Franziska Romana von Hallwil (1758-1836)
In ihrem Buch "Anna Pestalozzi-Schulthess und der Frauenkreis um Pestalozzi" (neu herausgebracht durch Daniel Tröhler in Band 1 der Neuen Pestalozzi-Studien, bei Paul Haupt, Bern Stuttgart Wien, 1993) schreibt Käthe Silber:
"Die Herrin des Schlosses (Hallwil) zu Pestalozzis Zeiten war Frau Franziska Romana von Hallwil (1758 - 1836) geb. Gräfin Hallwil aus einem österreichischen Zweige des Geschlechts. Als sechzehnjähriges, bildschönes Mädchen wurde sie von dem jungen Schweizer Freiherrn von Hallwil auf höchst abenteuerliche Weise aus ihrem elterlichen Hause in Wien entführt. Um dem Kloster zu entfliehen, in das die böse Stiefmutter sie verbannen wollte, und um ihren Kindern die Nachfolge im Fideikommiss zu sichern, trat sie kurz nach der heimlichen Trauung zum protestantischen Glauben über. Es waren ihr jedoch nur wenige Jahre glücklichen Ehelebens vergönnt, und auch diese wurden durch die Verfolgungen der Stiefmutter, durch Fluch, Hass und Enterbung beunruhigt. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen verlor die Unglückliche die gütige Schwiegermutter und den geliebten Gatten (1779), der allem Anschein nach auf einer geheimnisvollen Reise in Wien vergiftet worden war. Da stand die einundzwanzigjährige Witwe mit drei kleinen Knaben und einem blödsinnigen, tobsüchtigen Schwager in den bedrängtesten wirtschaftlichen Verhältnissen auf ihre eigene Kraft angewiesen allein in der Welt. Sie überwand jedoch einen leidenschaftlichen Schmerzensausbruch, der sie an den Rand des Todes führte, nahm entschlossen die Leitung der Herrschaft in ihre festen Hände und führte sie als getreue Oberherrin in über fünfzigjährigem Witwenstande mit vorbildlicher Tatkraft und Klugheit.
Ihr persönliches Leben war auch fernerhin von schweren Sorgen überschattet. Die Söhne machten ihr viel Kummer. Als Kinder waren sie wild und ungebärdig, weil die junge Mutter in ihrem Witwenschmerz zwischen Vernachlässigung und stürmischen Verwöhnungen in der Behandlung hin und herschwankte. Diese Ungleichmässigkeit der Erziehung gefährdete sie ebenso schwer wie den ein wenig älteren Jaqueli Pestalozzi. Tüchtige Hauslehrer sorgten zwar für ihre geistige Bildung, aber trotz aller Bemühungen entwickelten sich die jungen Männer zu leichtsinnigen Verschwendern und führten einen lockeren Lebenswandel, wie einst ihr Vater in seiner Jugendzeit. Von ihren ausländischen Kriegsdiensten wird nichts Erfreuliches berichtet; der eine Sohn bleibt einmal für viele Jahre verschollen. Um die Erbschaft streiten sie sich vor den Augen der Mutter; und diese verliert schliesslich den Ältesten in der Blüte seiner Jahre und muss in ihrem Alter auch den Jüngsten sterben sehen.
War sie innerhalb der Familie mit Glück wenig gesegnet, so baute sie sich selbst in angeregtem geistigen Verkehr mit bedeutenden Männern und Frauen ihrer Zeit ein persönliches Leben auf, das sie über die vielen Enttäuschungen hinwegführte. An den literarischen und sozialen Bewegungen der Zeit nahm sie regen Anteil; besonders politisch aufgeklärten, ja sogar radikalen Staatsmännern wie Stapfer und Karl Victor von Bonstetten, Zellweger und vielleicht auch Heinrich Zschokke, später auch Augustin Keller stand sie nahe, denn sie besass einen freien, unabhängigen und vorurteilslosen Sinn, der sie von den Fesseln des Adelsstandes gelöst hatte. Ihr Geist, Herz, Bildung waren so bekannt wie ihre Schicksale; sie war, wie Pestalozzi von ihr rühmt, "in den Überwindungen geübt, über sich selbst Meister, gegen andere schonend, mit dem Äussersten gutmütig, alles im Respekt haltend". Ihr Wesen wirkte wahrhaft adlig: "Monarchengeist" beseelte sie. Sie besass eine natürliche Macht über Menschen, die ihre edle Seele zum Guten anwandte: sie erkannte und wehrte jedem Fehler, noch ehe er zum Ausbruch kam, riet, half, richtete auf, machte alles um sich her froh, und "die Gesellschaft" folgte ihr. Obwohl sie selbst von sich behauptete, ihre ganze Stärke sei nur Klugheit, so war doch offenbar, daß nur die Grossmut ihres Herzens und die Kraft ihrer Seele sie im Unglück nicht entwürdigen, sondern stets veredeln, sie über sich selbst hinausweisen und ihre Liebe anderen hingeben liessen. Das Schönste an ihr aber war ihre Sorge für das Volk, die sie als Oberherrin einer Gutsherrschaft so naheliegend betätigen konnte. Die Armen und Bedrängten fanden stets ein lauschendes Ohr und eine offene Hand bei ihr, und unendlich gross ist die Zahl derer, denen sie ideelle und materielle Wohltaten erwiesen hat. Sie ist eine ansprechende, sympathische Persönlichkeit, und in dem klaren und eindringlichen Blick ihrer lebhaften Augen spiegelte sich in seltener Reinheit ihre ‚schöne, harmonische Seele." (a.a.O. S. 177 ff.)
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Dr. Arthur Brühlmeier
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