Gedanken zu Pestalozzis Anschauungsbegriff

Arthur Brühlmeier

In: Schweizer Schule, 68(1988), 3, S. 193-201
SW: Anschauung

Brühlmeier beginnt mit einem Pestalozzi-Zitat: "Sprache ohne Anschauung ist nicht denkbar, Anschauung in der Natur ohne Sprache nicht fruchtbar, und Anschauung und Sprache ohne Liebe führt in der Natur nicht zu dem, was die Ausbildung unseres Geschlechts menschlich macht." (S. 193).

Brühlmeier sagt, daß Pestalozzi eine "radikale Umkehr angesichts der damaligen pädagogischen Situation in Familie und Schule forderte und in seinen eigenen Erziehungsunternehmungen vollzog." (S. 193). Er zeigt dies an einer Szene, die sich an der Schule in Burgdorf, an der Pestalozzi unterrichtete, abspielte. Während der andere Lehrer „seine Schüler für sie schwer oder unverständliche Texte auswendig lernen ließ, führte Pestalozzi seine Schüler an die Wand, ließ sie diese betrachten ... und die Sätze sprechen: "Ich sehe ein Loch in der Tapete. ... Hinter dem Loche sehe ich die Mauer... ". (S. 193). "Für Pestalozzi war unumstößliche Gewißheit, daß die Anschauung 'das absolute Fundament aller Erkenntnis' ... sei." (S. 193)."Der vorliegende Aufsatz ... zielt ... auf die Praxis ab und geht der Frage nach, welche zentralen und für die Schulpraxis nach wie vor bedeutsamen Anliegen Pestalozzi hinsichtlich der Anschauungsproblematik vertreten hat." (S. 193). Der Autor zeigt, daß Pestalozzi "kein Sprechen ohne tragende Begriffe" (S. 193) wollte. Zuerst sollten Begriffe gebildet werden, an den Dingen selbst, dann erst sollten die Schüler darüber sprechen. Die Schüler sollten "hin zu den Dingen mit allen Sinnen" (S 195). Der Autor meint, Pestalozzi würde sich über vieles, was die Lehrmittelindustrie heute bereitstellt, freuen, aber nicht über alles. Es gelte heute, vom Papierunterricht wegzukommen, "das Schulzimmer als lebendigen Erfahrungsraum zu gestalten.", der Stoffhuberei zu entsagen und Zeit zum Verweilen zu haben. Dem Lehrer sollte es "ein Bedürfnis sein, seine eigene Welt in der direkten sinnlichen Auseinandersetzung zu erfahren und zu durchdringen." (S. 195). Die "Verbindung von Anschauung und Sprache" (S. 195) sei wichtig. "Sinnliche Begegnung mit einem Gegenstand bleibt ... ein blosses Anstarren, wenn der Eindruck nicht zugleich sprachlich bewältigt wird." (S. 195). Der Sachunterricht solle den Schülern genügend Zeit geben, das sinnlich Wahrgenommene auch sprachlich zu bewältigen. Auch der Sprachunterricht solle nicht vom sachlichen Interesse losgelöst sein. Unter der Überschrift „Erfassung des Wesentlichen" sagt der Autor, daß das Kind bei der Begriffsbildung die Mithilfe der Erzieher brauche. Der Lehrer müsse das Wesen einer Sache verdeutlichen. Pestalozzi wende sich dagegen, „wenn man das Kind zu früh zum Urteilen provoziert" (S. 197). Der Schüler solle eine Sache mit allen Sinnen erleben. Die Sache solle nicht nur sprachlich und gedanklich verarbeitet, sondern es sollten auch sittliche und ästhetisch Gefühle geweckt werden. Der Autor beschreibt die innere Anschauung des sittlichen und religiösen Lebens. Er plädiert für eine Verbindung von „äußerer und innerer Anschauung" (vgl. S. 200). Pestalozzi fordere die „Verbindung von Anschauung, Sprache und Liebe" (S. 200). Er gibt Hinweise für die heutige Zeit.

Der Aufsatz enthält Literaturangaben.

(FR)