Pestalozzi – ein Sokratiker? Eine hermeneutische Analyse im Kontext sokratischer Lehrart im 18. Jahrhundert.
Brocker, Ralf
Bad Heilbrunn 2024, 431 S.
Brocker hatte das Manuskript zur Einreichung seiner Dissertation fertiggestellt, aber durch seinen plötzlichen Tod kam es nicht zum Abschluss des Promotionsverfahrens bei Prof. Dr. Eva Matthes an der Universität Augsburg. Matthes begutachtete die Arbeit sehr positiv, besonders die Einordnung des Gesamtwerks Pestalozzis in die Rezeption der sokratischen Methode im 18. Jahrhundert. Sylvia Schütze lektorierte das Manuskript und bereitete es für den Druck vor.
Die sokratische Methode des Lernens ist am besten mit dem Wort „Mäeutik“ (griech. Hebammenkunst) zu umschreiben. Gemeint ist damit Erkenntnisgewinn bzw. Lernen nicht durch Dozieren zu erreichen, sondern durch geeignete Fragen zu ermöglichen, womit der Lernende veranlasst wird, Erkenntnisse selbst zu gewinnen. Die Gefahr dabei sind suggestive Fragen, die letztlich die Antworten vorwegnehmen.
Das Buch von Brocker geht der Frage nach, ob Pestalozzi ein sokratischer Pädagoge gewesen sei. Ralf Brocker (1958-2023) ist von seiner Lebensbiographie für diese Darstellung besonders geeignet, er war bereits in den 1990er Jahren an der Entwicklung der Pestalozzi-Gesamtausgabe auf CD-ROM beteiligt, das Thema Pestalozzi liess ihn seit dieser Zeit nicht mehr los. Später leitete er neben seiner beruflichen Tätigkeit regelmässig für die Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren e.V. die „Sokratischen Gespräche“ zu mathematischen und ethischen Themen. Das Buch beschreibt erstmals in der Pestalozzi-Rezeption in einer umfassenden und materialreichen Darstellung die Frage, ob Pestalozzi ein sokratischer Pädagoge gewesen sei in vier grossen Themenkomplexen.
Im ersten Themenkomplex „Die sokratische Methode in der Zeit der Aufklärung“ (S. 44-85) beschreibt der Autor, dass im ausgehenden 18. Jahrhundert Philosophen und Pädagogen das Denken von Sokrates (469-399 v. Chr.) neu entdecken und gezielt auf ihn Bezug nehmen. Die Aufklärung kann mit Recht als das pädagogische Jahrhundert bezeichnet werden, denn nun steht nicht mehr die direkte Weitergabe eines gesicherten Wissens im Vordergrund, sondern selbständiges Denken und verantwortungsbewusstes Handeln.
Im zweiten Themenkomplex „Rousseaus Ansätze zu einer mäeutischen Didaktik“ (S. 86-126) geht Brocker ausführlich auf Jean- Jacques Rousseau (1712-1778) ein, der das pädagogische Denken seiner Zeit ebenfalls stark beeinflusste. In seinem 1762 abgefassten Erziehungsroman „Émile ou De l‘éducation“ bezieht sich Rousseau zwar nicht direkt auf Sokrates, aber das von ihm postulierte Selbsttätigkeitsprinzip ist der mäeutischen Idee eng verbunden. Rousseau kannte über Platon die Gedanken des Sokrates wie aus seinen anderen Werken hervorgeht. Als Sokrates 399 v. Chr. wegen Verleugnung der staatlich anerkannten Götter und Verführung der Jugend vom Athener Rat zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, hatte er keine schriftlichen Texte hinterlassen, wir kennen seine Gedanken nur über die Werke seines Schülers Platon. Brocker kommt zu dem Schluss, dass Rousseau im engeren Sinn kein sokratischer Pädagoge gewesen ist und urteilt: „Seine Konzeption einer ‚negativen Erziehung‘ verfolgte jedoch – wie Sokrates – eine mäeutische Absicht. … In seinem Kampf gegen das Scheinwissen und gegen die ungeprüfte Übernahme tradierter Inhalte stimmt Rousseau in seiner Intention ebenso mit dem griechischen Weisen überein wie in der Förderung der Erkenntnisgewinnung durch eigenständiges kritisches Fragen und Nachdenken“ (S. 125).
Im dritten Themenkomplex „Philanthropische Pädagogik und sokratische Lehrart“ (S. 127-233) sieht der Autor mit Verweis auf Blankertz Anmerkung den Philanthropismus zentral für die deutsche Aufklärungspädagogik, die zugleich eine grosse Rousseau-Rezeption entfacht habe. Dafür steht das von Johann Heinrich Campe (1746-1818) initiierte 16bändige Werk „Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens von einer Gesellschaft praktischer Erzieher“ (1785-1792). Von den Ideen des Sokrates, der gerade in der Aufklärungsepoche als „Urvater“ der Philosophie wiederentdeckt wurde, werden die Vertreter des Philanthropismus letztlich nur gestreift. Vor allem gilt Johann Bernhard Basedow (1724-1790) als „Vordenker der philanthropischen Pädagogik“, er ist mit seinen Gedanken zur Reform des zeitgenössischen Erziehungs- und Unterrichtswesens und seinen zahlreichen Schriften der wohl einflussreichste Aufklärungspädagoge. Basedow habe sich zwar um die Aktivierung der Schüler verdient gemacht und habe den Schulalltag abwechslungsreicher gestaltet, aber der Unterricht sei „lehrerzentriert“ geblieben und habe dem Schüler wenig Eigenständigkeit ermöglicht. Nicht das selbständige, autonome Denken wird bewusst gefördert und damit bleibt Basedow hinter Rousseau und Sokrates zurück. Ernst Christian Trapp (1745-1818) gehörte zu den jüngeren Philanthropen, er entwickelte die Vorstellungen Basedows weiter, aber die sokratische Methode stellt auch er nicht in das Zentrum seiner didaktischen Überlegungen. Seine Unterrichtsmethode ist noch immer stark vom Lehrer geprägt, der Lehrer lenkt die Gedankengänge der Schüler, er aktiviert die Schüler und diese reagieren auf seine Anregungen. Seine konzeptuelle Offenheit stellt für die didaktische Diskussion der Zeit einen deutlichen Fortschritt dar, aber er löst den Anspruch der Mäeutik nicht voll ein, die sokratische Methode ist für ihn nur eine mögliche von vielen. Johann Stuve (1752-1793) und Philipp Julius Lieberkühn (1754-1788) gehören zur zweiten Generation der Aufklärungspädagogen, sie waren beide nie Lehrer am Basedowschen Philanthropinum in Dessau gewesen. Bei ihrer Zusammenarbeit bei der Reform der Lateinschule in Neuruppin stellen sie die sokratische Methode in den Mittelpunkt, sie sehen in Ihr eine besondere Bedeutung für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten und ein einzigartiges Instrument, die Schüler aufmerksam zu machen, aktiv am Unterricht zu beteiligen und sie zu eigenständigem Denken anzuregen. Die Anschaulichkeit der Unterrichtsgegenstände soll in einem indirekten Vorgehen zum schrittweisen Abstrahieren im Gespräch mit den Schülern führen (vgl. S. 167). Stuve und Lieberkühn schliessen sich dem „sokratischen“ Rousseau an, nicht den Lehrer in den Vordergrund zu stellen, sie brechen damit die Enge des katechetischen Unterrichts auf und setzen der instruierenden Wissensvermittlung ein lebendiges Lehr- und Lernverfahren entgegen. Auch wenn beide noch nicht bewusst einen partnerschaftlichen und ergebnisoffenen Dialog zwischen Lehrer und Schüler anstreben, so kann doch gesagt werden: „Stuve und Lieberkühn verdienen dennoch zweifellos, als Wegbereiter der sokratischen Methode gewürdigt zu werden“ (S. 184). Karl Friedrich Bahrdt (1740-1792) war von Hause aus Theologe, er war zu seiner Zeit äusserst umstritten, galt als „enfant terrible“ der Aufklärungstheologie und bekämpfte mit gewaltiger Sprachgewalt die dogmatisch-orthodoxe Theologie seiner Zeit. Nach seiner Berufung 1775 zum Leiter des Philanthropins in Schloss Marschlins in Graubünden durch den Schlossherrn Ulysses von Salis befasste er sich erstmals intensiv mit pädagogischen Fragen und verfasste 1776 seine pädagogische Hauptschrift: „Philanthropinischer Erziehungsplan oder vollständige Nachricht von dem ersten wirklichen Philanthropin zu Marschlins“. Diese Schrift fand wenig Beachtung, da Bahrdt nicht ernst genommen wurde. Seine Tätigkeit in Marschlins endete schon 1777 im Streit mit seinem anfänglichen Gönner und Auftragsgeber. In Marschlins wollte Bahrdt die sokratische Methode im Unterricht erproben, er wollte dies ebenfalls bei seinem Versuch in Heidesheim (heute ein Ortsteil von Ingelheim am Rhein in Rheinland-Pfalz) ein eigenes Philanthropin zu gründen. Auch hier sollte die sokratische Lehrart die zentrale Unterrichtsmethode werden, aber diese Gründung hatte nur kurz Bestand, so blieben seine sokratischen Ideen letztlich eine programmatische Forderung in seinem „Erziehungsplan“, ohne in der praktischen Anwendung erprobt zu werden. Verkürzt lässt sich zusammenfassend sagen: Die philanthropischen Pädagogen haben zwar viel für die Weiterentwicklung der Didaktik getan, aber für die Umsetzung der sokratischen Methode eher wenig. Bei Basedow, Campe und Salzmann finden sich im Unterricht allenfalls Lehr-Dialoge. Stuve und Lieberkühn kommen der sokratischen Methode in der Umsetzung am nächsten. Bei Bahrdt finden sich nur programmatische Aussagen, ohne ihre praktische Umsetzung. Rousseaus mäeutisches Prinzip beruht nicht auf der sokratischen Methode, sondern auf Selbstbildung und Selbsterfahrung mit einem in den Bildungsvorgang wenig eingreifenden Erzieher im Hintergrund.
Der vierte Themenkomplex „Johann Heinrich Pestalozzi – ein sokratischer Pädagoge?“ (S. 234-394) bildet den Kern dieser Veröffentlichung. Am Ende seiner Ausführungen kommt Brocker zu der Aussage, Pestalozzi sei ein sokratischer Pädagoge und formuliert: „Die Antwort auf die in dieser Arbeit gestellte Frage lautet: Pestalozzi ist ein sokratischer Pädagoge“ (S.394), aber bis zu dieser Antwort ist es ein längerer Weg. Brocker beginnt mit der Beschreibung, dass Pestalozzi als Pädagoge zeitlebens Armut und Not vor allem der Landbevölkerung zu lindern und die Kinder zu ertüchtigen suchte, ihren zukünftigen Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften. In seinem monumentalen Werk, heute in 31 Werkbänden (PSW 1-29) und 14 Briefbänden (PSB 1-14) verfügbar, hat Pestalozzi keine systematisch strukturierte Theorie hinterlassen, sondern ein vielschichtiges und facettenreiches Bild seiner Gedankenwelt. Er hat lebenslang um Formulierungen gerungen und hat Erahntes versucht zu beschreiben. Zur sokratischen Lehrart bzw. Methode finden sich nur wenige Textstellen, am häufigsten verwendet er den Begriff „Sokratisieren“. In seiner Schrift „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ und in der Auseinandersetzung mit seinem Mitarbeiter Krüsi Anmerkung wird deutlich, dass Pestalozzi die sokratische Methode durchaus kannte, aber: „In der frühen Kindheit und den ersten Schuljahren sollen die Kinder zuerst und vor allem ihre Umgebung erkunden und die Dinge, die ihnen dort begegnen, die Gegenstände der häuslichen Umwelt, kennen und benennen lernen, sie genau beobachten und sich mit ihnen bekannt und vertraut machen, um vielfältiges und gründliches Erfahrungswissen als Voraussetzung für jegliches Sokratisieren aufzubauen“ (S. 251). Das Sokratisieren kann damit erst der zweite Schritt sein, der auf vorhandenen Kenntnissen und Erfahrungen aufbaut. Nach Pestalozzi muss die Anschauung das Fundament aller Erkenntnis sein, nicht das Katechisieren, nicht der reine Wortunterricht. Das Katechisieren ist eine Frage- und Antwortform, bei der die Antwort bereits vorgegeben ist, beim Sokratisieren dagegen ist die Antwort nicht vorgegeben, sie wird dem Schüler nicht in den Mund gelegt, der Schüler soll die Antwort selbst finden. Brocker untersucht sodann die Art des Fragens in einzelnen Werken Pestalozzis. Während seiner Zeit als Leiter der Armenanstalt auf dem Neuhof ist zu vermuten, dass Frage- und Dialogformen bei der Aktivierung der Kinder eine wichtige Rolle gespielt haben. In dem Manuskript „Die Kinderlehre der Wohnstube“ von 1781 und deutlicher in „Christoph und Else“ von 1782 sind die Fragen zugleich Aufforderung zum weiteren Suchen, damit rückt Pestalozzi in „Christoph und Else“ deutlich vom Katechisieren ab. In den Elementarbüchern von 1803/04 arbeitet Pestalozzi mit Fragen und Antworten, aber in diesen Werken dominiert meist noch der katechetische Gebrauch der Fragen, da bei den Kindern/Schülern erst wenige Kenntnisse vorausgesetzt werden können. In Verbindung mit Anschauung sollen die Fragen zur Kraftbildung der Kinder führen, Brocker verdeutlicht dies an zahlreichen Textbeispielen (vgl. S. 275-305). Im Stanser Brief von 1799 Anmerkung finden sich weitere sokratische Elemente, um das Lernen zu fördern. Pestalozzi setzt hier das Element der Frage als didaktisches Mittel sehr oft zum Mitgestalten der Bildung ein. Denken kann nicht durch eingetrichtertes Wissen erreicht werden, für Pestalozzi gilt die Grundidee, dass jeder Mensch von Geburt an über ein Potential an Kräften und Talenten verfügt, das geweckt, entfaltet und entwickelt werden muss, das aber auch missbildet werden kann. Äusserst wichtig ist für Pestalozzi das Fördern und Stärken der Denkkraft, was allerdings nicht ohne inhaltliche Stimulanz möglich ist. Es sind die Unterrichtsgegenstände mit denen sich die Schüler selbständig auseinandersetzen müssen, sie benötigen dafür aber Stoff für ihre Selbsttätigkeit. In Pestalozzis „Methode“ geht es nicht darum durch Belohnung und Strafe zu lernen, sondern um Anregungen zur Selbsttätigkeit der Schüler und damit zum selbständigen Problemlösen zu geben. Brocker beschreibt es als Hauptgrundsatz der Methode, das zu fördern, was wir heute „intrinsische Motivation“ nennen (vgl. S. 344). Für Brocker ist bei Pestalozzi der Ansatz mäeutisch, d.h. man kann nichts im Schüler erzeugen, was nicht schon von Geburt als mögliche Kraft in ihm angelegt ist. Es gilt, das vorhandene Potential der Schüler zu aktivieren und zur Entfaltung zu bringen. Das Kind ist keine „tabula rasa“, das mit Inhalt angefüllt werden muss. In den zentralen Unterkapiteln „5.6 Hineinlegen oder Herausholen – wie mäeutisch ist der Ansatz von Pestalozzi?“ (S. 356-380) und „5.7 Der ‚sokratische Geist‘ der ‚Methode‘ Pestalozzis – durch Selbsttätigkeit zur Selbständigkeit“ (S. 380-392) arbeitet Brocker heraus, dass Pestalozzis Weg zur Selbständigkeit nur über die Selbsttätigkeit führen kann: „Pestalozzi will - wie Sokrates - einen selbständig denkenden und verantwortlich handelnden Menschen bilden, eine autonome Persönlichkeit, die nicht leicht von anderen beeinflusst oder fremdgesteuert werden kann, sondern nur eigenen vernünftig geprüften Überzeugungen folgt“ (S. 393).
Mit seinem Buch leistet Brocker eine überzeugende Auseinandersetzung mit der Frage, ob Pestalozzi ein sokratischer Pädagoge ist. Allerdings war es ein langer Weg bis zur positiven Beantwortung der Frage nach dem sokratischen Pädagogen Pestalozzi. In dessen umfangreichem und vielschichtigem Werk finden sich zahlreiche soziale, politische und anthropologische Werke und Aussagen, bei denen sich nicht die Frage nach dem sokratischen Pädagogen stellt. In seinen pädagogischen Werken bekennt sich Pestalozzi nicht direkt als sokratischer Pädagoge, folglich ist eine Antwort nur indirekt möglich. Sokratischer Unterricht ist für Pestalozzi nur denkbar, wenn ausreichende Sach- und Sprachkenntnisse der Kinder/Schüler bereits vorhanden sind. In diesem Fall kommt Pestalozzis Unterrichtsideal dann allerdings der Intention des sokratischen Unterrichts sehr nahe: Pestalozzi fordert die Abkehr von der Paukschule, von der belehrenden Unterweisung, er hat dabei eine eindeutige mäeutische Intention: „Weil Wissen und Erkenntnisse nicht einfach von einem Menschen auf einen anderen übertragen werden können, um sie auch diesem zugänglich und nutzbar zu machen, gibt es für Pestalozzi keinen anderen ‚natürlichen‘ Weg als dazu anzuleiten, Wissen und Erkenntnis selbst auszubilden.“ (S. 403). Der Mensch ist nach Pestalozzis Ansicht letztlich das „Werk seiner selbst“ Anmerkung . Der Lehrer darf nicht dogmatisch Informationen weitergeben, er soll im sokratischen Geist Denkanstösse, Impulse und Anreize geben, damit die Schüler selbst Antworten suchen und sich in der Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand selbst bilden. Erziehung soll immer zum Selbstdenken, zur Lebenstüchtigkeit und letztlich zur Mündigkeit führen. Die individuelle Kraft soll im Schüler geweckt und entfaltet werden: „Die Stärkung der Denkkraft seiner Schüler durch Selbsttätigkeit ist Pestalozzis zentrales pädagogisches Anliegen und ist auch ein Kernziel der sokratischen Methode“ (S. 406). Brocker kommt am Ende seiner Ausführungen zu dem Schluss: „Pestalozzi war und ist kein Sokratiker, keiner, der die sokratische Methode ausdrücklich praktiziert oder gefördert hat. Er war aber auch kein Gegner, der dieses Verfahren und seine Ideen ablehnte oder gar bekämpfte. Er hat das ‚Gute‘ dieser Lehrart in seine Pädagogik ‚hineindiffundieren‘ lassen, hat ihre mäeutische Intention und ihr Ziel, junge Menschen zu geistiger Autonomie zu führen, geteilt auch das Fragenstellen, um Selbstdenken in Gang zu setzen, in seine Didaktik aufgenommen. Insofern zeigt seine Methode der Menschenbildung sokratische Züge. Pestalozzi ist zwar kein Sokratiker, aber man kann ihn auf der Basis der Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung mit Recht einen sokratischen Pädagogen nennen." (S. 412f).
Die Veröffentlichung von Brocker setzt sich erstmals in der Pestalozzi-Literatur mit der Frage auseinander, ob Pestalozzi ein sokratischer Pädagoge war. Der Autor hat in seiner Arbeit überzeugend dargelegt, dass die sokratische Methode das Bildungsziel, einen mündigen und selbständigen Menschen durch Selbsttätigkeit zu erreichen, bei Pestalozzi im Vordergrund aller seiner Erziehungsvorstellungen steht. Damit ist Pestalozzi nach wie vor aktuell und mit Recht ein bedeutender pädagogischer Klassiker. Aus der Darstellung des sokratischen Vorgehens gibt es zusätzlich wichtige Anregungen für den heutigen Unterricht: Nicht Wissen dogmatisch und belehrend weitergeben, sondern durch sokratisches Vorgehen, den Schüler selbst durch seine eigene Selbsttätigkeit das Bildungsziel erreichen zu lassen. .
Gerhard Kuhlemann