Pädagogisches Denken im Zusammenhang der Französischen Revolution
Kurt Beutler
In: Päd. Extra und Demokratische Erziehung November / Dezember 1989, S. 42 - 49
SW: Französische Revolution ; pädagogisches Denken
Die Französische Revolution stellte nicht nur das politische Herrschaftssystem auf eine neue Grundlage, sondern löste auch pädagogische Aktivitäten aus. Rousseaus Einfluß auf die Revolution wird beschrieben. Campe und W. v. Humboldt werden als zwei Intellektuelle vorgestellt, die eine Reise nach Paris machten und als erste Pädagogen die Französische Revolution zu ihrem eigenen Bildungserlebnis machten. Pestalozzi wird als "radikaler Sympathisant der Revolution" (S. 44) vorgestellt, er war unter den achtzehn Ausländern, denen die Französische Nationalversammlung am 17. August 1792 das Ehrenbürgerrecht verlieh. Pestalozzi wird von Beutler als ein engagierter Befürworter der Revolution vorgestellt. Zwar kritisierte Pestalozzi gewisse Verfehlungen der Revolution, hieß sie aber als Ganzes gut. 1793 schrieb er seine große Abhandlung "Ja oder Nein?" über die Französische Revolution. Er hatte seine Auffassung von einem aufgeklärten Absolutismus aufgegeben, denn die Machthaber würden auf Appelle allein nicht reagieren. Pestalozzi wies nicht nur die Gegner der Revolution, sondern auch die Liberalen zurück und erinnerte daran, daß der König für seine Vergangenheit selbst verantwortlich sei. Pestalozzi radikalisierte damit sein Denken parallel zur Revolution. Beutler glaubt sogar, daß Pestalozzis Position 1793/94 jakobinisch gewesen ist. Es sei ein Irrtum, ihn als frommen Obrigkeitsideologen zu sehen. "Als Pädagoge sah er die Bedürftigkeit des Individuums, aber er erkannte zugleich, daß die erzieherischen Bemühungen nicht ausreichten, um den oft jämmerlichen Zustand zu ändern." (S. 45). Nach Pestalozzis Meinung konnte man den einzelnen Menschen nur bessern, wenn man auch die sozialen Verhältnisse veränderte. Seine Perspektive ging gleichzeitig auf das Individuum und auf die Gesellschaft und er hat in Pädagogik und Politik die je andere Seite desselben Problems mitbedacht. Beutler urteilt abschließend: "Unter den Klassikern der Pädagogik erwies sich Pestalozzi im deutschen Sprachraum neben Johann Gottlieb Fichte ... als der einzige, der die Französische Revolution bis hin zur Sansculotterie bejahte." (S. 45). Nach der Beschreibung Pestalozzis werden Bildungskonzepte der Revolution vorgestellt. Drei Erziehungsprogramme, die maßgebliche Bedeutung erlangt haben, werden näher beschreiben: die von Mirabeau, Condorcet und Lepeletier. Mirabeau plädierte für einen weitgehenden Verzicht des Staates auf Bildungspolitik. Unterricht ist für ihn eine Veranstaltung des "Marktes". Condorcet plädierte für die Gleichheit der Bildungschancen. Es genüge nicht, eine formale Gleichheit vor dem Gesetz zu garantieren, sondern es bedürfe auch der tatsächlichen ökonomisch gesicherten Gleichheit. Lepeletier schließlich war für einen "lückenlosen" Erziehungsplan. Er plädierte für eine vom Elternhaus getrennte Staatserziehung in Internatsform. Der Staat sollte die Bildung finanzieren durch eine spürbare Besteuerung der besitzenden Klassen.
(FR)