aufräumen. Ist das nicht recht?
Wohl! Es ist mehr als recht, antwortete der Vater.
Aber fang jetzt einmal an zu erzählen, sagte Gertrud.
Und Lienhard: Arner frug mich sogar meines Vaters Namen und die Gasse, wo ich wohne, und das Numero meines Hauses.
Gertrud: Oh, du erzählest nicht recht, Lienhard! ich weiß, er hat nicht so angefangen.
Lienhard: Warum das nicht, du Schnabel! wie denn anders?
Gertrud: Du hast ihn zuerst gegrüßt, und er hat dann gedankt. Wie habt ihr das gemacht?
Lienhard: Du Hexli! du hast doch recht; ich habe nicht von vornen angefangen.
Gertrud: Gelt, Lienj!
Lienhard: Nun, er frug mich, so bald er mich sah, ob ich ihn nicht mehr fürchtete? Ich bückte mich so tief und so gut ich konnte, und sagte: Verzeih er mir, Gnädiger Herr! Er lachte, und ließ mir gleich einen Krug Wein vorsetzen.
Gertrud: Nun, das ist doch wirklich ein ganz andrer Anfang. Warst du fein bald fertig mit dem Krug? Ohne Zweifel.
Lienhard: Nein, Frau. Ich tat so züchtig, wie eine Braut, und ich wollte ihn nicht anrühren; aber er verstand's anders. Ich weiß wohl, daß du den Wein auch kennest, schenk dir nur ein, sagte er. Ich tat sachte, was er sagte, trank eins auf sein Wohlsein; aber er sah mich so steif an, daß mir das Glas am Mund zitterte.
Gertrud: Das gute Gewissen, Lieni! das kam dir eben jetzt in die Finger; aber du hast dich doch wieder vom Schrecken erholt?
Lienhard: Ja, und das recht bald. Er war gar liebreich, und sagte: Es ist ganz natürlich, daß ein Mann, der stark arbeitet, gern ein Glas Wein trinkt. Es ist ihm auch wohl zu gönnen,; aber das ist ein Unglück, wenn einer, anstatt sich mit einem Glas Wein zu erquicken, beim Wein ein Narr wird, und nicht mehr an Weib und Kind denkt, und an seine alten Tage: Das ist ein Unglück, Lienhard!
Frau! Es ging mir ein Stich ins Herz, als er das sagte. Doch faßte ich mich und antwortete:.
Ich wäre in so unglückliche Umstände verwickelt gewesen, daß ich mir in Gottes Namen nicht mehr zu helfen gewußt hätte; und ich hätte, weiß Gott, in der Zeit kein Glas Wein mit einem freudigen Herzen getrunken.
Gertrud: Hast du doch das herausbringen können?
Lienhard: Wenn er nicht so liebreich gewesen wäre, ich hätt' es gewiß nicht gekonnt.
Gertrud: Was sagte er noch weiter?
Lienhard: Es sei ein Unglück, daß die meisten Armen in ihrer Not mit Leuten anbinden, die sie fliehen sollten, wie die Pest. Ich mußte einmal jetzt seufzen. Ich glaube, er merkte es, denn er fuhr wie mitleidig fort:
Wenn man es den guten Leuten nur auch beibringen könnte, ehe sie es mit ihrem Schaden lernen. Der Arme ist schon halb errettet, wenn er nur keinem Blutsauger unter die Klauen fällt. Bald hernach fing er wieder an und sagte: Es geht mir ans Herz, wenn ich denke, wieviel Arme sich oft im abscheulichsten Elend aufzehren, und nicht den Verstand und das Herz haben, ihre Umstände an einem Ort zu entdecken, wo man ihnen herzlich gerne helfen würde, wenn man nur auch recht wüßte, wie sich die Sachen verhalten. Es ist vor Gott nicht zu verantworten, wie du dich Jahr und Tag vom Vogt hast herumschleppen lassen, und wie du Weib und Kind so in Unruhe und Gefahr setzen konntest, ohne auch nur ein einzig Mal mich um Rat und Hilfe zu bitten. Maurer! denke nur auch, wenn deine Frau nicht mehr Herz und Verstand gehabt hätte, als du, wo es am Ende mit deinen Sachen hinausgelaufen wäre.
Gertrud: Das alles hat er gesagt, ehe er dem Hausnumero nachgefragt hat?
Lienhard: Du hörst es ja wohl.
Gertrud: Du hast mir's mit Fleiß nicht sagen wollen; du!
Lienhard: Es wäre, denk ich wohl, das gescheiteste gewesen. Du wirst mir sonst noch gar zu stolz, daß du soviel Herz gehabt hast.
Gertrud: Meinst du's, Hausmeister? Ja, ja einmal auf diesen Streich werde ich mir etwas einbilden, solang ich leben werde, und solang er uns wohltun wird. Aber was sagte Arner noch weiter?
Lienhard: Er nahm mich wegen dem Bau ins Examen. Es war gut, daß ich noch nicht alles vergessen hatte. Ich mußte ihm alles beim Klafter ausrechnen - und die Fuhren von Kalch und Sand und Steinen auf's Pünktgen ausspitzen.
Gertrud: Bist du um keine Nulle verirrt im Rechnen.
Lienhard: Nein das mal nicht, du Liebe. Gertrud: Gottlob!
Lienhard: Ja wohl gottlob.
Gertrud: Ist jetzt alles in der Ordnung?
Lienhard: Ja, recht schön ist's in der Ordnung. - Rate, wieviel hat er mir vorgeschossen? (Er klingelt mit den Talern im Sack) und sagt: Gelt es ist lang, daß ich nicht so geklingelt habe?
Gertrud seufzt.
Lienhard: Seufze du jetzt nicht, du Liebe! Wir wollen hausen und sparen, und wir werden jetzt gewiß nicht mehr in die alte Not kommen.
Gertrud: Ja. Gott im Himmel hat uns geholfen.
Lienhard: Und noch mehr Leuten im Dorf mit uns. Denk! Er hat zehn arme Hausväter, die gewiß alle sehr in der Not waren, zu Taglöhnern bei diesem Bau angenommen, und er gibt jedem des Tags 25 Kreutzer - Du Liebe! Du hättest sehen sollen, mit was für Sorgfalt er die Leute ausgewählt hat. Gertrud: Oh, sag mir doch das recht!
Lienhard: Ja, wenn ich's jetzt noch so wüßte.
Gertrud: Besinne dich ein wenig.
Lienhard: Nun denn: Er fragte allen armen Hausvätern nach; wieviel Kinder sie hätten, wie groß diese wären; was für Verdienst und Hilfe sie hätten. Dann suchte er die Verdienstlosesten und die, welche am meisten unerzogene Kinder hatten, daraus, und sagte zweimal zu mir: Wenn du jemand kennst, der, wie du, im Drucke ist: so sag es mir. Ich nannte vor allen aus den Hübelrudi, und der hat jetzt für ein Jahr gewiß Verdienst.
Gertrud: Es ist brav, daß du dem Rudi deine Erdäpfel nicht hast entgelten lassen.
Lienhard: Ich könnte keinem Armen nichts nachtragen, Frau! und diese Haushaltung ist erschrecklich elend. Ich habe den Rudeli erst vor ein paar Tagen wieder bei der Grube angetroffen; und ich tat als ob ich ihn nicht sähe. Es ging mir ans Herz; er sieht aus wie Teurung und Hunger, und wir hatten doch in Gottes Namen zuletzt noch immer zu essen.
Gertrud: Das ist wohl gut, du Lieber! Aber stehlen hilft nicht im Elend; und der Arme der's tut, kommt dadurch nur gedoppelt in die Not.
Lienhard: Freilich; aber beim nagenden Hunger Eßwaren vor sich sehen, und wissen, wieviel davon in den Gruben verfaulen muß, und wie selber alles Vieh davon genug hat, und sie dann doch liegen lassen und sie nicht anrühren: Oh, Liebe! Wieviel braucht's dazu!
Gertrud: Es ist gewiß schwer; aber gewiß muß der Arme es können, oder er ist unausweichlich höchst unglücklich.
Lienhard: Oh Liebe! Wer würde in seinem Fall es tun? Wer will's von ihm fordern?
Gertrud: Gott! der's vom Armen fordert, gibt ihm Kraft es zu tun, und bildet ihn durch den Zwang, durch die Not, und durch die vielen Leiden seiner Umstände, zu der großen Überwindung, zu der er aufgefordert ist. Glaube mir, Lienert! Gott hilft dem Armen so im Verborgenen, und gibt ihm Stärke und Verstand zu tragen, zu leiden und auszuhalten, was schier unglaublich scheint. Wenn's denn durchgestritten, wenn das gute Gewissen bewahrt ist, Lienert! denn ist ihm himmelwohl; viel besser als allen, die nicht Anlaß hatten, so viel zu überwinden.
Lienhard: Ich weiß es, Gertrud! An dir weiß ich's. Ich bin auch nicht blind. Ich sah es oft, wie du in der größesten Not auf Gott trautest und zufrieden warst: Aber wenig Menschen sind im Elend wie du, und viele sind, wie ich, bei dem Drang der Not und des Elends sehr schwach; darum denke ich immer, man sollte mehr tun, um allen Armen Arbeit und Brot zu verschaffen. Ich glaube sie würden denn alle auch besser sein, als sie in der Verwirrung ihrer Not und ihres vielen Jammers jetzo sind.
Gertrud: Oh Lieber! Das ist bei weitem nicht so; wenn es nichts als Arbeit und Verdienst brauchte, die Armen glücklich zu machen: so würde bald geholfen sein. Aber das ist nicht so; bei Reichen und bei Armen muß das Herz in Ordnung sein, wenn sie glücklich sein sollen. Und zu diesem Zweck kommen die weit mehreren Menschen eher durch Not und Sorgen, als durch Ruhe und Freuden; Gott würde uns sonst wohl gerne lauter Freude gönnen. Da aber die Menschen Glück und Ruhe und Freuden nur alsdenn ertragen können, wenn ihr Herz zu vielen Überwindungen gebildet, standhaft, stark, geduldig und weise ist, so ist offenbar notwendig, daß viel Elend und Not in der Welt sein muß; denn ohne das kommt bei wenigen Menschen das Herz in Ordnung und zur inneren Ruhe. Und wo das mangelt, so ist's gleichviel, der Mensch mag Arbeit haben oder nicht; er mag Überfluß haben oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er will, und steckt alle Tage im Wirtshause. Dabei aber ist er nicht glücklicher als der arme Wächter, der's nicht hat; und ob er gleich auch alle Tage dürstet, dennoch nur dann und wann ein Glas Wein in seinem Winkel findet. Lienhard seufzte, und Gertrud schwieg auch eine Weile, dann sagte sie: Hast du auch nachgesehen, ob die Gesellen arbeiten? Ich muß dir sagen, der Joseph ist heute wieder ins Wirtshaus geschlichen.
Lienhard: Das ist verdrießlich! Gewiß hat ihn der Vogt kommen lassen. Er hat sich eben gar sonderbarlich aufgeführt. Ich bin, ehe ich heimkam, bei ihnen auf der Arbeit gewesen, und wenn er eben aus dem Wirtshaus gekommen ist: so macht mir das, was er gesagt hat, Unruhe; es ist denn nicht aus seinem Hafen.
Gertrud: Was ist's denn?
Lienhard: Er sagte: der Stein aus dem Schwendibruch wäre so vortrefflich zur Kirchmauer, und da ich ihm antwortete, die großen Feldkiesel, die in Menge nahe da herumlägen, wären viel besser, sagte er; ich wolle immer ein Narr bleiben und meine Sachen nie recht anstellen. Die Mauer werde von den Schwendisteinen viel schöner und ansehnlicher werden. Ich dachte eben, er sage das so aus guter Meinung. Doch hat er so plötzlich von dem Stein angefangen, daß es mich schon da sonderbar dünkte; und wenn er beim Vogt gewesen ist, so steckt gewiß etwas dahinter. Der Schwendistein ist mürb und sandig, und zu dieser Arbeit gar nichts nütze. Wenn das eine Fuchsfalle wäre?
Gertrud: Joseph ist nicht durch und durch gut. Nimm dich in Acht.
Lienhard: Da fangen sie mich nicht. Der Junker will keine Sandsteine an der Mauer haben.
Gertrud: Warum das?
Lienhard: Er sagte, weil unten an der Mauer Miststellen und Abläufe von Ställen wären: so würde der Sandstein faulen, und vom Salpeter angefressen werden.
Gertrud: Ist das wahr?
Lienhard: Ja; ich habe selbst einmal in der Fremde an einem Gebäude gearbeitet, da man das ganze Fundament, das von Sandsteinen war, wieder hat wegnehmen müssen.
Gertrud: Daß er das so versteht?
Lienhard: Es verwunderte mich selber, aber er verstehts vollkommen. Er fragte mich auch, wo der beste Sand sei. Ich sagte: Im Schachen bei der unteren Mühlin. Das ist sehr weit zu führen und bergan, antwortete er:. man muß Leute und Vieh schonen. Weißest du keinen, der näher wäre? Ich sagte, es sei gerad oben an der Kirche sehr reiner Sand im Mattenbühl; aber es sei eigentümliches Land: man müßte die Grube zahlen, und könnte nicht anders als durch Matten fahren, wo man einen Abtrag würde tun müssen. Das schadet nichts, antwortete er, es ist besser, als Sand aus dem Schachen heraufholen. Ja ich muß dir noch etwas erzählen.
Eben da er vom Sand redete, meldete der Knecht den Junker von Oberhofen. Ich glaubte, ich müßte jetzt sagen, ich wollte ihn nicht aufhalten und ein andermal kommen. Er lachte und sagte: Nein, Maurer! Ich mache gern eine Arbeit aus, und erst wenn ich fertig bin, sehe ich dann, wer weiter etwas mit mir wolle. Du kommst mir eben recht mit deinem Abschiednehmen. Es gehört zu deiner alten Ordnung, die aufhören muß, so liederlich bei jedem Anlaß Geschäfte und Arbeit liegen zu lassen.
Ich kratzete hinter den Ohren, Frau! Hätte ich nur auch mit meinem Ein-andermal-Kommen geschwiegen. Es hat dir auch etwas gehört, sagte Gertrud, und eben rief jemand vor der Türe Holaho! Ist niemand daheim?
14.
Niedriger Eigennutz.
Der Maurer machte die Türe auf, und die Schnabergritte, des Siegristen Sohnsfrau, und des Vogts Bruders sel. Tochter, kam in die Stube. Nachdem sie den Maurer und die Frau gegrüßt, dabei aber den Mund nur ein klein wenig aufgetan hatte, sagte sie zu ihm:
Du wirst wohl jetzt nicht mehr unseren schlechten Ofen bestreichen wollen? Lienhard!
Lienhard: Warum denn das nicht, Frau Nachbarin? fehlt etwas daran?
Gritte: Nein, jetzt gar nicht; ich wollte nur in der Zeit fragen, damit ich in der Not wisse, woran ich sei.
Lienhard: Du bist so sorgfältig, Grittli! Es hätte aber übel fehlen können.
Gritte: Ja, die Zeiten ändern sich, und mit ihnen die Leute auch. Lienhard: Das ist wohl wahr: aber Leute zum
Ofenbestreichen findet man doch immer.
Gritte: Das ist eben der Vorteil.
Gertrud, die bis jetzt so geschwiegen hatte, nimmt das Brotmesser von der Wand, und schneidet von einem altgebackenen Roggenbrot ein zur Nachtsuppe.
Das ist Schwarzbrot, sagt Gritte. Es gibt aber jetzt bald besseres, da dein Mann Herr Schloßmaurer geworden ist.
Du bist närrisch, Gritte! Ich will Gott danken, wenn ich mein Lebtag genug solches habe, sagte Gertrud.
Und Gritte: Weißbrot ist doch besser, und wie sollt's fehlen? Du wirst noch Frau Untervögtin, und dann dein Mann vielleicht Herr Untervogt; aber es würde uns dabei übelgehen.
Lienhard: Was willst du mit dem Sticheln? Ich habe das nicht gern; geradeheraus ist Meister, wenn man was hat, das man sagen darf.
Gritte: Ha, Maurer, das darf ich, wenn's sein muß. Mein Mann ist doch auch des Siegristen Tochtermann, und es ist, so lange die Kirche steht, nie erhört worden, daß, wenn es Arbeit daran gegeben hat, des Siegristen seine Leute nicht den Vorzug gehabt hätten.
Lienhard: Und jetzt was weiters?
Gritte: Ja, und jetzt, eben jetzt hat der Untervogt einen Zettel im Haus, darin mehr als ein Dutzend der größten Lumpen aus dem Dorf als Arbeiter bei dem Kirchbau aufgezeichnet sind, und von des Siegristen Leuten steht kein Wort darin.
Lienhard: Aber Frau Nachbarin, was geht das mich an? Hab' ich den Zettel geschrieben?
Gritte: Nein, geschrieben hast du ihn nicht; aber, ich denk wohl, angegeben.
Lienhard: Das wär wohl viel, wenn ich dem Junker seine Zettel angeben müßte.
Gritte: Ha, einmal weiß man, daß du alle Tage im Schloß steckst, und gerad heute wieder dort warst. Und wenn du auch berichtet hättest, wie es vor diesem gewesen ist, so wär es beim Alten geblieben.
Lienhard: Du gehst an den Wänden, Gritte, wenn du das glaubst. Arner ist nicht der Mann, der beim alten bleibt, wenn er glaubt, er könn's mit dem neuen besser machen.
Gritte: Man sieht's –
Lienhard: Und zudem wollte er mit dem Verdienst den Armen und Notleidenden aufhelfen.
Gritte: Ja eben will er nur Lumpen- und Bettelgesindel aufhelfen.
Lienhard: Es sind nicht alle Arme Gesindel, Gritte; man muß nie so reden. Es weiß keiner, wie's ihm gehn wird, bis er unter den Boden kommen wird.
Gritte: Eben das ist's. Es muß ein jeder für sein Stück Brot sorgen; und darum tut's uns auch weh, daß man unser so gar vergessen hat.
Lienhard: Ach Gritte! Das ist jetzt was anderes. Du hast schöne Güter, und issest bei deinem Vater, und dieser hat das beste Verdienst im Dorf und du mußt nicht, wie unsere Armen, für das tägliche Brot sorgen.
Gritte: Du magst jetzt sagen, was du willst. Es tut einem jeden weh, wenn er glaubt, es gehöre ihm etwas, und wenn es ihm dann ein anderer Hund vor dem Maul wegfrißt.
Lienhard: Spare die Hunde, Grittli, wenn du von Menschen redest, sonst findest du einst einen, der dich beißt. Und wenn du glaubst, das Verdienst gehöre dir, so bist du jung und stark, und so hast du gute Füße und ein gutes Mundstück; du kannst also deine Sache selbst an Ort und Stelle hintragen und anbringen, wo man dir zu deinem Recht verhelfen kann.
Gritte: Großen Dank, Herr Maurer! für den schönen Rat.
Lienhard: Ich kann keinen besseren geben.
Gritte: Es gibt etwan auch wieder Gelegenheit, den Dienst zu erwidern - Leb wohl, Lienert! –
Lienhard: Leb auch wohl, Gritte! Ich kann dir nicht besser helfen.
Gritte geht fort, und Lienhard zu seinen Gesellen.
15.
Der klugen Gans entfällt ein Ei, oder eine Dummheit, die ein Glas Wein kostet.
Dieser war heute am Morgen nicht so bald aus dem Schloß weg, so sandte Arner den Zettel, in dem er die Taglöhner aufgeschrieben hatte, durch den Harschier Flink dem Vogt, mit dem Befehl, es ihnen anzuzeigen. Der Harschier brachte den Befehl dem Vogt noch Vormittag; aber bisher waren sonst alle Briefe, die aus dem Schloß an ihn kamen, überschrieben: "An den ehrsamen und bescheidenen, meinen lieben und getreuen Vogt Hummel in Bonnal" und auf diesem stand nur: An den Vogt Hummel in Bonnal.
Was denkt der verdammte Spritzer, der Schloßschreiber, daß er mir den Titel nicht gibt, wie er mir gehört, sagte der Vogt, sobald er den Brief in die Hand nahm, zu Flink, der ihn überbrachte.
Der Harschier aber antwortete: Besinn dich, Vogt! was du redest. Der Junker hat den Brief selbst überschrieben. Vogt: Das ist nicht wahr. Ich kenne die Hand des gepuderten Bettelbuben, des Schreibers.
Flink schüttelte den Kopf und sagte; das ist herzhaft. Ich sah mit meinen Augen, daß der Junker ihn überschrieb; ich stand neben ihm in der Stube, als er's tat.
Vogt: So hab ich mich denn verdammt geirrt, Flink! Das Wort ist mir so entfahren - Vergiß es, und komm, trink ein Glas Wein mit mir in der Stube.
Nimm dich ein andermal in Acht, Vogt! Ich mache nicht gern Ungelegenheit, sonst könnte das geben, sagt Flink - geht mit dem Vogt in die Stube, stellt das kurze Gewehr ab, in einen Ecken, läßt sich eins belieben, und geht dann wieder fort. Da machte der Vogt den Brief auf, las ihn und sagte: Das sind ja alles lauter Lumpen und Bettler, vom ersten bis zum letzten. Donner! wie das denn auch geht. Von meinen Leuten kein einziger, als der Schabenmichel! Nicht einmal einen Taglöhner kann ich ihm mehr aufsalzen. Und jetzt soll ich es ihnen heute noch ansagen; das ist schwere Arbeit für mich. Aber ich will's tun. Es ist noch nicht aller Tage Abend. Gerade jetzt will ich's ansagen, und ihnen raten, am Montag ins Schloß zu gehn, dem Junker zu danken. Er kennt von den Burschen nicht einen. Es fehlt nicht, der Maurer hat sie ihm alle angeraten. Wenn sie denn am Montag ins Schloß kommen, und so alle miteinander zerrissen wie Hergelaufene - der eine ohne Schuh, der andere ohne Hut, vor dem Erbherren da stehn; es nimmt mich wunder, ob es dann nichts geben wird, das mir in meinen Kram dient. So ratschlagt er mit sich selber, kleidet sich an, und nimmt dann wieder den Zettel zur Hand, um zu sehen, wie einer dem anderen in der Nähe wohne, damit er den Weg nicht zweimal gehn müsse.
Der Hübelrudi war zwar nicht der nächste; aber er ging, seitdem er seinem Vater die Brunnenmatte abgerechtigt hatte, nicht mehr gern in sein Haus; denn es stiegen ihm allemal allerhand Gedanken auf, wenn er die armen Leute darin sah. Ich will zuerst geschwind zu dem Pack, sagt er, und ging alsobald hin für das Fenster.
16.
Zieht den Hut ab, Kinder! es folgt ein Sterbbett.
Der Hübelrudi saß eben bei seinen vier Kindern. Vor drei Monaten war ihm seine Frau gestorben, und jetzt lag seine Mutter sterbend auf einem Strohsack, und sagte zu Rudi; Suche mir doch Nachmittag etwas Laub in meine Decke, ich friere.
Oh Mutter! Sobald das Feuer im Ofen verloschen sein wird, will ich gehen.
Die Mutter: Hast du auch noch Holz, Rudi? Ich denke wohl, nein; du kannst nicht in den Wald von mir und den Kindern weg. Oh Rudi! Ach, ich bin dir zur Last -
Rudi: Oh Mutter, Mutter! Sag doch das nicht, du bist mir nicht zur Last. Mein Gott! Mein Gott! Könnte ich dir nur auch, was du nötig hast, geben. - Du dürstest, du hungerst, und klagst nicht. Das geht mir ans Herz, Mutter!
Die Mutter: Gräme dich nicht, Rudi! Meine Schmerzen sind, gottlob! nicht groß; und Gott wird bald helfen, und mein Segen wird dir lohnen, was du mir tust.
Rudi: Oh Mutter! Noch nie tat mir meine Armut so weh, als jetzt, da ich dir nichts geben und nichts tun kann. Ach Gott! So krank und elend leidest du, und trägst du meinen Mangel –
Die Mutter: Wenn man seinem Ende nahe ist, so braucht man wenig mehr auf Erden, und was man braucht, gibt der Vater im Himmel. Ich danke ihm, Rudi; er stärkt mich in meiner nahen Stunde.
Rudi: (in Tränen) Meinst du denn, Mutter! du erholest dich nicht wieder?
Die Mutter: Nein, Rudi! Gewiß nicht.
Rudi: Oh mein Gott!
Die Mutter: Tröste dich, Rudi! Ich gehe ins bessere Leben.
Rudi: (schluchzend) Oh Gott!
Die Mutter: Tröste dich, Rudi! Du warst die Freude meiner Jugend, und der Trost meines Alters. Und nun danke ich Gott! Deine Hände werden jetzt bald meine Augen schließen. Dann werde ich zu Gott kommen, und ich will für dich beten, und es wird dir wohl gehen ewiglich. Denk an mich, Rudi. Alles Leiden und aller Jammer dieses Lebens, wenn sie überstanden sind, machen einem nur wohl. Mich tröstet und mir ist wie heilig alles, was ich überstanden habe, so gut als alle Lust und Freude des Lebens. Ich danke Gott, für diese frohe Erquickung der Tage meiner Kindheit; aber wenn die Frucht des Lebens im Herbst reifet, und wenn der Baum sich zum Schlafe des Winters entblättert: dann ist das Leiden des Lebens ihm heilig, und die Freuden des Lebens sind ihm nur ein Traum. Denk an mich, Rudi! Es wird dir wohlgehen bei allem deinem Leiden.
Rudi: Oh Mutter! Liebe Mutter!
Die Mutter: Aber jetzt noch eins, Rudi.
Rudi: Was? Mutter!
Die Mutter: Es liegt mir seit gestern, wie ein Stein, auf dem Herzen. Ich muß dir's sagen.
Rudi: Was ist's denn, liebe Mutter?
Die Mutter: Ich sah gestern, daß sich der Rudeli hinter meinem Bette versteckte, und gebratene Erdäpfel aus seinem Sack aß. Er gab auch seinen Geschwistern, und auch sie aßen verstohlen. Rudi! Diese Erdäpfel sind nicht unser; sonst würde der Junge sie auf den Tisch geworfen, und seinen Geschwistern laut gerufen haben, ach! er würde auch mir einen gebracht haben, wie er's tausendmal tat. Es ging mir allemal ans Herz, wenn er so mit etwas auf den Händen zu mir sprang, und so herzlich zu mir sagte: Iß auch, Großmutter! Oh Rudi! wenn dieser Herzensjunge ein Dieb werden sollte. Oh Rudi! wie mir dieser Gedanke seit gestern so schwer macht! Wo ist er? Bring mir ihn, ich will mit ihm reden.
Rudi: Oh ich Elender! (Er läuft geschwind, sucht den Knaben und bringt ihn der Mutter an's Bett).
Die Mutter setzt sich mühselig zum letztenmal auf, kehrt sich gegen den Knaben, nimmt seine beiden Hände in ihre Arme und senkt das schwache sterbende Haupt hinab auf den Knaben.
Der Kleine weint laut - Großmutter! Was willst du? Du stirbst doch nicht - ach stirb doch nicht,
Großmutter! Sie antwortet gebrochen, Ja Rudeli! ich werde gewiß bald sterben.
Jesus! Ach mein Gott! Stirb doch nicht Großmutter, sagt der Kleine.
Die Kranke verliert den Atem und muß sich niederlegen. Der Knab und sein Vater zerfließen in Tränen -
Sie erholt sich aber bald wieder und sagt: Es ist mir schon wieder besser, da ich jetzt liege -
Und der Rudeli! Du stirbst doch jetzt nicht mehr,
Großmutter! Die Mutter: Tu doch nicht so, du Lieber! Ich sterbe ja gern; und werde denn auch zu einem lieben Vater kommen. Wenn du wüßtest, Rudeli! wie es mich freut, daß ich bald zu ihm kommen soll, du würdest dich nicht so betrüben.
Rudeli: Ich will mit dir sterben, Großmutter, wenn du stirbst.
Die Mutter: Nein, Rudeli! du wirst nicht mit mir sterben, du wirst, will's Gott, noch lang leben und brav werden; und wenn einst dein Vater alt und schwach sein wird, seine Hilfe und sein Trost sein. Gelt Rudeli! du willst ihm folgen, und brav werden und recht tun. Versprich mir's, du Lieber!
Rudeli: Ja, Großmutter! Ich will gewiß recht tun und ihm folgen.
Die Mutter: Rudeli! Der Vater im Himmel, zu dem ich jetzt bald kommen werde, sieht und hört alles, was wir tun und was wir versprechen! Gelt Rudeli, du weißt das? und du glaubst es.
Rudeli: Ja, Großmutter! Ich weiß es, und glaube es.
Die Mutter: Aber warum hast du denn doch gestern hinter meinem Bette verstohlen Erdäpfel gegessen?
Rudeli: Verzeih mir's doch, Großmutter! Ich will's nicht mehr tun. Verzeih mir's doch, ich will's gewiß nicht mehr tun, Großmutter!
Die Mutter: Hast du sie gestohlen?
Rudeli: (Schluchzend) J. j. ja, Großmutter!
Die Mutter: Wem hast du sie gestohlen?
Rudeli: Dem Mau-Mau-Maurer.
Die Mutter: Du mußst zu ihm gehen, Rudeli! und ihn bitten, daß er dir verzeihe.
Rudeli: Großmutter! Um Gottes willen, ich darf nicht!
Die Mutter: Du mußt, Rudeli! damit du es ein andermal nicht mehr tust. Ohne Widerrede mußt du gehen! und um Gottes willen, mein Lieber! wenn dich schon hungert, nimm doch nichts mehr. Gott verläßt niemand; er gibt allemal wieder - Oh Rudeli! wenn dich schon hungert; wenn du schon nichts hast und nichts weißt, traue auf deinen lieben Gott, und stiehl nicht mehr.
Rudeli: Großmutter, Großmutter! Ich will gewiß nicht mehr stehlen; wenn mich schon hungert; ich will nicht mehr stehlen.
Die Mutter: Nun so segne dich denn mein Gott! auf den ich hoffe - und er bewahre dich du Lieber! Sie drückt ihn an ihr Herz, weinet und sagt dann: Du mußt jetzt zum Maurer gehen und ihn um Verzeihung bitten. Rudi! gehe doch auch mit ihm - und sag des Maurers, daß auch ich sie um Verzeihung bitte, und daß es mir leid sei, daß ich ihnen die Erdäpfel nicht zurückgeben könne - sage ihnen ich wollte Gott für sie bitten, daß er ihnen ihr übriges segne - Es tut mir so wehe - Sie haben das ihrige auch so nötig - und wenn die Frau nicht so Tag und Nacht arbeitete, sie könntens bei ihrer großen Haushaltung fast nicht ermachen. Rudi! du arbeitest ihm gern ein paar Tage dafür, daß er das Seinige wieder erhalte.
Rudi: Ach mein Gott! Von Herzen gern, meine liebe Mutter! Da er eben das sagte, klopfte der Vogt ans Fenster.
17.
Die kranke Frau handelt vortrefflich.
Und die Kranke erkannte ihn an seinem Husten, und sagte:. Oh Gott! Rudi! Es ist der Vogt! Gewiß sind das Brot und der Anken, wovon du mir Suppen kochest, noch nicht bezahlt. Rudi: Um Gottes willen, bekümmere dich nicht, Mutter! Es ist nichts daran gelegen. Ich will ihm arbeiten und in der Ernte schneiden, was er will.
Ach! Er wartet dir nicht, sagt die Mutter, und der Rudi geht aus der Stube zum Vogt.
Die Kranke aber seufzet bei sich selber, und sagt - Seit unserm Handel, Gott verzeih ihn dem armen verblendeten Tropf! ist mir immer ein Stich in's Herz gegangen, wenn ich ihn sah - Ach Gott! und in meiner nahen Stunde muß er noch vor mein Fenster kommen und husten - Es ist Gottes Wille, daß ich ihm ganz, daß ich ihm jetzt verzeihe, und den letzten Groll überwinde, und für seine Seele bete. Ich will es tun.
Gott du leitetest den Handel! Verzeih ihm. Vater im Himmel! Verzeih ihm. Sie hört jetzt den Vogt laut reden, erschrickt und sagt:
Ach Gott, er ist zornig! Oh du armer Rudi! Du kommst um meinetwillen unter seine Hände. Sie hört ihn noch einmal reden, und sinkt in Ohnmacht.
Der Rudeli springt aus der Stube zum Vater und ruft ihm:. Vater! Komm doch, komm doch! Die Großmutter ist, glaub' ich, tot.
Der Rudi antwortete: Herr Jesus! Vogt ich muß in die Stube.
Und der Vogt: Ja es tut not; das Unglück wird gar groß sein, wenn die Hexe einmal tot sein wird.
Der Rudi hörte nicht, was er sagte, und war schnell in der Stube.
Die Kranke erholte sich bald wieder, und wie sie die Augen öffnete, sagte sie: Er war zornig, Rudi? Er will dir gewiß nicht warten.
Rudi: Nein Mutter! es ist etwas recht Gutes. Aber hast du dich auch wieder recht erholet?
Ja, sagt die Mutter! sieht ihn ernsthaft und wehmütig an. Was Gutes kann dieser bringen? Was sagst du? Willst du mich trösten, und allein leiden? Er hat dir gedrohet!
Rudi: Nein, weiß Gott, Mutter! Er hat mir angesagt, ich sei Taglöhner beim Kirchbau; und der Junker zahle einem des Tags 25 Kreuzer.
Die Mutter: Herrgott! ist das auch wahr?
Rudi: Ja gewiß, Mutter! Und es ist da mehr als für ein ganzes Jahr Arbeit.
Die Mutter: Nun ich sterbe leichter, Rudi! Du bist gut, mein lieber Gott. Sei doch bis an ihr Ende ihr guter Gott! Und Rudi glaub's doch ewig fest: Je größer Not, Je näher Gott. Sie schwieg jetzt eine Weile; dann sagte sie wieder:. Ich glaube, es sei mit mir aus - Mein Atem nimmt alle Augenblicke ab - Wir müssen scheiden, Rudi, ich will Abschied nehmen.
Der Rudi bebt, zittert, nimmt seine Kappe ab, fällt auf seine Knie, vor dem Bette seiner Mutter, faltet seine Hände, hebt seine Augen gen Himmel, und kann vor Tränen und Schluchzen nicht reden.
Dann sagt die Mutter: Fasse Mut, Rudi! zu hoffen auf's ewige Leben, wo wir uns wiedersehen werden. Der Tod ist ein Augenblick, der vorüber geht; ich fürchte ihn nicht. Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und daß er, mein Erretter, wird über meinem Staub stehen; und nachdem sich meine Haut wiederum wird über das Gebein gezogen haben; alsdann werde ich in meinem Fleisch Gott sehen. Meine Augen werden ihn sehen, und nicht eines anderen.
Der Rudi hatte sich jetzt wieder erholt, und sagte: So gib mir deinen Segen Mutter! Will's Gott komme ich dir auch bald nach, ins ewige Leben.
Und dann die Mutter: Erhöre mich, Vater im Himmel! und gib deinen Segen meinem Kind - meinem Kind, dem einigen, so du mir gegeben hast, und das mir so innig lieb ist - Rudi! mein Gott und mein Erlöser sei mit dir; und wie er Isaak und Jakob um ihres Vaters Abrahams willen Gutes getan hat, ach! so möge er auch, um meines Segens willen, dir Gutes tun die Fülle; daß dein Herz sich wieder erfreue und frohlocke, und seinen Namen preise. Höre mich jetzt, Rudi! und tue, was ich sage. Lehre deine Kinder Ordnung und Fleiß, daß sie in der Armut nicht verlegen, unordentlich und liederlich werden. Lehre sie auf Gott im Himmel trauen und bauen, und Geschwister aneinander bleiben in Freude und Leid: so wird's ihnen auch in ihrer Armut wohlgehen.
Verzeihe auch dem Vogt, und wenn ich tot und begraben sein werde, so geh zu ihm hin, und sage ihm: ich sei mit einem versöhnten Herze gegen ihn gestorben; und wenn Gott meine Bitte erhöre, so werde es ihm wohlgehen, und er werde noch zur Erkenntnis seiner selbst kommen, ehe er von hinnen scheiden werde.
Nach einer Weile sagte dann die Mutter wieder: Rudi! Gib mir meine zwei Bibeln, mein Gebetbuch und eine Schrift, die unter meinem Halstuch in einem Schächtelchen liegt. Und Rudi stand von seinen Knien auf, und brachte alles der Mutter.
Da sagte sie: Bring mir jetzt auch die Kinder alle. Er brachte sie vom Tisch, wo sie saßen und weinten, zu ihrem Bett. Und auch diese fielen auf ihre Knie vor dem Bette der Mutter. Da sagte sie zu ihnen: Weinet nicht so, ihr Lieben! Euer Vater im Himmel wird euch erhalten, und euch segnen. Ihr waret mir lieb, ihr Teuern! und es tut mir weh, daß ich euch so arm und ohne eine Mutter verlassen muß. - Aber hoffet auf Gott, und trauet auf ihn in allem, was euch begegnen wird; so werdet ihr an ihm immer mehr als Vaterhilfe und Muttertreue finden. Denket an mich, ihr Lieben! Ich hinterlasse euch zwar nichts; aber ihr waret mir lieb, und ich weiß, daß ich euch auch lieb bin.
Da meine Bibeln und mein Gebetbuch, sind fast alles, was ich noch habe; aber haltet es nicht gering, Kinder! Es war in meinem schweren Leben mir tausendmal Trost und Erquickung. Lasset Gottes Wort euch euern Trost sein, Kinder! und euere Freude; und liebet einander, und helfet und ratet einander, solang ihr leben werdet; und seid aufrichtig, treu, liebreich und gefällig gegen alle Menschen, so wird's euch wohl gehen im Leben.
Und du, Rudi! behalte dem Betheli die größere, und dem Rudeli die kleinere Bibel; und den Kleinen die zwei Betbücher zum Angedenken von mir.
Ach, dir habe ich keines, Rudi! Aber du hast keines nötig. du vergißest meiner nicht.
Dann ruft sie noch einmal den Rudeli: Gib mir deine Hand, du Lieber! Gelt, du nimmst doch niemand nichts mehr? Nein doch auch, Großmutter! Glaub' mir's doch auch: Ich werde gewiß niemand nichts nehmen, sagte der Rudeli, mit heißen Tränen.
Nun ich will dir's glauben, und zu Gott für dich beten, sagte die Mutter. Sieh Lieber! Da geb ich deinem Vater ein Papier, das mir der Herr Pfarrer gab, bei dem ich diente. Wenn du älter sein wirst: so lies es, und denk an mich, und sei fromm und treu.
Es war ein Zeugnis von dem verstorbenen Pfarrer in Eichstätten, daß die kranke Cathrine zehn Jahre bei ihm gedienet, und ihm sozusagen geholfen hätte, seine Kinder erziehen, nachdem seine Frau ihm gestorben war; daß der Cathrine alles anvertraut gewesen sei, und daß sie alles wohl so sorgfältig als seine Frau sel. regiert habe. Der Pfarrer dankt ihr darum, und sagt: daß sie wie eine Mutter an seinen Kindern gehandelt habe; und daß er in seinem Leben nicht vergessen werde, was sie in seinem Witwenstand an ihm getan habe. Sie hatte auch wirklich ein beträchtliches Stück Geld in diesem Dienst erworben, und solches ihrem sel. Mann an die Matte gegeben, die der Vogt ihnen hernach wieder abprozessiert hat.
Nachdem sie dem Rudi dieses Papier gegeben hatte, sagte sie ferner - Es sind noch zwei gute Hemder da. Gib mir keines von diesen ins Grab; das, so ich trage, ist recht. Und meinen Rock und meine zwei Fürtücher lasse, so bald ich tot sein werde, den Kindern verschneiden.
Und dann sagte sie bald darauf: Siehe doch sorgfältig zum Betheli, Rudi! Es ist wieder so flüssig. Halte die Kinder doch immer rein mit Waschen und Strählen, und suche ihnen doch alle Jahr Ehrenpreis und Hollunder *) , ihr Geblüt zu verbessern; sie sind so verderbt. Wenn du's immer kannst, so tue doch ihnen eine Geiß zu den Sommer durch, das Betheli kann sie jetzt hüten - Du dauerst mich, daß du so alleine bist, aber fasse Mut, und tue, was du kannst. Der Verdienst an dem Kirchbau erleichtert dich jetzt auch wieder - Ich danke Gott auch für dieses.
Die Mutter schwieg jetzt - und der Vater und die Kinder blieben noch eine Weile auf ihren Knien, und der Vater und die Kinder beteten alle Gebete, die sie konnten. Dann standen sie auf von ihren Knien, und Rudi sagt zu der Mutter:. Mutter! Ich will dir jetzt auch das Laub in die Decke holen. Sie antwortete: Das hat jetzt nicht Eil, Rudi! Es ist, gottlob! jetzt wärmer in der Stube; und du mußt mit dem Kleinen jetzt zum Maurer.
Und der Rudi winkt dem Betheli aus der Stube, und sagt: Gib auf die Großmutter acht, wenn ihr etwas begegnet, so schick das Anneli mir nach; ich werde bei des Maurers sein.
18.
Ein armer Knab bittet ab, daß er Erdäpfel gestohlen hat, und die Kranke stirbt.
Und nahm dann den Kleinen an die Hand, und ging mit ihm. Gertrud war allein bei Hause, als sie kamen, und sah bald, daß der Vater und der Knab Tränen in den Augen hatten. Was willst du, Nachbar Rudi? Warum weinest du? Warum weint der Kleine? fragte sie liebreich, und bot dem Kleinen die Hand.
Ach, Gertrud! Ich bin in einem Unglück, antwortete Rudi - Ich muß zu dir kommen, weil der Rudeli euch etliche Mal aus eurer Grube Erdäpfel genommen hat. Die Großmutter hat's gestern gemerkt, und er hat's ihr bekannt - Verzeih es uns, Gertrud!
Die Großmutter ist auf dem Todbett. Ach, mein Gott! Sie hat soeben Abschied bei uns genommen. Ich weiß vor Angst und Sorge nicht, was ich sage. Gertrud! Sie läßt dich auch um Verzeihung bitten.
Es ist mir leid, ich kann sie dir jetzt nicht zurückgeben; aber ich will gern ein paar Tage kommen dafür zu arbeiten. Verzeih's uns! Der Knabe hat's aus dringendem Hunger getan.
Gertrud: Schweig einmal hievon, Rudi! - Und du, lieber Kleiner! komm, versprich mir, daß du niemand nichts mehr nehmen willst. Sie küßt ihn, und sagt: Du hast eine brave Großmutter, werde doch auch so fromm und brav wie sie.
Rudeli: Verzeih' mir, Frau! Ich will, weiß Gott! nicht mehr stehlen.
Gertrud: Nein, Kind! Tue es nicht mehr; du weißest jetzt noch nicht, wie elend und unglücklich alle Dieben werden. Tue es doch nicht mehr! Und wenn dich hungert, komm lieber zu mir und sag' es mir. Wenn ich kann, ich will dir etwas geben.
Rudi: Ich danke Gott, daß ich jetzt bei der Kirche zu verdienen habe, und hoffe, der Hunger werde ihn nun auch nicht mehr so bald zu so etwas verleiten.
Gertrud: Es hat mich und meinen Mann gefreut, daß der Junker mit dem Verdienst auch an dich gedacht hat.
Rudi: Ach! es freuet mich, daß die Mutter noch den Trost erlebt hat. Sage doch deinem Mann, ich wolle ihm ehrlich und treu arbeiten, und früh und spät sein; und ich wolle mir die Erdäpfel doch auch herzlich gern am Lohn abziehen lassen.
Gertrud: Von dem ist keine Rede, Rudi! Mein Mann tut das gewiß nicht. Wir sind, gottlob! durch den Bau jetzt auch erleichtert. Rudi! Ich will mit dir zu deiner Mutter gehn, wenn es so schlimm ist.
Sie füllt dem Rudeli seinen Sack mit dürrem Obst - sagt ihm noch einmal: Du Lieber! nimm doch niemand nichts mehr; und geht dann mit dem Rudi zu seiner Mutter.
Und als er unter einem Nußbaum Laub zusammenlas, die Decke ihres Betts besser zu füllen, half ihm Gertrud Laub aufsammeln, und dann eilten sie zu ihr hin.
Gertrud grüßte die Kranke, nahm ihre Hand, und weinte. Du weinest, Gertrud! sagte die Großmutter; wir sollten weinen. Hast du uns verziehen?
Gertrud: Ach! was verziehen. Cathrine! Eure Not geht mir zu Herzen, und noch mehr deine Güte und deine Sorgfalt. Gott wird deine Treue und deine Sorgfalt gewiß noch an den Deinigen segnen, du Gute!
Cathrine: Hast du uns verziehen, Gertrud?
Gertrud: Schweig doch hievon, Cathrine! Ich wollte, ich könnte dich in etwas in deiner Krankheit erleichtern.
Cathrine: Du bist gut, Gertrud! Ich danke dir; aber Gott wird bald helfen - Rudeli! Hast du sie um Verzeihung gebeten? Hat sie's dir verziehen?
Rudeli: Ja, Großmutter! Sieh doch, wie gut sie ist. (Er zeigt ihr den Sack voll dürr Obst.
Wie ich schlummere, sagte die Großmutter. Hast du sie auch recht um Verzeihung gebeten?
Rudeli: Ja, Großmutter! Es war mir gewiß Ernst.
Cathrine: Es übernimmt mich ein Schlummer, und es dunkelt vor meinen Augen - Ich muß eilen, Gertrud! sagte sie leise und gebrochen - Ich wollte dich doch noch etwas bitten; aber darf ich? Dieses unglückliche Kind hat dir gestohlen - darf ich dich doch noch bitten, Gertrud - wenn - ich - - tot sein - - - diesen armen - - verlassenen Kindern - - sie sind so verlassen - - Sie streckt die Hand aus - (die Augen sind schon zu) darf ich - - hoffen - - folg ihr - - - Rud - - - Sie verschied, ohne ausreden zu können.
Der Rudi glaubte, sie sei nur entschlafen, und sagte den Kindern: Rede keines kein Wort; sie schläft; wenn sie sich auch wieder erholte!
Gertrud aber vermutete, daß es der Tod sei, und sagt es dem Rudi.
Wie jetzt dieser und wie alle Kleinen die Hände zusammenschlugen und trostlos waren, das kann ich nicht beschreiben - Leser - Laß mich schweigen und weinen, denn es geht mir ans Herz - wie die Menschheit im Staube der Erden zur Unsterblichkeit reifet, und wie sie im Prunk und Tand der Erden unreif verwelket.
Wäge doch, Menschheit! wäge doch den Wert des Lebens auf dem Todbette des Menschen - und du, der du den Armen verachtest, bemitleidest, und nicht kennest - sage mir, ob der also sterben kann, der unglücklich gelebt hat? Aber ich schweige; ich will euch nicht lehren, Menschen! Ich hätte nur dies gern, daß ihr selber die Augen auftätet, und selbst umsähet, wo Glück und Unglück, Segen und Unsegen in der Welt ist.
Gertrud tröstete den armen Rudi, und sagte ihm noch den letzten Wunsch der edlen Mutter, den er in seinem Jammer nicht gehört hatte.
Der Rudi nimmt treuherzig ihre Hand - Wie mich die liebe Mutter reuet! Wie sie so gut war! Gertrud! gelt, du willst auch an ihre Bitte denken?
Gertrud: Ich müßte ein Herz haben wie ein Stein, wenn ich's vergessen könnte. Ich will an deinen Kindern tun, was ich kann.
Rudi: Ach! Gott wird dir's vergelten, was du an uns tun wirst.
Gertrud kehret sich gegen das Fenster, wischt ihre Tränen vom Angesicht, hebt ihre Augen gen Himmel, seufzet, nimmt dann den Rudeli und seine Geschwister, eins nach dem andern mit warmen Tränen, besorgt die Tote zum Grabe, und geht erst, nachdem sie alles, was nötig war, getan hatte, wieder in ihre Hütte.
19.
Guter Mut tröstet, heitert auf und hilft; Kummerhaftigkeit aber plagt nur.
Der Untervogt, der zuerst zu Rudi gegangen war, ging von ihm weg zu den übrigen Taglöhnern, und zuerst zu Jogli Bär. Dieser spaltete eben Holz, sang und pfiff beim Scheitstock; als er aber den Vogt sah, machte er große Augen: Wenn du Geld willst, Vogt! so ist nichts da.
Vogt: Du singst und pfeifst ja wie die Vögel im Hanfsamen; wie könnt's dir am Geld fehlen?
Bär: Wenn Heulen Brot gäbe, ich würde nicht pfeifen; aber im Ernst, was willst du?
Vogt: Nichts, als dir sagen, du seist Handlanger beim Kirchbau, und habest des Tags fünfundzwanzig Kreuzer
Bär: Ist das auch wahr?
Vogt: Im Ernst. Du sollst am Montag ins Schloß kommen.
Wenn's Ernst ist, so sag ich schuldigen Dank, Herr Untervogt! Da siehest du jetzt, warum ich heute singen und pfeifen mag. Lachend ging der Vogt von ihm weg, und sagte im Gehen: Keine Stunde in meinem Leben ist mir so wohl als diesem Bettler.
Der Bär aber ging in seine Stube zu seinem Weib. Ha, nur immer gutes Muts! Unser lieber Herrgott meint's immer noch gut, Frau! Ich bin Taglöhner am Kirchbau.
Frau: Ja, es wird lange gehen, bis es an dich kommen wird. Du hast immer den Sack voll Trost; aber nie Brot.
Bär: Das Brot soll nicht fehlen, wenn ich einst den Taglohn haben werde.
Frau: Aber der Taglohn kann fehlen.
Bär: Nein, mein Sack nicht. Arner zahlt die Taglöhner brav; das wird nicht fehlen.
Frau: Spaßest du; oder ist's wahr mit dem Bau?
Bär: Der Vogt kommt soeben und sagte: Ich müsse am Montag mit den Taglöhnern, die an der Kirche arbeiten, ins Schloß; also kann's doch nicht wohl fehlen.
Frau: Das wär doch auch. Gottlob! Wenn ich einst eine ruhige Stunde hoffen könnte.
Bär: Du sollt deren noch recht viele haben; ich freue mich wie ein Kind darauf. Du bist denn auch nicht mehr bös, wenn ich munter und lustig heim komme; ich will dir den Wochenlohn allemal bis auf den Kreuzer heimbringen, sobald ich ihn haben werde. Es würde mich nicht mehr freuen zu leben, wenn ich nicht hoffen dürfte, es werde auch noch eine Zeit kommen, in der du mit Freuden denken werdest, du habest doch einen braven Mann. Wenn schon dein Gütlein in meinen armen Händen so stark abgenommen hat. Verzeih mir's, will's Gott bring ich noch was rechtes davon wieder ein.
Frau: Dein guter Mut machet mir Freude; aber ich denke und fürchte doch immer, es sei Liederlichkeit.
Bär: Was versäume ich dann? Oder was vertue ich!
Frau: Ich sage das eben nicht: aber es ist dir nie schwer, wenn schon kein Brot da ist.
Bär: Aber kommt denn Brot, wenn ich mich gräme?
Frau: Ich kann's in Gottes Namen nicht ändern, mir ist einmal immer schwer.
Bär: Fasse Mut, Frau! und muntre dich auf, es wird dir wohl auch wieder leichter werden.
Frau: Ja, jetzt hast du auch keinen ganzen Rock am Montag ins Schloß.
Bär: Oh, so gehe ich mit dem halben. Du hast immer Sorgen, sagte er: ging sodann wieder zu seinem Scheitstock, und spaltete Holz, bis es dunkel wurd.
Von diesem weg geht der Vogt zu Leupi, der war nicht bei Hause; da sagte er es dem Hügli, seinem Nachbar, und ging dann zu Hans Leemann.
20.
Dummer, zeitverderbender Vorwitz, hat den Mann zum Müßiggang verführt.
Er stand vor seiner Haustüre, gaffte umher; sah den Vogt von ferne, sagte zu sich selber: Da gibt's was Neues, und rief ihm: Wo hinaus, Herr Untervogt! So nahe auf mich zu?
Vogt: Sogar zu dir selber, Leemann.
Leemann: Das wär mir viel Ehre, Vogt! Aber sage doch: Was macht des Maurers Frau? Tut sie ihren Mund noch so weit auf, wie vorgestern auf dem Kirchhof; das war eine Hexe, Vogt!
Vogt: Du kannst so was sagen, du! Du bist jetzt Handlanger bei ihrem Mann.
Leemann: Weißest sonst nichts Neues? daß du so mit dem kommst.
Vogt: Nein, es ist mir Ernst; und ich komme auf Befehl aus dem Schloß, es dir anzusagen.
Leemann: Wie komm' ich zu dieser Ehre? Herr Untervogt!
Vogt: Es dünkt mich im Schlaf.
Leemann: Ich werde wohl darob erwachen, wenn's wahr ist. Um welche Zeit muß man an die Arbeit?
Vogt: Ich denk', am Morgen.
Leemann: Und am Abend denkst du auch wieder davon. Wieviel sind unser, Herr Untervogt!
Vogt: Es sind zehen.
Leemann: Sag mir doch, es wundert mich, welche?
Der Vogt sagt ihm einen nach dem andern daher. Zwischenein fragt Leemann mehr als von zwanzigen; der nicht, der auch nicht? Ich versäume mich, sagte endlich der Vogt, und geht weiter.
21.
Undank und Neid.
Von ihm weg, geht der Vogt zu Jögli Lenk. Dieser lag auf der Ofenbank, er rauchte seine Pfeife; die Frau spinnte, und fünf halb nackende Kinder lagen auf dem Ofen.
Der Vogt sagt ihm kurz den Bericht. Lenk nimmt die Pfeife aus dem Munde, und antwortet: Das ist wohl viel, daß auch einmal etwas Gutes an mich kommt. Sonst war ich, so lang ich lebe, vor allem Guten sicher.
Vogt: Lenk! Eben noch viel Leute, denk ich, mit dir . Lenk: Ist mein Bruder auch unter den Taglöhnern?
Vogt: Nein.
Lenk: Wer sind die andern?
Der Vogt nennet sie.
Lenk: Mein Bruder ist doch ein viel besserer Arbeiter, als der Rudi, der Bär und der Marx; vom Kriecher mag ich nicht reden. Es ist bei Gott außer mir kein einziger, unter allen zehen, nur ein halb so guter Arbeiter, als er. Vogt! Könntest du nicht machen, daß er auch kommen müßte.
Ich weiß nicht, sagt der Vogt: bricht das Gespräch ab, und geht.
Die Frau bei der Kunkel schwieg solange der Vogt da war; aber das Gespräch tat ihr im Herzen weh; und sobald der Vogt fort war, sagte sie dem Mann.
Du bist undankbar gegen Gott und Menschen. Da dir Gott in der tiefsten Not Hilfe und Rat zeigt, verleumdest du deine Nachbarn, denen Gott eben das Gute tut, das er dir tun will.
Lenk: Ich werde meinen Batzen verdienen müssen, und ihn eben nicht umsonst bekommen.
Frau: Aber bis jetzt hattest du gar nichts zu verdienen.
Lenk: Aber auch keine Mühe!
Frau: Und deine Kinder kein Brot.
Lenk: Aber ich, was hatte ich mehr als ihr? sagte der Limmel. Die Frau schwieg, und weinte bittere Tränen.
22.
Die Qualen des Meineids lassen sich nicht mit spitzfindigen Künsten ersticken.
Vom Lenk weg, geht der Vogt zum Kriecher, und trifft im Dahingehen unversehens den Hans Wüst an.
Wenn er ihn von ferne gesehen hätte, so würde er ihm ausgewichen sein; denn seit des Rudi Handel klopfte dem Vogt und dem Wüst beiden das Herz, wo sie einander antrafen; aber unversehens stieß der Vogt am Ecken von der Seitenstraße beim unteren Brunnen hart auf diesen an.
Bist du's, sagte der Vogt? und ja, ich bin's, antwortete Wüst:
Vogt: Warum kommst du nicht mehr zu mir? und denkest auch gar nicht an das Geld, das ich dir geliehen habe.
Wüst: Ich habe jetzt kein Geld. Und wenn ich zurückdenke, so fürchte ich, es sei nur zu teuer bezahlt, dein Geld.
Vogt: Du redetest doch nicht so, da ich dir's gab, Wüst! Und so ist doch bös dienen.
Wüst: Ja, dienen, das ist etwas: aber dienen, daß einem hernach auf Gottes Erdboden keine Stunde mehr wohl ist, das ist etwas anders.
Vogt: Rede nicht so, Wüst! Du hast nichts ausgesagt, als was wahr ist.
Wüst: Du sagst freilich das immer: Aber immer ist mir in meinem Herzen, ich habe falsch geschworen.
Vogt: Das ist nicht wahr, Wüst! Es ist auf meine Seele nicht wahr. Du beschwurest nur, was dir vorgelesen wurde, und das war unverfänglich geschrieben. Ich habe dir's mehr als hundertmal vorgelesen, und du sahst es ein, wie ich, und sagtest mir allemal: Ja, dazu kann ich schwören! War das nicht ehrlich und geradezu? Was willst du jetzt mit deinem Hinten-nach-Grämen? Aber es ist dir nur um die Schuld; du denkest, wenn du so redest, ich warte dir noch länger.
Wüst: Nein, Vogt! Da irrest du. Wenn ich das Geld hätte, so würde ich es dir in diesem Augenblick hinwerfen, damit ich dich nicht wiedersehe; denn mein Herz klopft mir, so oft ich dich erblicke.
Du bist ein Narr, sagte der Vogt: aber auch ihm klopfte das Herz.
Wüst: Ich sah es auch lang an, wie du vorsagtest; aber es gefiel mir doch grad im Anfange nicht; daß es mich dünkte, der Junker habe so geredet, als ob er's anders verstanden hätte.
Vogt: Es geht dich ganz und gar nichts an, was der Junker mündlich geredet hat. Du schwurst nur auf den Zettel, den man dir vorlas.
Wüst: Aber er hat doch darauf geurteilt, wie er ihn mündlich verstanden hat.
Vogt: Wenn der Junker ein Narr war, so sehe er zu, was geht das dich an? Er hatte ja den Zettel vor sich. Und wenn er ihm nicht deutlich gewesen wäre, so hätte er ihn ja anders schreiben lassen können.
Wüst: Ich weiß wohl, daß du mir es allemal wieder ausreden kannst. Aber das macht mir nicht wohl im Herzen; und auf die Kommunion ist mir immer gar zu entsetzlich, daß ich versinken möchte. Vogt! Oh, daß ich dir nie schuldig gewesen wäre! Oh, daß ich dich nie gekannt hätte, oder daß ich gestorben wäre am Tage, ehe ich den Eid tat.
Vogt: Aber um Gottes willen, Wüst! Quäle dich nicht so; es ist Narrheit. Denke doch nur auch allen Umständen nach; wir gingen bedächtlich; in deiner Gegenwart fragte ich den Vicari, deutlich und klar: Muß dann der Wüst etwas anders beschwören, als im Zettel steht? Sagt es ihm doch, er versteht es nicht recht. Weißest du noch, was er geantwortet?
Wüst: Ja, aber dann ist's –
Vogt: Ha, er sagte doch mit ausdrücklichen Worten: Der
Wüst muß kein Haar mehr beschwören, als im Zettel steht. Sagte er nicht genau diese Worte?
Wüst: Ja, aber dann ist's, wann er das gesagt hat!
Vogt: Was aber dann ist's? Ist dir das auch nicht genug!
Wüst: Nein, Vogt! Ich will nur heraus reden, es muß doch sein. Der Vicari war dir schuldig, wie ich; und du weißest, was er für ein Held war, und wie er allen Huren nachzog. Es mag mich also wenig trösten, was so ein leichtsinniger Tropf zu mir sagte.
Vogt: Sein Leben geht dich nichts an; aber die Lehre verstand er doch: das weißest du.
Wüst: Nein, ich weiß das nicht: aber das weiß ich, daß er nichts taugte.
Vogt: Aber das geht dich nichts an.
Wüst: Ha, es ist mit dem so; wenn ich einen Menschen in einem Stück als sehr schlimm und gottlos kenne, so darf ich ihm in allem andern eben auch nicht viel Gutes zutrauen. Deshalben fürchte ich, der Taugenichts, dein Herr Vicari, habe mich eingeschläfert, und das würde mich denn doch so etwas angehen.
Vogt: Lasse diese Gedanken fahren, Wüst! Du schwurst auf nichts, als was wahr war.
Wüst: Ich dachte lang auch so: aber es ist aus; ich kann mein Herz nicht mehr betören. Der arme Rudi! Wo ich gehe und stehe, sehe ich ihn vor mir. Der arme Rudi! Wie er im Elend und Hunger und Mangel gegen mich zu Gott seufzet. Oh! oh seine Kinder, sie sterben, sind gelb, krumm und schwarz, wie Zigeuner. Sie waren schön und blüheten wie Engel, und mein Eid brachte sie um ihre Matte.
Vogt: Ich hatte recht, es war, wie ich sagte: und jetzt hat der Rudi Arbeit am Kirchbau, daß er auch wieder zurechtkommt.
Wüst: Was geht das mich an: Hätte ich nicht geschworen, mir würde gleichviel sein, ob der Rudi reich wäre, oder ein Bettler.
Vogt: Laß dich doch das nicht anfechten! Ich hatte recht.
Wüst: Nicht anfechten? - Ja, Vogt! Hätte ich ihm sein Haus erbrochen, und all sein Gut gestohlen, es würde mir noch besser zumute sein. Oh, Vogt! Daß ich das getan habe. Oh, oh! Es ist wieder bald heilige Zeit! Oh, wär ich doch tausend Klafter unter dem Boden!
Vogt: Um Gottes willen, Wüst! Tue doch nicht so auf der offenen Straße vor den Leuten, wenn's auch jemand hörte! Du plagest dich mit deiner Dummheit: Alles, was du schwurst, ist wahr!
Wüst: Dummheit hin, und Dummheit her. Hätte ich nicht geschworen, so hätte der Rudi noch seine Matte.
Vogt: Aber du hast sie ihm doch nicht abgesprochen, und mir hast du sie nicht zuerkannt? Was geht's also in's Teufels Namen zuletzt dich an, wem die Matte sei.
Wüst: Nichts geht's mich an, wem die Matten sei; aber daß ich falsch geschworen habe, das geht mich leider, Gott erbarm, an.
Vogt: Aber das ist nicht wahr, du hast nicht falsch geschworen; das, worauf du schwurst, war wahr.
Wüst: Aber das ist nur verdreht: Ich sagte dem Junker nicht, wie ich die Schrift verstand; und er verstande sie anders, du magst sagen, was du willst. Ich weiß! ich empfinde es in mir selber. Ich war ein Judas und ein Verräter; und mein Eid, Worte hin und Worte her, war Meineid.
Vogt: Du dauerst mich, Wüst! mit deinem Unverstand; aber du bist krank: Du siehst ja aus, wie wenn du aus dem Grabe kämest; und wenn's einem nicht wohl ist, so sieht man alles anders an, als es ist. Beruhige dich, Wüst! Komm mit mir heim, und trink ein Glas Wein mit mir!
Wüst: Ich mag nicht, Vogt! Mich erquickt nichts mehr auf Erden.
Vogt: Beruhige dich, Wüst! Schlag es doch jetzt aus dem Kopf, und vergiß es, bis du wieder gesund sein wirst. Du wirst dann wohl wieder sehen, daß ich recht habe: und ich will dir deine Handschrift zerreißen, es macht dich vielleicht auch ruhiger.
Wüst: Nein, Vogt! Behalte die Handschrift. Sollte ich vor Hunger mein Fleisch fressen, so werde ich dir die Schuld bezahlen. Ich will kein Blutgeld auf meine Seele. Hast du mich betrogen, hat mich der Vicari eingeschläfert, so wird vielleicht Gott noch mir verzeihen; ich meinte nicht, daß es so kommen würde.
Vogt: Nimm diese Handschrift, Wüst! Sieh, ich zerreiße sie vor deinen Augen, und ich nehme es auf mich, daß ich recht hatte. Sei doch ruhig!
Wüst: Nimm auf dich, was du willst, Vogt! Ich werde dir die Schuld zahlen. Übermorgen verkauf ich meinen Sonntagsrock, und werde dir die Schuld zahlen.
Vogt: Besinne dich eines Besseren, du irrest dich in Gottes Namen; aber ich muß einmal weiter.
Wüst: Gottlob! daß du gehst; bliebest du länger, ich würde außer mir selber kommen vor deinen Augen.
Vogt: Beruhige dich, Wüst, in Gottes Namen! Sie gingen jetzt voneinander.
Der Vogt aber, da er allein war, mußte, so sehr er auch nicht wollte, doch bei sich selber auch seufzen, und sagte: Daß mir jetzt auch das noch hat begegnen müssen; ich hatte doch heut sonst genug.
Er verhärtete sich aber bald wieder, und sagte dann weiter:. Der arme Schelm dauert mich, wie er sich plagt! Aber er hat nicht recht, es geht ihn nichts an, wie ihn der Richter verstanden hat. Der Teufel möchte Eide schwören, wenn man den Sinn so genau und so scharf herausklauben wollte. Ich weiß auch, wie andere Leute, und eben die, so das am besten verstehen müssen, den Eid nach ihren Auslegungen nehmen, und ruhig sind; wo ein jeder anderer armer Schelm, der wie der Wüst denkt, meinen müßte, er sähe mit seinen Augen sonnenklar daß sie ihn verdrehen; und doch wollte ich, ich hätte diese Gedanken jetzt aus dem Kopf, sie machen mich verdrießlich. Ich will zurück und ein Glas Wein trinken. So sagte er, und tat treulich, was er gesagt hatte.
23.
Ein Heuchler, und eine leidende Frau.
Er ging sodann zum Felix Kriecher. Das war ein Kerl, der immer umherging, wie die Geduld selbst, wenn sie im tiefsten Leiden schmachtet. Vor dem Scherer, dem Vogt und dem Müller, und vor einem jeden Fremden bückte er sich so tief als vor dem Pfarrer! und diesem ging er in alle Wochenpredigten und in alle Singstunden am Sonntag Abend. Dafür erhielt er aber auch, dann und wann, ein Glas Wein, und durfte er zuweilen, wenn er recht spät kam, und nahe genug zustand, auch zum Nachtessen bleiben. Mit den Pietisten im Dorf aber kam er nicht zurecht, ob er's gleich sorgfältig versuchte; denn er wollte um ihretwillen es mit den anderen auch nicht verderben. Und das geht bei den Pietisten nicht an; sie leiden's nicht an ihren Schülern, daß sie auf beiden Achseln tragen; und so ward er, trotz allem Anschein von Demut, trotz aller ausgelernten Heuchlerkunst, und trotz seines geistlichen Hochmuts, welches sonst alles bei den Pietisten gar wohl empfiehlt, ausgeschlossen.
Neben diesen äußerlichen und öffentlich bekannten Eigenschaften, hatte er auch noch einige andere, zwar nur zum stillen Gebrauch seines häuslichen Lebens; aber doch muß ich sie auch erzählen.
Er war mit seiner Frau und mit seinen Kindern ein Teufel. In der äußersten Armut wünschet er immer etwas Gutes zu essen: und wenn er's dann nicht hatte, so lag ihm alles nicht recht; bald waren die Kinder nicht recht gekämmt, bald nicht recht gewaschen, und so tausenderlei; und wenn er nichts fand zum Zanken, so sah ihn etwan das kleine Vierteljährige sauer an, dann gab er ihm tüchtig auf die kleinen Hände, daß es Respekt lerne.
Du bist ein Narr! sagte ihm einst bei einem solchen Anlasse die Frau: und sie hatte freilich Recht, und nicht mehr als die reine Wahrheit geredet; aber er stieß sie mit den Füßen; sie wollte entfliehn, und fiel unter der Türe zwei Löcher in den Kopf. Ob diesen Löchern ist der Nachbar erschrocken, denn er dachte weislich in seinem Sinn: der zerschlagene Kopf könne sein Leben ruchbar machen.
Und wie alle Heuchler im Schrecken sich biegen, und schmiegen und krümmen, so krümmte und schmiegte sich damals auch Kriecher; er bat die Frau auf seinen Knien, und um tausend Gotts willen, zwar nicht, daß sie es ihm verzeihe, sondern nur, daß sie es niemand sage.
Sie tat es, und litte geduldig die Schmerzen einer starken Verwundung, und sagte zum Scherer und zu den Nachbarn, sie sei von der Bühne gefallen; diese glaubten ihr zwar nicht alle, und ach! die gute Frau! sie hätte es vorher denken sollen. Kein Heuchler war je dankbar, kein Heuchler hält sein Wort, sie hätte ihm also nicht glauben sollen. Doch was sage ich! sie hatte das alles wohl gewußt, aber dabei an ihre Kinder gedacht, und empfunden, daß niemand als Gott sein Herz ändern könne, und daß also alles Gerede unter den Leuten umsonst sein würde; die brave Frau! Ach! daß sie nicht glücklicher ist - Oh! daß ihr Herz alle Tage Kränkungen von ihm leiden muß.
Sie schweigt und betet zu Gott, und dankt ihm für die Prüfungen der Leiden.
Oh Ewigkeit! wenn du einst enthüllest die Wege Gottes! und den Segen der Menschen, die Gott durch Leiden, Elend und Jammer, so in ihrem Innern Stärke, Geduld und Weisheit lehret. Oh Ewigkeit! wie wirst du die Geprüfte erhöhen, die du hier so erniedriget hast!
Kriecher hatte das Loch im Kopf vergessen, fast ehe als es wieder geheilet war, und er ist immer der gleiche. Er kränkt und plagt die Frau ohne Ursach und Anlaß, alle Tage, und er verbittert ihr das Leben. Eine Viertelstunde ehe der Vogt kam, hatte die Katze die Öllampe vom Ofen heruntergeworfen, und ein paar Tropfen gingen verloren. Du Laster! hättest du sie besser versorgt, sagte er mit seiner gewöhnten Wut zur Frau; du kannst jetzt im Finstern sitzen, und das Feuer mit Kuhkot anzünden, du Hornvieh!
Die Frau antwortete kein Wort; aber häufig flossen die Tränen von ihren Wangen, und die Kinder in allen Ecken weinten wie die Mutter.
Soeben klopfte der Vogt an.
Schweigt doch! um aller Liebe willen, schweigt doch! Was will's geben, der Vogt ist vor der Türe, sagt Kriecher; wischt den Kindern mit seinem Schnupftuch geschwind die Tränen vom Backen; droht ihnen; wenn eines nur noch muckst, so sehet zu, wie ich's zerhauen werde; öffnet dann dem Vogt die Türe, bückt sich, und fragt ihn: was habt ihr zu befehlen, Herr Untervogt? Der Vogt sagt ihm kurz den Bericht.
Kriecher aber, der bei der Türe die Ohren spitzt, und niemand mehr weinen hört, antwortet dem Vogt: kommt doch in die Stube, Herr Untervogt! ich will's doch auch geschwind meiner lieben Frau sagen, wie ein großes Glück mir widerfahre. Der Vogt geht mit ihm in die Stube, und Kriecher sagt seiner Frau:.
Der Herr Untervogt bringt mir eben die glückliche Botschaft, daß ich an dem Kirchbau Anteil habe, und das ist eine große Gnade, für die ich nicht genug danken kann.
Die Frau antwortet: Ich danke Gott! (Ein Seufzer entfährt ihr.
Vogt: Fehlt deiner Frau etwas?
Kriecher: Es ist ihr leider die Zeit her nicht gar wohl, Herr Untervogt!
Seitwärts blickt er zornig und drohend gegen die Frau.
Vogt: Ich muß wieder gehen. Gute Besserung, Frau.
Frau: Behüt euch Gott, Herr Untervogt!
Kriecher: Seid doch auch so gut und danket dem Gnädigen Herrn in meinem Namen für diese Gnade, wenn ich bitten darf, Herr Untervogt!
Vogt: Du kannst es selber tun.
Kriecher: Ihr habt auch Recht, Herr Untervogt! Es war unverschämt von mir, daß ich euch drum bat. Ich will nächster Tagen expreß ins Schloß gehn; es ist meine Schuldigkeit.
Vogt: Am Montag morgens gehen die anderen alle, und ich denke, du werdest wohl mitgehen können.
Kriecher: Natürlich, Herr Untervogt! Ja freilich. Ich wußte es nur nicht, daß sie auch gingen.
Vogt: Behüt euch Gott, Kriecher!
Kriecher: Ich sag euch schuldigen Dank, Herr Untervogt!
Vogt: Du hast mir nichts zu danken. (Er geht.) Und sagt im Gehn zu sich selbst: Wenn der nicht den Teufel im Schild führt, so treugt mich denn alles. Vielleicht wäre das ein Mann, wie ich einen brauchte gegen den Maurer; aber wer will einem Heuchler trauen. Ich will den Schabenmichel lieber, der ist geradezu ein Schelm.
24.
Ein reines, fröhliches und dankbares Herz.
Vom Kriecher weg kommt der Vogt zu Aebi, dem Jüngeren. Als dieser hörte, was ihm begegnete, jauchzte er vor Freuden, und sprang auf, wie ein junges Rind am ersten Frühlingstage auf der Weide aufspringt - Das will ich jetzt auch meiner Frau sagen, daß sie sich recht freue.
Ich warte bis morgen; es sind just morgen acht Jahre, daß sie mich nahm. Es war Josephstag, ich weiß es noch, wie wenn's gestern wäre. Wir haben seitdem manche saure, aber auch manche frohe Stunde gehabt. Gott sei Lob und Dank für alles. Aber ja morgen, so bald sie erwachen wird, will ich's ihr dann sagen - Wär's doch schon morgen! Es ist mir, ich sehe es jetzt schon, wie sie weinen und lachen wird durcheinander, und wie sie ihre Lieben und mich in ihrer Freude an's Herz drücken wird. Ach! wär's doch schon morgen! Ich töte das eine Huhn ihr zur Freude, und koch es, ohne daß sie's merkt, in der Suppe; es freut sie dann doch, wenn es sie schon reuet. Nein, ich mache mir kein Gewissen davor, es ist für diese Freude nicht Sünde - Ich tue es und töte es. Den ganzen Tag bleib ich daheim, und freue mich mit ihr und mit den Kindern - Nein, ich gehe mit ihr zur Kirche und zum Nachtmahl. Jauchzen und freuen wollen wir uns, und dem lieben Gott danken, daß er so gut ist - So redete der jüngere Aebi in der Freude seines Herzens über des Vogts gute Botschaft mit sich selber, und konnte vor Sehnsucht den Morgen fast nicht erleben, und tat dann, was er eben gesagt hatte.