Ein Schweizer-Blatt, 1782
Der Bauernschuhmacher
PSW 8, S. 318-322 / 324-328
Die folgende kurze Geschichte über den "Bauernschuhmacher" erscheint einfach und schmucklos, enthält aber die grundlegenden Gedanken von Pestalozzis Sozialpolitik. Er zeigt hier an einem konkreten Beispiel, was er meint, wenn er in theoretischen Schriften von einem "beruhigten, häuslichen Leben" von "häuslichen Tugenden" von "Selbstsorge" vom "Segen der Wohnstube" und vom"Benutzen der ärmlichen Lebensverhältnisse für die Bildung zur Sittlichkeit" spricht. Der Bauernschuhmacher und seine Frau sind "zur Armut auferzogene Menschen'. Sie sind im Rahmen des gesellschaftlichen Zustandes selbständig und darum frei: Sie können sich unbedrängt durch Staat und destruktive ökonomische Bedingungen aus eigener Kraft aus ärmlichen Verhältnissen herausarbeiten und können auch einen beruhigenden Wohlstand geniessen, frei von Anmassungen, Verschwendungssucht und unersättlicher Gier nach einem Reichtum, welcher über die Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse hinausgeht. Handwerk und landwirtschaftliche Arbeit sollen in ein massvolles Gleichgewicht gebracht werden. Nicht rascher Reichtum macht den Menschen glücklich, sondern langsamer, stetiger Erwerb in geordneten und von gegenseitiger Liebe geprägten, einfachen Verhältnissen. Die Grundlage des Wohlstands ist darum stets die Arbeit und nicht der riskante Handel, getragen vom Liebäugeln auf schnelle Gewinne. Alles soll das richtige Mass haben. Auch ein massvoller Luxus hat seinen Platz, da er dem Tätigen Arbeit verschafft. Die Menschen sind fröhlich und heiter, die Kinder spielen, und die Erwachsenen singen, aber sie sind nicht mutwillig und ausgelassen, sondern erfüllt von stillem Ernst und wahrer innerer Freude. Auch das Schöne die Verzierungen an Haus und Fuhrwerk soll seinen Platz haben, aber niemals das Praktische überwuchern oder zu einem eiteln und anmassenden Prunk ausarten. Das Alte soll sich mit dem Neuen verbinden, das Neue soll sich stetig ans Alte anschliessen und dieses bewahren. Im täglichen Leben sollen Frömmigkeit und Arbeit eine Einheit bilden: Darum stehen die Bibel und das Gebetbuch neben dem Produkt der Arbeit. Und im Zentrum dieses Lebensglücks steht die Wohnstube. Das Ehepaar weiss um den Segen der Wohnstube und hält sie daher in Ehren. Sie muss nicht prunkvoll sein, sondern sauber, geordnet, einfach, von Arbeit und Liebe und tiefem Glauben erfüllt.
Der Bauernschuhmacher
Leser! Lass mich heute von jemand mit dir reden, den ich nicht kenne, und dich den Charakter eines Mannes vermuten machen, den ich mir nur an den Veränderungen, die er an seinen Fenstern, an seinem Hausdach und an seiner Gartentür vorgenommen, abstrahiert.
Ich muss dir dabei sagen, Leser, ich meine, es ist die beste Manier, die Menschen kennenzulernen, gar nicht nachzusehen, wer sie sind, sondern nur, was sie tun, und gar nicht sehr aufzumerken, was sie reden, sondern lieber zu sehen, wie früh sie aufstehen und wie spät sie niedergehen und was sie den Tag über auf ihren Tisch stellen, und überhaupt gar nicht urteilen zu wollen, was sie sind, als nur aus dem, was man eigentlich gesehen, was sie gemacht haben.
So würden zwar freilich die Lebensbeschreibungen der Menschen etwas kürzer werden, aber man würde sie dann auch brauchen können; jetzt dienen sie uns nur zur Kurzweil, wie die Gespenstergeschichten unserer Grossväter und die Lebensbeschreibungen der Heiligen unseren Ahnen.
Der Mann, von dem ich rede, macht zwar freilich gar keine Ansprache (= Anspruch), jemals also zu unserer Kurzweil und zu unserem Spielwerk zu werden, und auf der anderen Seite weiss ich auch nicht, wie du es aufnehmen wirst, Leser, wenn ich dir mit ihm auftische, denn es ist nur ein Bauernschuhmacher, und seine ganze Grösse besteht in dem schönen Stiefel, den er auf seinem neuen Schornstein zu oberst auf dem Dach hat abmalen lassen.
Dieser Stiefel ist für ihn das Bild der Vollendung seines Ziels und der Glanz seiner Laufbahn, und er muss ihn erquicken, der Stiefel oben am Dach, weit mehr als alle Triumphbögen die Sieger der Erde erquicken, die fast immer nur über sie lügen.
Dieser Stiefel leugnet über meinen Mann kein Haar, und er darf an ihn glauben wie kaum einer dem anderen an das Gekritzel und Gekratze, das auf den grossen Bögen, die man ihnen macht, geschrieben steht, glauben darf.
Aber ich greife vor und fange meine Lobrede just so an, wie wenn ich jemand unter den Händen hätte, von dem ich nicht in aller Einfalt geradezu sagen könnte, was ich von ihm zu sagen habe.
In meiner Nachbarschaft, oben an der ersten Gasse eines Dorfes, nahe bei der Kirche steht ein Haus, vor 15 Jahren war es ein Häuschen, klein und alt. Kaum war sein Dach noch gut; seine Fenster waren mürb, im oberen Gaden waren gar keine; Scheiben fehlten die Menge, und vor den Öffnungen war Papier mit Schuhmacherharz angeklebt; die Türe des Hauses war faul, und die Fensterläden drohten von ihren Klöben in die Strasse herunterzufallen. Einmal im Sommer war das Fenster offen, da sah ich einen Mann an seinem Werktisch sitzen; er sass da, so einsam und fleissig, und nähte mit starken nervigen Armen und hinter die Ellenbogen zurückgestutztem Hemd seine Schuhe so eifrig und streng, daß ich eine Weile stillstand und nach ihm blickte; er sah mich nicht, denn er sass einwärts gekehrt gegen seine Stube.
So mutig als er mit einem Draht auszog, so heiter sang er, und wenn er mit dem Hammer schlug, pfiff er nach dem Takt.
Etwa der zehnte Teil einer Haut Sohlenleder und etwas weniges Kalbfell lag ordentlich zusammengelegt auf der Bank, viele alte Schuhe standen in einer Reihe beim Ofen, ein oder zwei Paar neue standen neben dem Betbuch und der Bibel an der Seite des Mannes auf einem kleinen Gesims; sonst war nichts in der Stube als noch einiges wenige Werkzeug, aber auch kein Staub und kein Kot war auf dem Boden, er war fast so reinlich und sauber als der Tisch. Nicht der geringste Abgang vom Leder lag zerstreut, er hatte auf dem Tisch und in der Stube seinen ordentlichen Platz Das Waschbecken des Leders war im dunkelsten Winkel, und um daßelbe her war kein Gefletz von Wasser.
Nach einer Weile kam ein Weib in die Stube, armmütig gekleidet, aber gesund und reinlich, ihre Miene war mehr bedächtlich und ernsthaft als fröhlich, dennoch lächelte sie mit der Platte Speise, die sie in der Hand hatte, gegen ihren Mann. Dieser erwiderte ihr das Lächeln mit dem Nicken seines Kopfes, so gut und so stark, daß ihm seine Kappe fast abfiel, dann legte er seine Schuhe beiseite, stand auf und setzte sich beim Tisch auf eine Seite, daß ich weiter musste, damit er nicht frage, was ich da wolle.
"Das sind arme Leute, aber sie sind in der Ordnung, und es ist ihnen nicht übel" - das ist alles, was ich beim Weggehen dachte. Es ist freilich recht wenig, und es dünkt mich jetzt selber schlecht, daß ich nicht mehr dabei dachte; so ein Städter, der allenthalben zuguckt, wo er etwas sieht, sollte wohl hundertmal mehr dabei denken, wenn er so eine Stube sieht, die auf unserem Erdboden immer seltener und bald so rar werden als die Sachen, die man in den Kabinetten in gläsernen Kästen versorgt und wohl und gut unter dem Schlüssel hält, damit sie von den weisen Herren, die da kommen, sie anzuschauen, keiner wegstähle.
Dennoch blickte ich in Zukunft, wenn ich neben dem Haus vorbeiging, immer gegen daßelbe; ich fand zwar das Fenster lange, lange nicht mehr offen, ich sah aber von aussen, wie der Mann zu dem Seinen Sorge trug; er band die Läden, die hinunterfallen wollten, zuerst nur mit Stricken fest, er fügte Stückchen Holz zwischen die Löcher, die an der faulen Tür, am Dach, und an den Fensterläden waren; in seinem Garten stand schönes Kraut, und seine Beete waren wohl gehackt und gedüngt, das ist aber auch alles, was ich bei Jahr und Tag sah. Ein Jahr darauf kam ein neuer Laden und ein neues Fenster in die Stube; die anderen blieben noch ein Jahr, wie sie waren, dann kamen sie auch weg; noch später kam es an die Haustüre und an den Gartenzaun, und alle Jahr gab's auch etwas Neues im Garten, und mit der neuen Haustüre kamen jetzt auch Blumengeschirr unter die Fenster, und ringsum wurden Reben gepflanzt, die einst eine Laube um das Haus bilden würden.
Vom Anfang an, von dem ersten Nagel, den er an die faulen Läden schlug, machte er jedes einzelne Stück, das er besserte, völlig recht und ganz, und das Fenster des ersten Jahrs war so dauerhaft und gut und denen völlig gleich, die er vier Jahre danach machte.
So lang ging's, bis ich wieder in seine Stube hineingucken konnte, da aber traf sich's, daß wieder ein Fenster offen stand; ich staunte, so war alles so neu, und doch alles Alte noch da, an gleichem Ort stand noch Bibel und Betbuch, am gleichen Ort die neuen und die alten Schuhe, am gleichen Ort Pfriem und Alsen, an gleichem Ort das Sohlenleder und Kalbfell und die Abschnitte, aber alles war jetzt zehnmal mehr; ich sah einen Vorrat von Leder aufgehäuft in der Nebenstube wie bei einem Gerber, drei Gesellen schafften und sangen jetzt mit dem Meister, und der neuen Schuhen waren's jetzt die Menge, und allerlei grosse und kleine, schwarze und halbrote, und dann bunte Weiberschuhe von allen Farben und Stiefel, gewichste und trockne, auch von allerlei Art. - Zinnerne Teller und Kannen standen glänzend hell auf den Gesimsen der vollen Wände, ebenso glänzte ein kupfernes Handbecken, an seiner Seite hing ein starkes reinliches aber ungebleichtes Handtuch, in der Mitte der Stube ein Kind, Wonne lächelnd und heiter und schön wie ein Engel und wach und spielend und froh, wie das Kätzchen, das neben ihm mit dem Band seiner Wiege spielte.
Seine Mutter sass ihm zur Seite, sie schien mir völlig die gleiche bedächtliche ernsthafte junge Frau wie vor vier Jahren, aber jetzt war's von Sorgen befreite gleichmütige Heiterkeit, was vormals noch stille Bekümmernis redete.
Sie war schön, und mehr als schön: der Anblick der gleichmütigen Heiterkeit einer Frau, wenn die Stunde ihrer Hoffnung auffallend nahe, ist etwas, das jedes Menschenherz weit mehr erquicken muss als alle Schönheit. Sie war reinlich, und nicht mehr armmütig, aber doch nur für Haus und Feldarbeit, und nirgends weiter zweckend, gekleidet.
Mein Meister schien gar um kein Haar geändert, er sass da auf seinem Stuhl, vollkommen wie wenn man ihn vor vier Jahren so abgemalt hätte; man sah weder Schatten noch Spuren von den tausenderlei Veränderungen, welche allerlei Dinge auf Erden den Menschen innert vier Jahren an Mund und Augen, an Kinn und Backen zu machen und anzutun pflegen; er war weder fetter noch hagerer; weder schwärzer noch weisser; seine Haare waren wie damals gekämmt, und Wams und Fürfell und Kappe war wie eins und eben daßelbe, nur eher etwas neuer als älter, kurz: Er sass so natürlich da wie vor vier Jahren, daß ein Gespenst, wenn es in der Gestalt eines Verstorbenen in der Mitternachtstunde auf seinen Stuhl sitzt und für ihn arbeitet, ihm nicht natürlicher und gleicher dasitzen kann, als er das ass.
Aber auch jetzt, Leser! - ich mag nicht hinter dem Berg tragen - auch jetzt dachte ich bei diesem Anblick nicht viel mehr als vor vier Jahren; er ging mir zwar rührender ein, daß ich mich länger und angenehmer mit dem Bild dieser Stube beschäftigte, das aber heisst, wie du wohl weisst, Leser! nicht denken und dauert so lange, bis man wieder etwas anders sieht, kurz, ich sah das Häuschen jetzt zehn Jahre nicht mehr, und dachte zehn Jahre nicht mehr an daßelbe.
Nach zehn Jahren sah ich ihn wieder, denn so lang kam ich nicht mehr in diese Gegend. Ich traf ihn eine Weile aussen her des Dorfs an; er führte mit einem Knaben einen Wagen nach den Wiesen des Dorfs, es war eben Heuet; er ging neben seinem Bauernwagen so steif und krumm einher, daß ich mich sogleich wieder an ihn und an sein fleissiges Sitzen, an seinen Schuhmacherstuhl erinnerte.
Er gefiel mir aber gar nicht bei seiner Bauernarbeit. "Was macht doch der jetzt bei einem Heuwagen? Es war ihm so wohl bei seinem Leder, und jetzt will er sich gewiss auch mit Bauernhoffart verderben", so dachte ich, als ich den Mann langsam mit seinen drei Kühen daher rücken sah. - "Vielleicht aber ist der Zug doch nicht sein", dachte ich wieder, da ich die schönen Tiere am Wagen sah, und tröstete mich wahrlich mit diesem Gedanken für den fleissigen Mann, dessen Andenken ich ehrte. Er war mir aber nicht sobald nahe, so sah ich, daß der Wagen einmal gewiss sein war; ich sah den alten Schuhmacher leibhaftig am ganzen Zug; die Halfter (Zügel) der Tiere waren von rotem und weissem Leder, die Zottel vom Hanf an ihren Ohren waren ebenso schuhmacherisch, häufig mit Leder umwunden, ebenso das Kopfkissen unter dem Joch, und an diesem glänzte mit neuem Rötel der Namen des Meisters H. L. und die Jahrzahl des Jochs 1780 und auf beiden Seiten ein schöner bäurischer Schnörkel, und die Kühe selber schienen hoffärtig mit den schönen Hörnern ihre Köpfe hinauf und hinunterzuschütteln. Sie waren aber auch so reinlich und geputzt wie krankes Judenvieh, das auf den Markt fährt; der Wagen war wie gewaschen, und oben und unten waren die Schinnen mit Rötel geziert, Ketten und Eisenwerk waren kohlschwarz, und der Wagen hatte alle Zugaben, was man notwendig brauchte und was minder notwendig war; er selber hatte eine Geissel in der Hand, so schön als ein Kutscher, der im vollen Staat fährt, aber er war dabei auffallend noch der alte Schuhmacher, daß ich im Augenblick sah, daß, obwohl er Kühe und Wagen und vielleicht auch Wiesen bekommen haben mag, bei allem dem dennoch bei seinem Handwerk geblieben und kein Bauer worden.
Es tröstete mich auch alsobald für ihn, als ich sah, daß es nur Kühe waren, mit denen er fuhr, denn diese verderben einen Handwerksmann auf dem Land nicht leicht, wenn er sie nur melkt, wenig mit ihnen zu Acker fährt und gar nicht mit ihnen handelt; mit den Wiesen ist's gleichfalls nichts anders, sie können neben einem Handwerk gar leicht bestehen, wenn nämlich das Handwerk ein vernünftiger Mann treibt.
Aber mit Ross und Stieren, da Gnade Gott dem gemeinen Handwerker, wenn er hier hineinsetzt und mit solchen Tieren grosse Äcker und viel Korn baut, seine grossen Äkker und seine viele Garben können ihm in einem Jahr die Schuhe und Stiefel alle, die er in zehn Jahren gemacht hat, wieder auffressen, und es ist sicher nicht gut, es allgemein zu verhehlen, daß es an vielen Orten um den Kornbau ein kitzliges und ganz eigenes Ding ist und daß ein Handwerker selten recht hat, wenn er sich einen Bauernhof auflädt, denn es braucht jetzt gar grobe und starke Leute für den Kornbau, und es gibt bei dieser Arbeit entsetzlich viel zu tragen und zu leiden, und ich muss es geradezu sagen: Wenn Linguet schon eine böse Zunge hat, so wird seine Unwahrheit über den Brotbau dennoch in dem Grade wahr werden, als der arme Bauer in der Reichen Welt täglich härter nach dem Massstab behandelt wird, welchen der reiche Bauer in der Armen Welt hätte tragen können und nicht getragen hat.
Aber das gehört nicht hierher. - Ich grüsste meinen Schuhmacher freundlich und fragte ihn, ob er Heu einführen wollte? "Er sieht's ja", war seine ganze Antwort, und dabei hielt er keinen Augenblick still, sondern ging genau, wie seine Kühe, mit dem Wagen weiter, und ich kam auch bald auf den Hügel, von dessen Höhe man auf das Häuschen hinabsieht, in welchem der Mann wohnte.
Von ferne sah ich, daß es ganz neu worden; in diesem Augenblick entfalteten sich die Bilder des Fleisses, der Sorgfalt und der häuslichen Tugenden dieses Manns, die seit vielen Jahren in meiner Seele lagen, auf einmal; ich sah auf einmal in meinem Schuhmacher das Bild der obersten Weisheit des Lebens, nämlich, wie der Mensch auf der armen Erden rechtmässigerweise von nichts zu etwas, von einem kleinen Haus zu einem grossen, von einer Katze zu drei Kühen und von kummerhaften sorgenvollen Lagen zu einem beruhigten behaglichen Zustand kommen kann, und ich fand auch hier in meinem Schuhmacher alles in einem, das oberste mit dem niedersten verbunden; weit von ferne hörte ich das Jauchzen zufriedener Kinder und den Gesang der schaffenden Knechte und das Blöken der Schafe, mit denen die Kinder spielten.
Wie ein Pilger mit Ehrfurcht dem Haus naht, auf dessen Altar er opfern will, so nahte ich mich mit Ehrfurcht dem Haus, das so laut den Segen der Menschheit redete.
Leser! Der Eindruck ist unbeschreiblich, den das Haus auf mich machte, und doch weiss ich so wenig davon zu sagen als: Es war aus einem kleinen ein grosses und aus einem alten ein neues, aber das neue und grosse war über das alte und kleine wie herübergegossen; das alte kleine war mitten im grossen neuen noch ganz da, und vom ersten Fensterladen, den der Mann am alten Häuschen neu machte, schickte sich alles so völlig zum neuen, wie wenn er beim ersten Nagel, den er ans alte Haus schlug, schon zum voraus gewusst hätte, daß er 15 Jahre später das ganze grosse über das kleine alte, genau wie er's jetzt machte, hinüber, ich weiss nicht, ob ich jetzt noch einmal sagen darf "giessen" oder ob ich jetzt sagen muss "bauen" wollte.
Leser! So wie der erste Fensterladen vor 15 Jahren zeigte, daß der Mann das Geld vollends hatte, was er kostete, und noch etwas dazu, weil er zweckmässig und dauerhaft und bis auf die Verzierungen in seiner Art vollkommen vollendet ausfiel, so vollkommen und zweckmässig und zur Dauerhaftigkeit versorgt und gänzlich vollendet und sogar zum Überfluss ausstaffiert war jetzt auch der ganze neue Bau und zeigte, daß der Mann sich so wenig bei demselben überrechnet (hatte) als beim ersten Fenster; aber auch am ganzen Bau war um kein Haar mehr Eitelkeit als an diesem ersten Fenster; mit gleicher Farbe und mit gleichen Schnörkeln, mit welchen er dieses angestrichen (hatte), ward jetzt auch das ganze Haus verziert.
Es ist jetzt das schönste im Dorf, aber doch ist es immer noch ein Schuhmacherhaus, nur mit dem Unterschied, daß, wie es vor Jahren nur für drei Gesellen ordentlich und zum Überfluss eingerichtet war, es jetzt nicht minder ordentlich und zum Überfluss für Heu und Stroh, für Kühe und Säue und für anwachsende junge Schuhmacher und Schuhmachersweiber zum voraus gut eingerichtet ist.
Ich ging jetzt rund um das Haus herum und wollte daßelbe von allen Seiten sehen; Annehmlichkeit und behaglicher Wohlstand, häusliche Freuden und haushälterische Sorgfalt und vorzügliche Kenntnis in allem, was den Bewohnern des Hauses unter den Händen gewesen, war von allen Seiten auffallend, weit und breit würdest du nirgends alle Kommlichkeit zur Arbeit und alle Gemächlichkeit zur Ruhe so vereinigt finden; neben der stillen friedlichen Reblaube quoll ein sprudelnder Brunnen, weit umher hing die reinliche Wäsche der Kinder an schönen gehobelten Stangen, die auf zwei schönen jungen neugepflanzten Bäumen ruhten, in der Mitte der Laube sangen zwei kleine Mädchen und spannen mitunter wie spielend Baumwollengarn; drei Knaben fand ich in der Tenne, die im neuen Heu spielten und jauchzten.
Ich gelüstete in die Stube hinein und dachte Wunder, was der Mann da Neues würde gemacht haben. Ich rief also vor der Türe: "Ist kein Schuhmacher hier?" "Wohl freilich", antworteten ein paar Stimmen, und ein himmelschönes Mädchen öffnete die Türe. Ich ging hinein, klagte über einen Fehler an einem Schuh, dem sie mit ein paar Stichen halfen.
Aber das war nicht, was ich wollte; ich erwartete eine neue auf tausenderlei Art verzierte Stube, fand aber vollends die alte, wie sie vor zehn Jahren schon war, alles, alles war genau noch wie damals und lag genau noch wo damals. Selbst das Kind mitten in der Stube, das in der Wiege schlief, schien dem zu gleichen, das vor zehn Jahren da lag; und auch die Frau war beinahe nichts geändert. Ich sagte zu dieser, ich hätte in einem so neuen Haus auch eine neue Stube erwartet. Sie sah mich steif an und erwiderte: "Wo fehlt's dieser?" Ich war betroffen; sie sah's, lächelte und sagte weiter: "Diese alte Stube hat uns unser neues Haus gebaut, darum bleibt sie stehen, und mein Mann und ich glauben halt, wer das Alte wegwerfe, komme zu nichts Neuem." Ich hatte jetzt vollends genug, wollte weiter, fragte den Schuhknecht um die Uerte (Rechnung); er lachte zur Antwort, die Frau aber sagte: "Für Fussgänger, die reisen, machen wir sonst nie keine Uerte, wenn's aber der Herr zürnen wollte, so wär's ein halber Kreuzer." Ich lachte auch wieder, gab dem Knecht, was ich wollte, ging dann weiter, und erst im Weggehen sah ich den schön gemalten Stiefel oben am Schornstein des Hauses am Dach, womit ich meine Märe anfing.
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Name:
Dr. Arthur Brühlmeier
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