"Lernen als Wortsach. Johann Heinrich Pestalozzis Schwierigkeiten mit der Sprache"

Christiaan L. Hart-Nibbrig

In: Schweizer Monatshefte für Politik, Wirtschaft und Kultur, 60. Jg., H.9, Zürich 1980, S. 763-774
SW: Sprache ; Lernen

Der Artikel beschreibt Pestalozzis Probleme mit der Sprache bzw. seine Auffassung von Sprache. „Das Problem der Sprache als eines fragwürdigen Vehikels der pädagogischen Wertevermittlung hat ihn sein Leben lang beunruhigt." Pestalozzi kritisiert das „tausendfache Gewirre von Wortlehren und Meinungen.". Hart-Nibbrig beschreibt, „wie Pestalozzi die Sprache kritisiert und die „vorsprachliche Sozialisation" feiert. (S. 764). „Einsicht in die Bedürfnisnatur des Menschen, der durch einen grundsätzlichen „Mangel" auf die „Bahn" seiner natürlichen Entwicklung gebracht wird, ist zugleich deren Befriedigung." (S. 763). Pestalozzi suchte die „Vereinigungswahrheit" „diesseits der ständischen Zersplitterung des Menschseins." Der Mensch ist das, was er im sozialen Umfeld seiner Bedürfnisnatur wegen in bezug ist auf das, „was er bedarf.." Er beschreibt, daß der Gedanke der „Vereinigungswahrheit" auch Pestalozzis Fabelsammlung zusammenhält. Pesalozzi stellt ein Cicero-Motto voran: „Niemand ist sich selbst so ähnlich, wie es alle untereinander sind. Deshalb ist die Natur irgendeines Menschen für alle gültig." Die „Einfalt" der Fabeln dient der Absicht, „dem Volk... einige ihm wichtige Wahrheiten auf eine Art zu sagen, die ihm in Kopf und ans Herz gehen sollte." Pestalozzi knüpft an die vorhandenen Bedürfnisse des Lesers an. Der Leser soll darüber nachdenken, was dem Sachverhalt fehlt und darüber hinausdenken. Pestalzzi meint, daß wenn der Leser nichts hinzudenkt, ihm die Einfalt der Fabeln unerträglich wäre. Pestalozzis Text über die beschränkten Ansichten wird dargestellt. „Die vorgeführte nichtmenschliche Pespektive" wird „als verzerrte menschliche für den Leser zum Anlaß, die Korrektur hinzuzudenken....". Der Artikel zeigt an einer Fabel, daß nur in der Korrektur menschlicher Verzerrung ein „mögliches Menschenmaß erscheint" (S. 766). „Daß partielle Wahrheit Rechthaberei bleibt, solange sich der Streit der Meinungen nicht von einer übergeordneten, nämlich menschlichen Position aus durchschauen und schlichten läßt, zeigen die vielen Texte, die ein unversöhnliches „und" im Titel haben..." Der Text zeigt, daß partielle Wahrheit Rechthaberei bleibt, „solange sich der Streit der Meinungen nicht von einer übergeordneten ... Position aus durchschauen und schlichten läßt..."(S. 766). Die „Vereinigungswahrheit" ist nicht darstellbar. Das bewahrt sie davor, als Ideologem zu gerinnen (und regt den Leser an, sie hinzuzudenken). Er zeigt Texte, die zeigen, daß die „Vereinigungswahrheit" nicht darstellbar ist und daß sie der Leser hinzudenken muß. „Die Wahrheit der Fabel „läßt sich nicht dingfest machen." (S. 767). Wo Pestalozzi versucht, die Fabelwahrheit sprachlich zu verfestigen, „verdirbt er sich das Beste". Pestaozzi behandelt auch das Problem sprachlicher Verhärtung. („Das Sprechen, bei dem sich der Sprechende nichts mehr denkt... verfestigt sich zum zitierbaren Sprichwort." (S. 768).) Andererseits vertraut Pestalozzi auch „auf die Kraft sprachlicher Verflüssigung erstarrter Verhältnisse"(S. 768), wie ein Gegenbeispiel zeigt. („Der demonstrierte Satz ... gilt, weil er anschaulich bewiesen wird." Im Text über die Beziehung ändert sich eben die Beziehung.") „Lernen als Wortsach... löst... das Sprechen ab von den Sprchenden. Wenn es dabei um die Vermittlung von Werten geht, werden sie aus dem Erfahrungsbereich der Sprecher hinaus in die Sprache hinein verlegt. Die erzieherische Bezugsperson soll dem Wollen zum Guten Bahn brechen und ihm zur eigenen Sprache verhelfen. Tiefer als durch Sprache greift der Erzieher ein. „Aber dieser Wille wird nicht durch Worte", sondern auf der Basis des Zutrauens der Versorgung des Kindes erzeigt... „Sie zielt, gegen alle bloß verbale Vermittlung von Werten und Gesinnung, auf „die Attitüde eines tugendhaften Lebens, aus der... die Fähigkeit zu sittlichem Verhalten in konkreten Lebenssituationen von selber hervorgehen sollte."

(FR)